Ein Mann und seine Küche Die Herzkammer

Verspielt oder klar? Holz oder Metall? Kein Raum verrät so viel über die Persönlichkeit eines Menschen wie seine Küche. Ein Hausbesuch bei Konrad Winzer, einem Bildhauer aus dem Schwarzwald.
Von Christoph Wirtz

Früh am Morgen zieht ein feuchtkalter Hauch aus dem schwarzen Wald hinunter ins sanfte Hügelland, schnürt geduckt ein Fuchs den kleinen Feldweg entlang, schlägt irgendwo weit entfernt eine Kirchturmglocke. Vor dem Haus fallen Streuobstwiesen wellig hinab in die Rheinebene, drüben liegen ein paar Felder und Eichenwälder am Hang über dem Dunst, darüber die schwarzen Schatten der Vogesen. Drinnen im Haus knacken schwere Dielen, ein Feuer prasselt, ölig schwarz tropft Caffè aus einer chromblitzenden "Faema".

Der Künstler steht vor der schweren Maschine und strahlt: "Jetzt schau dir dieses geile Gift an!" Konrad Winzer ist Bildhauer, einer der tiefgründigsten im Land. Und seine Espressomaschine ist ein bisschen wie er. In vier Sekunden presst sie handgesteuert exakt 80 Grad heißes Wasser mit 12,5 Bar durchs Kaffeemehl, bildet eine sahnige Crema. Die "Faema" ist der ultimative Gegenentwurf zu Latte Macchiato und Chocolate Mocha Frappuccino to go. In ihrer reduzierten Ästhetik ist sie Sinnbild für eine der schönsten Küchen im äußersten Südwesten der Republik.

Weil Kunst und Qualität niemals nur partiell gelebt werden können, hat sich Konrad Winzer eine Küche gebaut, die in jedem Detail seinen Ansprüchen an Funktionalität und Schönheit entspricht. Im ersten Stock seines Hauses am Waldrand gehen unter einem hohen Giebel Küche, Esszimmer und Bibliothek nahtlos ineinander über. Den alten Dachstuhl des Hauses von 1719 hat er nach vielen Umbauten an seiner alten Stelle belassen, aus Respekt vor der Geschichte, der Zimmermannsarbeit.

Hinten öffnet sich ein gemauerter Kamin, daneben stehen ein Humidor, Kunstbände, Goethe-Gedichte und ein steinerner Krug mit verblühten Rosen. Überall im Raum stapeln sich Skizzen und Skulpturen, Grafiken und Entwürfe. Durch eine offene Tür schaut man hinunter ins Atelier - ein 964er Porsche Targa in Leinensilber parkt mitten im Raum vor einer drei Meter hohen Skulpturengruppe Erhängter aus Buntsandstein.

Die Küche von Konrad Winzer zeichnet sich dadurch aus, dass sie eigentlich gar keine ist. Durch das, was ihr fehlt. Ein Induktionsherd zum Beispiel. Oder ein Dampfgarer. "Wer braucht so was?", fragt er. Von einer Mikrowelle ganz zu schweigen. Oder einer Tiefkühltruhe. Die Spülmaschine wird ersetzt durch einen groben Steintrog und eine Wurzelbürste.

Der Stein stammt aus dem Elsass des 16. Jahrhunderts, die Wurzelbürste - nur von einem schmalen Stahlband zusammengehalten - zeigt trotz jahrelangen Gebrauchs keine Abnutzungsspuren. Aus dem Wasserhahn läuft eiskalt das Wasser einer kleinen Quelle der Sandsteinausläufer des Schwarzwaldes oberhalb des Hauses. Süß schmeckt es, mineralisch, sauerstoffsatt.

"Schnell" ist kein Kriterium

Auf der massiven Arbeitsplatte aus Markgräfler Eiche steht ein Kräuterstrauß, den Stamm hat Winzer bei einem Freund ausgesucht, anschließend selbst bearbeitet und ein gebaut. Das Holz ist naturbelassen, braucht kein Öl zum Schutz, nichts. Das Holz schützt sich selber.

Brot röstet auf einem italienischen Eisenofen, im Schuppen vor dem Haus lagern 30 Ster Buchenholz. Gute viereinhalb Zentner wiegt der "Nordica", er wärmt das gesamte Obergeschoss, hält ständig 25 Liter Wasser heiß, heizt große schmiedeeiserne Pfannen und tiefe Kupfertöpfe, erreicht in der Backröhre innerhalb kürzester Zeit bis zu 450 Grad.

Winzer findet, in eine Küche gehört Feuer: "Holz erzeugt eine andere Energie." Zwei Gasflammen gibt es auch noch, falls es mal schnell gehen muss, aber wann muss es das schon? Unten im Garten schält sich aus einem Marmorblock zwischen Obstbäumen und Kräuterbeeten Meißelschlag für Meißelschlag ein neues Objekt. "Schnell" ist kein Kriterium.

Inzwischen ist es neun, der Dunst hat sich vom Rhein verzogen, wie ein Kulisse steht klar die Burgundische Pforte zwischen Jura und Vogesen vor dem Fenster. Hingen die Wolken nicht so tief, man könnte bis zum Montblanc sehen. Gegen Mittag stehen auf dem groben Esstisch hauchzarte Riedel-Gläser und eine goldene Flasche Grauburgunder von Dörflinger aus Müllheim - einem der besten und konsequentesten Winzer der Gegend.

Sein Wein begleitet eine roh gebeizte Lachsforelle, zartschillernde Scheiben von sensationeller Qualität. Drei Jahre ist der Fisch alt, 3,5 Kilogramm war er schwer, aufgezogen in einem Teich mit bester Wasserqualität, der leicht das Zehnfache an Besatz vertragen hätte. Gut 700 Kilometer ist Konrad Winzer gefahren, um diesen Fisch zu kaufen.

"Regional heißt nicht automatisch gut"

"Alle schwätzen von Regionalität. Aber regional heißt doch nicht automatisch gut!" Mit einem japanischen Messer, 15 Jahre in Gebrauch, hat er Tranchen vom Filet geschnitten, saftig und fest, aromatisch und zart zugleich liegen sie ohne jede weitere Dekoration als Stillleben auf Keramikplatten.

Uwe Löllmann, Keramiker von Weltruf, hat sie für den Künstlerfreund im Kiefernholzfeuer gebrannt - entstanden aus nichts als Tonerde und Höllenhitze. Später funkelt seidiger Burgunder im Glas, Steaks kommen in flachen Holzschalen auf den Tisch. Konrad Winzer hat sie aus demselben 120-jährigen Nussbaumstamm geschnitzt, der auch zum Tisch selbst verarbeitet wurde.

Grob wirken die Schalen, archaisch und doch elegant und leicht in ihrer urwüchsigen Kraft. Funktional sind sie natürlich auch, der kostbare Fleischsaft sammelt sich an der tiefsten Stelle, geröstetes Bauernbrot ersetzt den Löffel, Aussparungen bieten Platz für zerstoßenen Pfeffer und grobes Meersalz. Es geht Konrad Winzer bei allem, was er tut, um den Kern der Dinge, um ihre Substanz.

Seine Küche repräsentiert einen umfassenden Qualitätsbegriff. Von den Möbeln bis zu den Lebensmitteln, vom Handwerkszeug bis zu den Zubereitungen. Was er nicht selber baut oder anbaut, kauft er bei Menschen, denen er vertraut. Schnaps lässt er nach klaren Vorgaben für sich brennen, Kräuter zieht er im eigenen Garten. Das alles hat nichts mit Sektiererei zu tun, nur mit viel Konsequenz.

Winzer trennt nicht zwischen Funktionalität und Ästhetik, alles in seiner Küche ist schön und solide zugleich. So wie die Weinkühler, die er vor einiger Zeit entworfen hat, weil er keine gefunden hat, die seinen Ansprüchen entsprachen. Er konnte sie einfach nicht mehr sehen, diese Plastikeimer, "diesen aufgeblasenen Marketingscheiß". Also hat er begonnen, eigene Kühler zu entwerfen. Aus Kupfer, weil Kupfer im Rebschutz genutzt wird; mit weiblichen Akten als Haltegriffe, weil Wein und Verführung eine Einheit bilden; auf Wunsch aus massivem Gold, weil man nur einmal im Leben einen Kühler kaufen muss, wenn er was taugt.

Einer für 20 Weinflaschen steht in der "Newton Bar" in Berlin. So wenig Kunst nützlich sein muss, so sehr muss Nützliches ästhetisch sein. Auch wenn das mancher wohl nie kapieren wird. Wie zum Beispiel der, der einmal ratlos in Konrad Winzers Küche am Tisch vor einer saftigen Speckseite saß, das französische Messer in seiner Hand nachdenklich betrachtete und irgendwie nicht wusste, was er damit ohne Schneidebrett anfangen soll. Bis heute kapiert Winzer nicht, warum. "Da saß der vor einem fünf Zentimeter dicken Schneidebrett von zweieinhalb Meter Länge - und es hat ihm immer noch nicht gereicht."

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