
3D Drucker: Das Ende der traditionellen Industrie
Technologieschub Der große Auftritt der 3-D-Druck-Technik
Hamburg - Mehr als einen freundlichen Händedruck pro Jahr bekommt kaum ein leitender Angestellter bei General Electric von Jeff Immelt. Christine Furstoss indes war in diesem Jahr bereits sechsmal zum Privatissimum beim GE-Chef geladen.
Die Materialwissenschaftlerin, die in der GE-Forschung 450 Entwickler führt, soll allerdings auch etwas liefern, was ihr Vorstandschef selbst den "Heiligen Gral" nennt: eine Technologie, mit deren Hilfe der US-Mischkonzern völlig neuartige Produkte zu günstigen Kosten und in kurzer Zeit auf den Markt werfen kann. Ein Wunderding, das dem Industriekonglomerat einen gigantischen Wettbewerbsvorsprung im globalen Konkurrenzkampf einbringen soll.
Mit einem Wort: einen 3-D-Drucker. Natürlich ein besseres Modell als die aus einem simplen Gestänge und einem gemächlich herumfahrenden Druckkopf bestehenden Bastlergeräte, mit denen sich heute angeblich jeder Waffenfreak eine Pistole aus Plastik herstellen kann. Oder jeder Modellbauer sein eigenes Völkchen für die Eisenbahnspur H0.
Was die Bastler und die GE-Entwickler eint, ist eine Technik, die ein Produkt quasi aus dem Nichts Lage für Lage aus diversen Materialien aufbaut. In einem einzigen Prozess - im Fachjargon AM (Additive Manufacturing) genannt - können so aus einem aufgespulten Kunststofffaden ebenso wie aus Metall, Keramik, menschlichen Zellen oder gar Schokolade die unterschiedlichsten Dinge entstehen: eine Designerlampe oder die Verzierung einer Hochzeitstorte, eine Leber im Miniformat oder ein Radträger für einen Rennwagen.
Technikfreaks schon begeistert
Am Ende soll die Technologie so problemlos und flink funktionieren, wie es die Science-Fiction-Serie "Raumschiff Enterprise" in den 60er Jahren mit dem Replikator vordachte. Ein Kasten, der jede gewünschte Ware aus einem Partikelwirbel materialisiert.
Nach dem heutigem Stand der Technik besteht die Pünktchenwolke aus den Pixeln einer 3-D-Software. Mit dem Programm lässt sich am Computer jedes beliebige Produkt konstruieren. Aus dem Datensatz formt der Drucker den Gegenstand. In Designstudios und den sogenannten Fablabs der Technikfreaks erfreut sich vor allem das Aufspritzen von verflüssigtem Material in schnell aushärtenden Lagen größter Beliebtheit. In der Industrie hat sich das schichtweise Verschmelzen von Pulvern mittels Laser durchgesetzt.
Diese Sintern genannte Methode ermöglicht "einen Paradigmenwechsel in der Fertigung", schwärmt Furstoss: "Damit bekommt man exakt das, was man sich vorgestellt hat, und zwar voll funktionsfähig." Schon in wenigen Jahren sollen deshalb GE-Fabriken mit dieser Technik Teile von Flugzeugturbinen produzieren.
Arbeitet die Forscherin am Ende der Industrie, wie wir sie kennen? Wird in Zukunft kein Karosserieblech mehr gestanzt, keine Kurbelwelle mehr geschmiedet und kein Armaturenbrett mehr gegossen? Kommen bald Auto und Flugzeug, Pizza und Pasta, Tisch und Bett aus dem Drucker - individuell geformt und so funktional ausgestattet, wie es sich der Industriedesigner oder ein einsamer Kreativer, in der Technoszene Maker genannt, ausgedacht hat?
Vision von einer universellen Produktionsmethode
Die Apologeten der nächsten industriellen Revolution verkünden ihre Vision von einer universellen Produktionsmethode mit Verve. Die sogenannte generative Fertigung liefere einzigartige Waren nicht nur schneller und günstiger als herkömmliche Technik. Sie produziere auch umweltfreundlicher, da sie keinen Abfall erzeuge, wie er beim Fräsen, Bohren oder Drehen anfällt.
