Geschäftsberichte Leerformeln
Enttäuschung war das erste, was Ulrich Wens, Finanzvorstand des Gerüstbauers Plettac, empfand, als er die Ergebnisse des mm-Geschäftsbericht-Ratings im vergangenen Jahr erfuhr. Enttäuschung darüber, nicht einmal unter den ersten 100 gelandet zu sein.
Dieses Jahr hat Wens allen Grund, stolz zu sein. Plettac schoß mit seinem neuen Geschäftsbericht um sage und schreibe 67 Ränge nach oben - der Aufsteiger des Jahres. "Dabei haben wir gar nicht mehr Aufwand getrieben als in den vergangenen Jahren. Wir haben uns nur in die Position des Anlegers versetzt und den Geschäftsbericht daraufhin völlig neu gegliedert."
Viele Verbesserungsvorschläge stammten von Jury-Mitglied Jörg Baetge, wissenschaftlicher Leiter des mm-Projekts "Der beste Geschäftsbericht" und ordentlicher Professor an der Universität Münster. Weitere Anregungen steuerten Analysten und Anleger bei. Das langfristige Ziel der Plettac-Manager: durch eine gute Kommunikation mit der Financial Community möglichst günstig an Eigenkapital zu kommen. "Selbst für Mittelständler wie uns ist es ganz entscheidend, offen mit den Anlegern umzugehen", erläutert Finanzvorstand Wens. "Es gibt so viele Firmen, die Kapital brauchen. Wer in dieser Situation durch schlechte Kommunikation Investoren vergrault, ist draußen."
Insgesamt erreichte Plettac mit fast 64 von 100 möglichen Prozent ein "Gut" in der Gesamtwertung. "Geschäftsberichte, die mit 'gut' oder 'sehr gut' benotet wurden, liefern den Anteilseignern eine vernünftige Basis für ihre Anlageentscheidung, also die Frage, ob sie die Papiere des jeweiligen Unternehmens verkaufen, behalten oder sogar aufstocken sollen", sagt Bilanzexperte Baetge, der den Informationsgehalt der Geschäftsberichte nach 267 Kriterien auseinanderpflückte. "Schon ab der Note ,befriedigend' reicht der Geschäftsbericht als Informationsquelle für Anleger nicht mehr aus."
Das bedeutet, daß nur 10 Prozent der getesteten Geschäftsberichte die Aktionäre so informieren, wie sie es als Eigentümer der Unternehmen verdient haben - umfassend und fair. Ein Armutszeugnis für das Finanzmanagement der betroffenen Firmen.
Denn längst ist wissenschaftlich erwiesen, daß rund 40 Prozent der Börsenbewertung von der Kommunikation abhängen. Und der Geschäftsbericht gilt als wichtigstes Medium im Dialog mit den Anlegern rund um den Globus.
Das Gros der Manager glaubt offenbar dennoch, auf einen guten Geschäftsbericht verzichten zu können. Und ausgerechnet in den Bereichen, die Anleger am meisten interessieren, geben die manchmal über 100 Seiten starken Konvolute am wenigsten preis: bei den Zukunftsaussichten der Unternehmen und bei der Herkunft und der Qualität der Gewinne.
Der beste Inhalt | |
Der Daimler-Report schnitt in fast allen inhaltlichen Kategorien überdurchschnittlich ab. Im Vergleich zum vergangenen Jahr hat der Automobilbauer vor allem im Prognosebericht und bei den Angaben zu Forschung und Entwicklung aufgeholt. So wurden im 97er Bericht konkrete Angaben zum Umsatz und zu den Investitionen für die Jahre 1998 bis 2000 gemacht und tabellarisch nach Geschäftsfeldern aufgegliedert. Das Kapitel über die Daimler-Aktie wurde vorgezogen, um deutlich zu machen, wer im Fokus des Geschäftsberichtes steht: der Anleger. |
Gentz und seiner Investor-Relations-Truppe gelang es denn auch, einen von der mm-Jury mit insgesamt "sehr gut" bewerteten Geschäftsbericht zu erstellen und damit die gesamte Konkurrenz hinter sich zu lassen. Beim Prognosebericht aber kam auch Daimler nur auf 50 Prozent der erreichbaren Punkte.
Von den 500 deutschen Unternehmen lieferten 494 weniger als 50 Prozent ab, machten also keine befriedigenden Angaben zur künftigen Branchensituation, zu geplanten Investitionen und erwarteten Umsätzen. Statt dessen wurden Aktionäre mit Platitüden wie "Insgesamt bleiben wir für das laufende Geschäftsjahr optimistisch" (Th. Goldschmidt) oder "In Europa werden wir den Weg der Umsatzausweitung aus eigener Kraft konsequent weiterverfolgen" (Joh. Friedrich Behrens) abgespeist.
Unzureichende Prognoseberichte sind einer der wesentlichen Gründe für das im Vergleich zu den deutschen Unternehmen schlechtere Abschneiden der ausländischen Konzerne. Selbst Fiat, der Erstplazierte in dieser Gruppe, kam bei der Erläuterung seiner Zukunftsaussichten nur auf knapp 32 Prozent. Jury-Urteil: "mangelhaft".
Viele Firmen geizen mit Angaben zur Forschung
Ähnlich düster sieht das Gesamtbild bei den Angaben zu Forschung und Entwicklung aus. Anhand dieser Angaben können Investoren die Fähigkeit eines Unternehmens abschätzen, neue, innovative Produkte oder Dienstleistungen auf den Markt zu bringen. Lediglich ein knappes Drittel der Testunternehmen schnitt hier mit "befriedigend" oder besser ab. Wie auch beim Prognosebericht taten sich selbst Unternehmen, die sich insgesamt gut präsentierten, bei der Beschreibung ihrer Forschungsaktivitäten schwer.
SKW Trostberg etwa, immerhin einer der Aufsteiger, der im mm-Rating im Vergleich zu 1997 um 35 Plätze nach oben kletterte, beschied seine Aktionäre mit der lapidaren Feststellung, die Forschungskapazitäten seien beträchtlich erweitert worden. Die einzige konkrete Aussage zum laufenden Geschäftsjahr: "1998 wollen wir Kreatinpyruvat in den Markt einführen."
Insgesamt lieferten Industrie und Handel allerdings deutlich bessere Geschäftsberichte ab als der Wirtschaftszweig, dem die Wünsche der Investoren eigentlich besser als jedem anderen bekannt sein sollten: Banken und Versicherungen.
Selbst dem Erstplazierten unter den Kreditinstituten, der Vereinsbank, gelang es mit rund 72 Prozent nicht, ein "sehr gut" einzuheimsen. Nur drei Häuser schnitten mit "gut" ab. Ob bei den Mehrjahresübersichten wichtiger Kennzahlen, bei den Angaben zur Bilanzstruktur oder bei der Verknüpfung des Jahresabschlusses mit den Erläuterungen im Anhang - überall machen es die Geldhäuser dem Leser unnötig schwer.
Dabei sperren sie sich nicht nur, neue Informationen herauszugeben. Bei bereits veröffentlichten Daten weigern sich die Finanzdienstleister schlicht, die Daten leserfreundlich aufzubereiten.
In der Segmentberichterstattung hinkt die Geldbranche ebenfalls hinterher. Für die Aktionäre ist diese Geheimniskrämerei besonders ärgerlich. Denn dies ist die einzige Stelle im Geschäftsbericht, an der sie erfahren könnten, in welchen Geschäftsfeldern und Regionen Geld verdient wird.
"Wenn hier keine oder nur unzureichende Angaben gemacht werden, muß der Anleger immer fürchten, daß Quersubventionierung stattfindet", kritisiert Bilanzforscher Baetge. "Das bedeutet, daß möglicherweise unrentable Aktivitäten von profitablen mit durchgeschleppt werden - auf Kosten der Aktionäre."
Es scheint, als sei diese Praxis zumindest bei den Banken weit verbreitet: Von 32 getesteten Instituten lieferten 28 eine mangelhafte oder gar keine Segmentberichterstattung ab; Branchensieger Vereinsbank erreichte 26 Prozent - "mangelhaft".
Industrie und Handel zeigten sich nur wenig aufgeschlossener als die Kreditwirtschaft: Fast 50 Prozent aller Unternehmen verzichteten gänzlich auf Angaben zu Regionen oder Geschäftsfeldern. Von den insgesamt 28 getesteten Börsenneulingen hielten es nur 13 für nötig, eine Segmentberichterstattung zu erstellen. Zehn davon sind mangelhaft.
Auch wenn es um die Qualität der Gewinne geht, geizen die Unternehmen mit Informationen. Die Abschreibungen etwa, die je nach Methode das Ergebnis in unterschiedlicher Höhe mindern, werden nur von einem guten Drittel aller Unternehmen vollständig und eindeutig erläutert. Dabei kann die Umstellung etwa von degressiver auf lineare Abschreibung erhebliche Auswirkungen auf das Ergebnis haben. Der Aktionär weiß ohne zusätzliche Erläuterungen aber nie: Ist eine Gewinnsteigerung - oder auch ein Gewinneinbruch - auf einen längerfristigen Wandel der wirtschaftlichen Situation oder nur auf buchhalterische Tricks zurückzuführen?
Noch zugeknöpfter geben sich die Unternehmen bei der Erläuterung der sonstigen Rückstellungen, der sonstigen betrieblichen Erträge und der sonstigen betrieblichen Aufwendungen.
Alle drei Positionen sind Sammelbecken für Einnahmen und Ausgaben, die nicht zum operativen Geschäft des Unternehmens gehören. Werden diese Posten nicht aufgegliedert, ist es für den Aktionär unmöglich herauszufinden, wie gut oder schlecht das Management gewirtschaftet hat. In den sonstigen betrieblichen Aufwendungen lassen sich zum Beispiel Verluste aus mißglückten Transaktionen verstecken. Unter sonstigen betrieblichen Erträgen können Gewinne aus einmaligen Immobilienverkäufen verbucht sein, die mit dem eigentlichen Unternehmenszweck nichts zu tun haben.
Vorteile der US-Bilanzierung
Nur ein Bruchteil der Firmen macht sich die Mühe, durch detaillierte Informationen das Vertrauen der Aktionäre zu gewinnen. Mehr als 90 Prozent aller im mm-Rating getesteten Unternehmen hingegen gliedern die drei Positionen unvollständig oder gar nicht auf. Selbst Testsieger Daimler-Benz bildet keine Ausnahme: Die Stuttgarter erläutern ihre sonstigen betrieblichen Erträge von immerhin 1,6 Milliarden Mark mit keinem Wort.
In puncto Aktionärsfreundlichkeit ist der Automobilbauer der Konkurrenz dennoch um Längen voraus. Daimler bilanziert nämlich nach US- GAAP, den amerikanischen Rechnungslegungsvorschriften. Sie stellen, anders als das HGB, nicht Formalismen in den Vordergrund, sondern die Forderung nach einer "true and fair presentation", einer wahren und fairen Darstellung des Unternehmens.
Ehrlich erläutert
Die Einzelsieger in der Kategorie Inhalt |
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Der beste Wirtschaftsbericht: | Thyssen |
Der beste Nachtragsbericht: | Daimler-Benz |
Der beste Prognosebericht: | Bayer |
Der beste F+E-Bericht: | Bayer |
Der beste Zusatzbericht: | Veba |
Der beste Konzernanhang: | Veba |
Weitere Informationen zur inhaltlichen Analyse nach 267 Kriterien oder komplette Einzelgutachten: Prof. Dr. Jörg Baetge, Universität Münster, Fax-Nummer: 02 51/8 32 29 66. |
Doch die Europäer holen auf. Immer mehr Unternehmen entschließen sich zu einer Bilanzierung nach internationalen Rechnungslegungsvorschriften. Im vergangenen Jahr waren es 12 Prozent der Top 100 aus Industrie und Handel, dieses Jahr sind es schon 15 Prozent.
Die Versicherungen müssen noch warten
Der Vorteil für die Anleger: Die Geschäftsberichte werden damit nicht nur leserfreundlicher, sie liefern auch wertvolle Zusatzinformationen, etwa über die Kaufpreise bei Akquisitionen oder über den Erfolg einzelner Geschäftsfelder. Außerdem entfallen Verzerrungen, die bei einer Bilanzierung nach HGB durch steuerliche Sonderregelungen entstehen.
Aktionärsfreundliche Unternehmen satteln denn auch so schnell wie möglich um. Einzig die Versicherungen müssen warten, da es für sie noch keine internationalen Standards gibt.
Die Mannheimer Versicherung, diesjähriger Testsieger unter den Assekuranzkonzernen, läßt aber keinen Zweifel daran, daß sie die neuen Regeln anwenden will, sobald ein einheitliches Schema feststeht. Schon jetzt bemüht sich Vorstandschef Hans Schreiber, den Geschäftsbericht jedes Jahr ein bißchen besser zu machen.
Schreibers Parole für den 97er Prospekt: Mehr Zukunftsorientierung. Dazu wurden Strategie und Ausblick überarbeitet und mit konkreten Zahlen angereichert. Für die wichtigsten Abschnitte griffen der Vorstandschef und seine Kollegen persönlich zur Feder - mit Erfolg. Die ehrgeizigen Mannheimer verwiesen Vorjahressieger und Branchenprimus Allianz beim diesjährigen Rating auf den zweiten Platz. Für Schreiber ist das ein wichtiger Etappensieg: "Wir haben mittelfristig das Ziel, die beste Versicherung zu werden. Da empfiehlt es sich, mit dem besten Geschäftsbericht anzufangen."
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