Start der wichtigsten Branchenmesse Lauter Komplikationen und ein Coup von Rolex

An diesem Montag startete die weltgrößte Luxusuhrenmesse "Watches & Wonders". Mit neuen Modellen, Preiserhöhungen und billigerem Material. In Genf offenbaren sich die Spannungen der Szene. Ein Inside-Report samt den wichtigsten Neuheiten.
Überraschungscoup: Selbst hartgesottene Rolex-Fans sind baff – zur "Watches & Wonders" 2023 stellte die Marke am Montag eine komplett neue Kollektion vor. Die "Perpetual 1908" mit Lederarmbändern, erhältlich ab 21.600 Euro.

Überraschungscoup: Selbst hartgesottene Rolex-Fans sind baff – zur "Watches & Wonders" 2023 stellte die Marke am Montag eine komplett neue Kollektion vor. Die "Perpetual 1908" mit Lederarmbändern, erhältlich ab 21.600 Euro.

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In Genf hat die weltweit wichtigste Luxusuhrenmesse eröffnet. Insgesamt 48 Aussteller sind auf die "Watches & Wonders" gekommen. Darunter die weltweit größte Luxusuhrenmarke Rolex sowie unabhängige Familienunternehmen wie Patek Philippe, Chopard und Hermès. Auch Großkonzerne treten an: Der französische LVMH-Konzern von Bernard Arnault (74) mit den drei Manufakturen Hublot, Tag Heuer und Zenith. Sowie Richemont unter Kontrolle der Rupert-Familie natürlich. Der Schweizer Luxusriese ist gleich mit elf Marken vertreten, darunter Cartier, Montblanc, IWC und Vacheron Constantin.

Die Macher erwarten ein Spektakel. "Wir rechnen mit 30.000 Besuchern, darunter 1700 Journalisten, weitere 2500 Medienvertreter nehmen online teil. Hinzukommen etwa 6000 Mitarbeiter", sagt Matthieu Humair, der CEO des Messeveranstalters "Watches & Wonders Geneva Foundation". Viele weitere Marken hätten ebenfalls gern teilgenommen, müssen aber mit ihren Neuheiten-Präsentationen in Boutiquen und Hotelsuiten der Umgebung ausweichen, darunter Topbrands wie Breitling oder Bulgari.

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Das sind die neuen Luxusuhren 2023

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Dahinter steckt durchaus ein Politikum. Jahrzehntelang stellten die meisten Luxusuhrenmarken auf der "Baselworld" aus, die wegen Missmanagement und schlechtem Service zu überhöhten Preisen jedoch 2020 eingestellt wurde. Seither buhlen etliche der führenden Marken um angemessene Präsenz auf der "Watches & Wonders". Die Messe wurde lange vom Richemont-Konzern dominiert. Im vergangenen Herbst jedoch schloss sich die Rupert-Familie mit anderen Luxusmanufakturen wie Rolex oder Patek Philippe zusammen. Gemeinsam gründeten sie die Watches & Wonders Geneva Foundation als Dachorganisation. Richemont besitzt seither nicht mehr die oberste Kommandogewalt, Präsident der Stiftung ist Jean-Frédéric Dufour (55) – zugleich CEO von Rolex. Die Megamarken hätten mit der neuen Messe und dem exklusiven Zugang, so der Vorwurf, eine Art Schweizer Uhrenkartell erschaffen.

Stiftungs-CEO Humair muss zwischen den Parteien vermitteln. "Die operativen Entscheidungen rund um die Messe trifft ein Komitee aus allen Ausstellern", sagt er. Alle Entscheidungen würden kollektiv getroffen. Welche Aufnahmekriterien zu erfüllen sind, darüber schweigt man. Es fällt jedoch auf, dass weniger als 10 Prozent der Aussteller von außerhalb der Schweiz stammen. Genau genommen gehören selbst die zwei deutschen Teilnehmer – Montblanc sowie A. Lange & Söhne – zum Schweizer Richemont-Konzern. Dabei besitzt Deutschland mit über 80 Marken, darunter fundierte Manufakturen, eine renommierte Uhrenindustrie.