Die derzeitigen Industriechampions - allen voran die aus Deutschland und China - könnten sich auf ihren Abgang von der ökonomischen Weltbühne vorbereiten, prophezeite etwa Danny Hsia vom US-Investorendienst Motley Fool Ende Juni. Unter dem Titel "Es ist vorbei, liebes China", erzählt er, dass schon in wenigen Jahren kleine Manufakturen an jeder Ecke jedermanns Wunschwaren ausdrucken werden.
Trendforscher Nils Müller schockte die Vertreter des Verbands des Deutschen Maschinen- und Anlagenbaus beim ersten Expertengespräch zum Thema 3-D-Druck Anfang Juni mit einer schlichten Präsentation. Auf 70 Folien führte er den staunenden Ingenieuren vor, was bereits heute alles mit AM gemacht wird: Ein kybernetisches Ohr, das besser hört als ein menschliches. Tortillas in Form eines filigranen Gitternetzes. Die Sohle eines Fußballschuhs mit integrierten Stollen. Geschwungene Betonbauteile mit maßgeschneiderten Kabelkanälen oder gar ein Mikrowellentarnmantel.
Da mag den einen oder anderen tatsächlich die Sorge um die Zukunft seiner Zunft, wenn nicht gleich der gesamten deutschen Industrie befallen. Aufgeschreckten Technikern oder Topmanagern sei deshalb ein Besuch bei EADS in Ottobrunn bei München empfohlen.
Theorie und Praxis
Dort empfängt Claudio Dalle Donne mit einem Bubenlächeln hinter der markanten Brille. Der Maschinenbauingenieur leitet bei dem Luft- und Raumfahrtkonzern die Metalltechnologie und führt den Besucher in sein mehrfach gesichertes, unterirdisches Labor. In einem kleinen Raum, eigentlich mehr eine Abstellkammer, steht ein mannshoher Kasten mit Guckloch - der Lasersinter.
Im Inneren des Geräts liegt perfekt glatt gestrichen auf einer Trägerplatte ein graues Pulver, das von Dalle Donnes Team entwickelte Scalmalloy. Über die Mischung aus Aluminium mit Magnesium und der seltenen Erde Scandium zieht blitzschnell ein Laser seine Funken sprühende Bahn. Dabei schmilzt er die winzigen Körnchen zu einem Rautenmuster zusammen. Die Platte senkt sich minimal ab, ein Schieber trägt eine neue Schicht Metallstaub auf. Erneut brennt die Lichtspur ihre Kontur ein. Lage für Lage entsteht so die dreidimensionale Struktur, die der Rechner vorgibt.
Am Ende wird der Körper 13 Millimeter hoch sein. "Das dauert lange zwei Stunden", sagt Dalle Donne, "dafür können wir aber völlig neuartige Formen direkt aus den Konstruktionsdaten erschaffen, die mit konventioneller Technik gar nicht zu erzeugen sind."
Im Showroom präsentiert Dalle Donne ein Teil, das vage an ein graziles vierfüßiges Insekt erinnert: "Das ist eine topologisch optimierte Halterung für eine Flugzeugtür." Sie soll einmal die schwere Platte mit Öse ersetzen, die er in der anderen Hand wiegt. Solche am Rechner perfektionierten Neuentwicklungen sind im Schnitt 30 bis 50 Prozent leichter als übliche Elemente. Zudem übertragen sie Lasten viel besser als heutige Produkte, deren Form nicht die Funktion, sondern die Produktionstechnik diktiert.
Interessante Geschäftsmodelle - in der Nische
In ein paar Jahren sollen erste AM-produzierte Teile in kommerzielle Jets eingebaut werden. "In einem Satelliten fliegen wir schon mit einigen gedruckten Komponenten", beschwört der EADS-Forscher die Erfolgsaussichten seiner Arbeit. Von individueller Fertigung ist der Flugzeugbauer indes noch weit entfernt - und befindet sich damit in guter Gesellschaft.
In den rund 15 Jahren, die es das industriell relevante Lasersintern bereits gibt, habe sich "bei der Technik nur wenig getan", kritisiert Professor Dieter Roller von der Universität Stuttgart. Bei seiner Forschung am Institut für rechnergestützte Ingenieursysteme merkt er immer wieder: "Es mangelt noch an Präzision und Skalierbarkeit. Außerdem sind die Materialien sehr teuer und nicht in ausreichender Vielfalt vorhanden."
