Weltpremiere: Die Schweizer Uhrenmanufaktur Roger Dubuis ist berühmt für Extravaganzen. Dieses Exemplar enthält synthetische Saphire, die unter UV-Licht farbig fluoreszieren – eine patentierte Weltneuheit.
Weltpremiere: Die Schweizer Uhrenmanufaktur Roger Dubuis ist berühmt für Extravaganzen. Dieses Exemplar enthält synthetische Saphire, die unter UV-Licht farbig fluoreszieren – eine patentierte Weltneuheit.
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Luxusuhren als Geldanlage Warum die Preise am Uhrenmarkt einbrechen

Die Uhrenbranche erlebt Kapriolen. Nach einem Rekordjahr liegen kurz vor der wichtigsten Luxusuhrenmesse der Welt die Nerven blank. Einer der Gründe: Der 22 Milliarden Euro schwere Markt für gebrauchte Luxusuhren bricht in rapidem Tempo ein.
Von Michelle Mussler

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Die guten Nachrichten aus der Uhrenbranche zuerst: Das Geschäft boomt. Trotz China-Abschottung, Russland-Embargo und Inflation gelang 2022 ein Rekordjahr – etwa 52 Milliarden Euro Umsatz erzielte der Primärmarkt. Dennoch liegen die Nerven blank. Kurse für Edelmetalle und Edelsteine schlagen Kapriolen, Zulieferengpässe plagen, Produktionskosten werden unkalkulierbar, und neue Sorgen liefert die Credit-Suisse-Krise, weil einige Schweizer Hersteller ihre Geschäfte und Pensionskassen über die Bank abwickeln.

Das ist die Gemengelage kurz vor dem wichtigsten Branchentreffen. Am 27. März startet mit der "Watches & Wonders" (W&W) in Genf die prestigeträchtigste Uhrenschau der Welt. Viele erwarten, dass die 48 Aussteller, darunter die Giganten Rolex und Patek Philippe, aber auch die Luxusgüterkonzerne Richemont mit Cartier, IWC, Montblanc sowie LVMH mit Hublot, Tag Heuer und Zenith, mit ihren Neupräsentationen für viel Gesprächsstoff sorgen werden. Eines der beherrschenden Themen dürfte daneben aber der Markt für gebrauchte Luxusuhren sein – denn der bricht gerade ein.

Erst Flippern, dann Achterbahn

Diese bloße Tatsache überrascht Brancheninsider nicht, jedoch staunen sie über die Geschwindigkeit. Erheblich betroffen sind "Flipper"-Modelle. Gemeint sind neuwertige und extrem begehrte Ikonen, die nur erworben werden, um sie sofort teurer weiterzuverkaufen. Vor gut einem Jahr gingen sie bis zum Fünffachen des Listenpreises über virtuelle Ladentheken. Allen voran Rolex mit "Daytona", "GMT Master II" und "Submariner" sowie Patek Philippes "Nautilus" und Audemars Piguets "Royal Oak". Geschätzt wird, dass jeder fünfte Kunde eine Luxusuhr als Investmentobjekt erwarb. Der Markt wurde leer gefegt, eine Blase entsteht. Laut dem Watchcharts-Index, der Transaktionen analysiert, sackte der Sekundärmarkt innerhalb eines Jahres um 24 Prozent ab. Bei den Flippern sogar um 30 Prozent.

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Die Gründe sind vielfältig. Wegen der Niedrigzinsen waren prestigeträchtige Uhren jahrelang ein unkompliziertes Investment oder eine schnelle und oft undeklarierte Einnahmequelle. Seitdem jedoch die Leitzinsen in den USA und der EU steigen, rutschen die Uhrenkurse ab. Auch die kriselnde Weltwirtschaft drückt auf die Stimmung. Bloomberg will sogar beobachtet haben, dass 2022 die Preise parallel zum Kurs der Kryptowährungen einbrachen.

Um Verluste zu reduzieren, versuchen aktuell Spekulanten ihre Luxusmodelle schnell zu verkaufen. Andere Uhrenbesitzer spüren nach der Corona-Krise die Inflation umso stärker und müssen veräußern. Härter greift auch das Finanzamt durch: Nach einer EU-Richtlinie müssen Onlineplattformen seit 2023 Angaben über die Einkünfte von "Heavy Usern" übermitteln – als "heavy" gelten alle, die pro Jahr mehr als 2000 Euro investieren oder mehr als 30 Artikel kaufen. Kurzum, die Nachfrage sinkt, mehr Ware kommt auf den Markt, das drückt die Preise.