"Genf ist und bleibt der Geburtsort der Uhrmacherei", sagt Humair. "Die Prestige-Player haben entschieden sich auf diesem Gipfeltreffen zusammenzufinden, sie stammen nun mal aus Genf und die meisten aus der Schweiz." Das Limitierung der Aussteller würden die Kapazitätsmöglichkeiten des Messegeländes vorgeben – "wir können die Wände der Palexpo ja nicht sprengen". Außerdem, betont der Messe-CEO, würden 2023 zehn Newcomer teilnehmen und seit letztem Jahr auch Grand Seiko aus Japan.

Am meisten Aufmerksamkeit rund um die Messe sicherte sich Branchenführer Rolex. Konsequent hielten die Schweizer ihre Neuheiten geheim und präsentierten sie erst zu Messebeginn an diesem Montag. Ansonsten offenbart sich in Genf der Megatrend des Luxusuhrensegments: Während die Preise für gebrauchte Uhren zuletzt implodierten, steigen die für neue Exemplare extrem an. So wie es die Juwelier-Unternehmerin Kim-Eva Wempe (60) im Interview mit dem manager magazin prophezeit hatte .

Die Preise für neue Luxusuhren steigen

"Nahezu alle Marken haben ihre Preise um 15 bis 20 Prozent seit letztem Frühjahr angehoben", sagt ein internationaler Händler. Man müsse sich schon wundern. Selbst Konzessionäre kämen in Erklärungsnot und könnten ihren Kunden solche Steigerungen nicht mehr vermitteln. "Man verlangt von uns Partnern immer mehr. Wer die Kriterien nicht erfüllt, verliert die Konzession."

Rolex erhöhte 2022 zweimal um insgesamt rund 15 Prozent. Hublot, Panerai, Tag Heuer oder Chopard – fast alle anderen zogen scheibchenweise mit. "Mitten im Weihnachtsgeschäft justierte Patek nach, dann im Februar noch mal. Zum fünften Mal innerhalb von 13 Monaten", schildert der Händler. "Wir alle, auch hartgesottene Branchen-Insider, sind fassungslos." Damit hätten die Marken 2022 zwar ein Rekordjahr hingelegt. Rechne man aber die Preiserhöhungen raus, stagnierte laut Kalkulation des Händlers der Markt eher.

Auf der Messe in Genf setzt sich der Preisboom jetzt fort. Selbst für Einsteigermodelle – schlichte Drei-Zeiger-Uhren aus Stahl oder Titan – werden immer seltener weniger als 5000 Euro aufgerufen. Die Lieblingsuhren für Herren, sportliche Chronografen, klettern deutlich zur 10.000-Euro-Schwelle. Goldmodelle sind mindestens fünfstellig, ebenso die meisten Modelle mit Hightechmaterialien. Und obwohl einige Neuheiten keine Komplikation, kein Gramm Edelmetall und keine Edelsteine besitzen, werden sie einem ohne zu zucken für über 100.000 Euro vorgelegt.

Steigende Preise für Gold und Diamanten

Es gibt auch Ausnahmen. Cartier mit seiner neu aufgelegten Ikone Tank, Oris mit dem amüsantesten Uhren-Gimmick der Messe, ebenso Baume & Mercier mit der Riviera-Jubiläumskollektion sowie Tudor mit hoher Manufakturkompetenz sprechen auch Preissensible an. Allen voran jedoch die deutsche Richemont-Marke Montblanc. "Wir haben die Preise mit 5 Prozent nur bei einer Linie minimal angepasst. Ich möchte nicht übertreiben", erklärt Montblanc-CEO Nicolas Baretzki. "Unsere Uhrenkunden sind eher jung, die reagieren häufiger preissensibel." Während die Uhrenszene das als aggressive Kampfpreise wertet, spricht Baretzki von "intelligenter Preispolitik". "Man kann auch mal auf einen Teil seiner Marge verzichten. Es wäre verheerend, wenn die Uhrenpreise so massiv steigen wie die Rohstoffe."