Deshalb hat sich die Technik bisher vor allem beim schnellen Bau von Prototypen etabliert. Längst ist jede CAD-Software mit einer Schnittstelle zum 3-D-Drucker versehen. Auch in Branchen wie Zahntechnik, Hörgerätebau oder Schmuckfabrikation ist die generative Fertigung heute Standard bei der Herstellung von Implantaten, Ohrstücken oder Gussformen für Uhrengehäuse.
Webseiten wie Shapeways.com offerieren Blaupausen für Do-it-yourself-Fans und liefern personalisierte Playmobilfiguren oder individuelle Handyschalen in wenigen Tagen aus ihren 3-D-Druckerfarmen. Mehr als eine Million Gegenstände hat das bei Philips entstandene Start-up schon gefertigt.
Keine Frage: 3-D-Druck ermöglicht in Nischen bereits interessante Geschäftsmodelle. Er eignet sich für Kleinstserien bei Produkten, die individuell oder hochkomplex und vor allem gern teuer sind. Auch den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt treiben die generativen Technologien zweifelsohne voran.
Gute Argumente
Aber eine veritable industrielle Revolution, die herkömmliche Methoden der Massenproduktion binnen wenigen Jahren obsolet werden lässt? Für so bahnbrechend hält nicht mal Wilhelm Meiners vom Fraunhofer-Institut für Lasertechnik in Aachen die generativen Methoden.
"Der 3-D-Druck wird ganz sicher keine anderen Produktionstechniken verdrängen", erklärt der Ingenieur, der in den 90er Jahren in seiner Promotion die Grundlagen des Lasersinterverfahrens entwickelte, kategorisch. Statt einer Gefahr seien die additiven Technologien eine große Chance, gerade für die deutsche Industrie: "Sie eröffnen vielen Unternehmen eine tolle zusätzliche Möglichkeit in Entwicklung und Produktion. Damit können sie innovativer werden und Wettbewerbsvorteile erzielen.
So wie die Dienstleister von LBC Engineering im schwäbischen Kornwestheim. Das kleine Unternehmen, das seit Kurzem zum Renishaw-Konzern gehört, entwirft und fertigt für den Werkzeug- und Formenbau mit 3-D-Druck neuartige Formeinsätze. "Dank additiver Techniken können wir in massiven Werkzeugstahl Kühlkanäle integrieren, die parallel zu den Konturen verlaufen", erklärt Verkaufsleiter Ralph Mayer. Ergebnis: Die innovativen Werkzeuge verkürzen im Kunststoffspritz- oder Metalldruckguss die Fertigungszeiten im Schnitt um 40 Prozent. Die Qualität der so produzierten Teile steigt, während gleichzeitig der Ausschuss, der üblicherweise durch die Überhitzung der Werkzeuge entsteht, meist auf null sinkt. Schlagende Argumente für Technologie made in Germany.
Ebenso absatzfördernd wirkt der bionische Greifarm, den die Hydraulikexperten von Festo in Esslingen dank generativer Fertigung realisierten. Auf der Hannover-Messe nahm dessen dreifingerige Hand elegant einen Apfel von Kanzlerin Angela Merkel in Empfang - mit einem Feingefühl für weiche Gegenstände, das Robotern bislang fehlte.
Schneller, billiger, kreativer
Der 3-D-Druck kann sogar wieder Jobs in einer für Deutschland längst verlorenen Industrie schaffen: bei den heimischen Schmuckfabrikanten. Andreas Schultheiss, Gründer von Rapidshape, einem Hersteller von AM-Maschinen in Heimsheim, sah, wie im nahe gelegenen Pforzheim in den 90er Jahren 90 Prozent der Goldschmiede ihre Jobs verloren. Ihre Arbeitgeber konnten nicht gegen Billiganbieter aus Thailand oder Indien bestehen. "Heute nutzen sie 3-D-Druck, um ihren Kunden in kürzester Zeit individuelle Designs zu liefern", schildert der ehemalige Berater, wie dadurch wieder Jobs in der Fertigung von Ringen und Ketten am Nordrand des Schwarzwalds entstehen.
"Die generative Produktion ermöglicht neue Wertschöpfung in Deutschland und schafft so Arbeitsplätze", ist der junge Unternehmer überzeugt. Er erlebt es schließlich mit seinem eigenen Start-up. Die 2011 gegründete Firma hat heute 43 Mitarbeiter. Gerade sind 3000 Quadratmeter Produktionsfläche dazugekommen. Und der Raum für die Expansion ist dringend nötig.