Auf 22 Milliarden Euro schätzte Bain & Company zuletzt das jährliche Marktvolumen von Secondhandmodellen. Davon etwa 25 Prozent für Graumarktware. Das Gros wird über Portale gehandelt. Als die Kurse nachließen, verkündete der weltweit größte Onlineuhrenhändler, Chrono24 aus Karlsruhe, zahlreiche Entlassungen. "Wir haben in der Branche eine sehr volatile Situation erlebt, man könnte es auch Achterbahnfahrt nennen", erklärt CEO Tim Stracke. Noch härter traf es die Luxusuhrenplattform Chronext – ein Viertel der Belegschaft musste gehen, ein Jahr zuvor war schon der Börsengang geplatzt. Watchfinder, der zu Richemont zählt, senkte vor drei Wochen seine Preise um satte 15 Prozent.

Hastig beauftrage das Portal Watchbox die Boston Consulting Group mit einer Studie, die just kurz vor der "Watches & Wonders" erschien. Ihr Fazit: Alles nicht so schlimm, man brauche nur Geduld. In drei Jahren soll der Umsatz von 22 auf 33 Milliarden Euro schießen.

Zertifikate und Pop-up-Fabriken sollen es richten

Hinter dem Preisrutsch wirken noch andere Kräfte. Seriöse Konzessionäre und Marken wappnen sich gegen den Graumarkt und Plagiate. Certified Pre-Owned (CPO) nennt sich ihre Waffe – von den Manufakturen auf Echtheit zertifizierte Secondhandmodelle. Audemars Piguet war 2018 die erste Marke, die mit CPO begann, und kürzlich verkündete sie, das Programm stark auszubauen. Auch Longines von der Swatch Group hat sich der CPO-Idee inzwischen angeschlossen, zuletzt sogar Rolex. Vintageuhren mit Echtheitszertifikat von der Manufaktur, samt Revision und Zwei-Jahres-Garantie, erhält man vorerst bei Bucherer. Weitere Konzessionäre wie Wempe sind in Planung. Wer seinen alte Rolex zertifizieren lassen möchte, kann auch das. Jedoch nur, wenn sie bei einem autorisierten Fachhändler erworben wurde und älter als drei Jahre ist.

Patek Philippe hält sich bislang beim CPO zurück. Stattdessen plane man, die Zahl der Fachhändler stark einzuschränken, und wolle mehr eigene Boutiquen betreiben. Lange & Söhne möchte künftig nur noch über eigene Stores verkaufen. Für Deutschland, den größten Markt der Manufaktur, bedeutet das: nur noch vier Standorte. Und bei Audemars Piguet hört man dann schon mal an der Tür – "sorry, by Appointment only". Auch das ist ein Trend, dessen Vorteile für die Marken auf der Hand liegen: weniger Glücksritter-Flippern, die Klientel selbst auswählen, deren Daten sammeln und die komplette Marge verbuchen. Um treue Konzessionäre allerdings nicht zu verprellen und Kosten zu reduzieren, offeriert man ihnen, die Boutiquen unter dem Uhrenlabel betreiben zu dürfen. Marktbereinigung nennen das die einen. Friss oder stirb die anderen.

Viele glauben, die Branche hätte sich die Misere durch künstliche Verknappung selbst eingebrockt. Für vereinzelte Uhrenlabel oder Limitierungen mag das zutreffen. Für mechanische Uhren der Topliga ist das wegen des Produktionsaufwands aber zu kurz gedacht. Wohl deshalb platzte dem Rolex-CEO Jean-Frédéric Dufour kürzlich der Kragen, kann er doch seit 2015 eine mindestens vervierfachte Produktionsgeschwindigkeit vorweisen. 2022 wurde bekannt, dass ein weiterer Fertigungsstandort gebaut wird, und nun lässt er verkünden, dass Rolex noch 2023 in drei neuen Pop-up-Fabriken produziert wird. 2025 sollen die ersten Zeitmesser von dort kommen.

Frisch, farbig und divers – die Uhrenneuheiten

Laut der Swiss Watch Industry Study von Deloitte bevorzugt mittlerweile auch die Generation Smartwatch mechanische Uhren. Schon jetzt verraten die Vorboten der Messe "Watches & Wonders", dass immer mehr Marken deren Geschmack aufgreifen. Das Design wirkt frischer, bereichert mit kräftigen Farben bis kurz vor dem Neon-Schock. Parallel schwinden veraltete Rollenbilder – Form und Farbe werden genderneutral.

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Zwecks Nachhaltigkeit werden weniger Perlmuttzifferblätter angepriesen. