Editorial Gefährliches Spiel
Interviewtermin im Kanzleramt. Wir mm-Journalisten, Henrik Müller und ich, bei aushäusigen Verabredungen eher an nüchterne, profane Konzernverwaltungen gewöhnt, bewegen uns auf Terrain mit historischer Patina. Es ist das letzte Interview, das Gerhard Schröder in seinem provisorischen Domizil gibt, dem ehemaligen Staatsratsgebäude der verflossenen DDR. Die Umzugskartons stehen schon in den Fluren, es herrscht Aufbruchstimmung. In zwei Tagen kommen die Packer.
Der Weg führt über eine breite, reich verzierte Treppe; es geht durch einen düsteren, holzvertäfelten Raum, so hoch, so lang und so breit wie die Turnhalle einer Schule. Dieser Saal, quasi ein Symbol für den Spießer-Stil der roten Herrscher, war das Dienstzimmer Erich Honeckers.
Die breite Tür an der Längsseite erinnert an die vielen Fernsehbilder von damals: Durch diese Tür kam immer der erste Mann der Deutschen Demokratischen Republik in seiner verkrampften Freundlichkeit, wenn er im nebenliegenden Raum vor den Kameras Staatsgäste begrüßte.
Vorbei das alles. Der demokratisch gewählte Kanzler arbeitet in einem Zimmer, das etwa ein Drittel der Fläche von Honeckers Protzbüro umfasst.
Ein gut gelaunter Bundeskanzler erwartet uns. Schröder ist ein angenehmer Interviewpartner. Kein hoheitliches Gehabe wie bei Helmut Kohl, keine aggressiven Belehrungen wie bei Helmut Schmidt, sondern eine freundlich-sachliche Tonlage, auch in jenen Passagen des Interviews, in denen es kontrovers zugeht.
Und Grund zum Streiten gibt es wahrlich genug. Vorbei scheint fürs Erste die Zeit der Reformen; jene Phase, in der die rot-grüne Regierung mit der Haushaltskonsolidierung und der Steuerreform viele Bürger für sich gewann, die ihr anfangs skeptisch gesonnen waren. Auch und gerade aus dem Lager der Manager und Unternehmer.
Statt der längst überfälligen Deregulierung der Arbeitsmärkte wird nun das Arsenal staatlicher Vorschriften erneut angereichert: mit der Novelle zum Betriebsverfassungsgesetz, mit dem Anspruch der Arbeitnehmer auf Teilzeit. Beides Vorhaben, die Arbeit teurer machen und die Chancen für mehr Beschäftigung verringern.
Es ist ein gefährliches Spiel, das die Regierung da treibt. Eineinhalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl schwenkt sie um auf eine traditionelle Gefälligkeitspolitik, die in Wahrheit nur Beifall von den Gewerkschaften erhält. Bis neue Reformen eingeleitet werden, dürften mindestens zwei Jahre verstreichen Jahre, in denen der Standort Deutschland im globalen Wettbewerb noch weiter zurückfallen wird.
Warum diese Narretei, wem soll das nutzen? Viele Fragen an den Kanzler.