Tatsächlich schoss in den letzten zwölf Monate der Preis für Diamanten um circa 180 Prozent in die Höhe. Stahl stieg um fast 40 Prozent, Gold erreichte vor wenigen Tagen die Rekordmarke von mehr als 2000 US-Dollar. Hinzukommt die energieintensive Produktion für galvanisierte Zifferblätter und Komponenten, Safirgläser und das Einschmelzen von Metallen für Gehäuse und Armbänder. Auch das Russland-Embargo bremst: Etwa 10 Prozent des weltweit geförderten Goldes und sogar fast 30 Prozent der Diamanten stammten aus russischen Minen. Nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine sprach die Branche schnell von Blutdiamanten, Uhren- und Schmuckhersteller stoppten deren Verarbeitung. Die Alternative sind nun synthetischen Diamanten.

Die Tricks der Branche – mit gutem Gewissen aufpimpen

Auf der Genfer Messe lässt sich das Dilemma der Hersteller erkennen. Die Marken wollen es sich mit den Kundinnen und Kunden nicht verscherzen – müssen aber die Inflation und international angespannte Wirtschaftslage einkalkulieren. Um die Preise zu deckeln oder zu kaschieren, greifen sie fleißig in die Trickkiste. Zum einen werden die Uhren etwas kleiner, auch um weniger der teuren Rohstoffe verarbeiten zu müssen. Just wird der Trend zum Downsizing ausgerufen: Herrenuhren unter 40 Millimetern Diagonale wirkten eleganter, heißt es nun. Der beliebte Vintage-Look sei somit authentischer. Ähnlich argumentiert man bei den Damenuhren, wo immer häufiger 25-Millimeter-Winzlinge beworben werden. Günstiger werden die Modelle dabei nicht, eher im Gegenteil. Gleichzeitig lässt sich mit solchen Größen in China, dem weltweit stärksten Uhrenmarkt, besser punkten.

Zum anderen werden Materialien getauscht. Statt Gold und Platin tauchen günstigeres Titan, Keramik oder Verbundkunststoffe wie Karbon auf. Als Lockmittel lassen sich die Billigstoffe auch kreativer gestalten und in angesagten Tönen färben. Racing-Green und Marineblau sind längst Standard. Im Kommen sind eher Mint- und Grasgrün; von Eisblau bis Türkis vor allem Orange – das Motto lautet, gute Laune verbreiten. Angeblich zum Schutz der Natur werden weniger Perlmutt-Zifferblätter und Edelsteindekore angepriesen, jedoch die gesparten Materialkosten kaum weitergegeben. Diese Tendenz zeigt sich bei Armbändern noch deutlicher: Statt Naturleder sollen es jetzt häufiger vegane Lederbänder richten. Auch Kautschuk- und Textilbänder werden längst als Trend forciert. Der Preisunterschied im Einkauf kann gewaltig sein – bis zu 300 Prozent.

"Nachhaltiger als mechanische Uhren geht es nicht", ruft Jean-Claude Biver (73). Sie brauchen keine Batterien, man kann sie immer wieder reparieren, statt auf den Müll zu schmeißen." Als Enfant terrible der Uhrenbranche weiß Biver, wovon er spricht. Seit über 50 Jahre kennt er die Szene, unter ihm florierten Blancpain, Omega und Hublot und er war bei LVMH für alle Uhrenmarken verantwortlich. Jetzt möchte er es noch mal wissen: "Ich will der jungen Generation etwas zurückgeben, ihr eine bessere Zukunft ermöglichen." Mit seinem Sohn Pierre gründete er seine eigene Manufaktur JCBiver am Genfer See und präsentiert erstmals zur "Watches & Wonders" seine Modelle. Es sind seltene Komplikationen, komplett von Hand gefertigt, streng limitiert, im Eyecatcher-Design, das man auf zehn Meter sofort erkennt. Ihr Preis: nicht unter 300.000 Euro. "Talking Pieces", nennt das die Branche, sie sind Bivers langjähriges Erfolgsrezept – trotz der Preise, oder erst recht. "Ein paar Stück gehen immer", sagt der Altmeister. "Die Uhrenwelt ist nicht rational, sondern emotional."

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