So wie auch bei Voxeljet. Das Unternehmen in Friedberg bei Augsburg baut ebenfalls eine neue Fabrikhalle, so gefragt sind die Produkte und Services des AM-Experten. Er betreibt unter anderem den größten 3-D-Drucker der Welt. Vier mal zwei Meter misst die Anlage, in der mithilfe eingespritzter Chemikalien feiner Sand zu Gussrohlingen für die metallverarbeitende Industrie aufgebaut wird. Darin entstand auch die Form für den Aston Martin, den die Bösewichte im James-Bond-Film "Skyfall" zerschießen.
Ständig wachsende Kundenzahl
Normalerweise materialisieren die Voxeljet-Anlagen allerdings weniger spektakuläre Produkte - neue Motorenteile etwa. "Die lassen sich mit unseren aus dem CAD-System gedruckten Formen innerhalb von fünf Tagen bauen", erläutert der für die Projektierung solcher Vorhaben zuständige Jörg Kaltmaier: "Auf herkömmliche Weise dauert es sechs bis acht Wochen."
Tempo, Kreativität, Einsparungen - die Vorteile der generativen Techniken erkennen immer mehr traditionelle Industrieunternehmen. Deshalb steht Peter Klink auch voll unter Dampf, als er in den nüchternen Besprechungsraum von Eos im oberbayerischen Krailling stürmt. Der globale Vertriebschef des Weltmarktführers für Lasersintersysteme hat eine ständig wachsende Zahl von Kunden: "Immer mehr Unternehmen wollen unsere Anlagen jetzt auch in der echten Fertigung einsetzen", konstatiert der Chefverkäufer.
So ermöglichen seine Systeme etwa die Herstellung eines an den Patienten angepassten Operationsbestecks, das den Eingriff wesentlich vereinfacht. Auch lasergesinterte Knie-, Hüft- oder Fingerimplantate, die dank ihrer speziell strukturierten Oberfläche besser mit den Knochen verwachsen, machen Umsatz.
"Der 3-D-Druck ist erwachsen geworden", sagt Klink. Weil die Technik in die Fabriken einziehe, lege das Geschäft jetzt kräftig zu. Innerhalb der nächsten fünf Jahre werde Eos den Umsatz von derzeit rund 100 Millionen Euro um ein Vielfaches steigern können.
Deutsche Industrie mit Know-how-Vorsprung
Wachstum und Wettbewerbsvorteile - die generativen Technologien bieten in der Produktion enorme Chancen. Derzeit hat die deutsche Industrie in Forschung und Praxis des Lasersinterns einen klaren Vorsprung. Hier residieren die meisten der auf professionellen 3-D-Druck spezialisierten Unternehmen. Eos verfügt nach eigenen Angaben über einen globalen Marktanteil von 50 Prozent.
Allerdings haben sich längst nicht alle heimischen Produktionsbetriebe schon damit beschäftigt, wie sie von den generativen Technologien profitieren könnten. "Dieser Trend könnte in manchen Bereichen disruptive Wirkungen entfalten. Ihn zu ignorieren wäre deshalb höchst gefährlich", warnt Christoph Zanker, Leiter des Fraunhofer-Kompetenzzentrums Industrieinnovationen.
Schließlich ist mittlerweile ein weltweiter Hype um den 3-D-Druck ausgebrochen. Das amerikanisch-israelische Unternehmen Stratasys, Marktführer bei Anlagen mit Kunststoffspritzdüsen, kaufte Konkurrent Makerbot, der Privatkunden bedient, für mehr als 400 Millionen Dollar. GE verleibte sich die auf AM spezialisierte Firma Morris ein.
Die chinesische Regierung will rund 80 Millionen Dollar in ein Innovationszentrum für AM-Technologien investieren. US-Präsident Barack Obama initiierte im Herbst 2012 ein Forschungsnetzwerk 3-D-Druck mit einem Budget von 69 Millionen Dollar.
Wie GE-Lenker Immelt streben Regierungen und Unternehmen die Führerschaft in der Zukunftstechnologie 3-D-Druck an. "Wir wollen schneller sein als die anderen", tönt seine 3-D-Beauftragte Furstoss. Die Maschinen allerdings, mit denen sie derzeit Turbinenteile sintert, stammen aus Krailling.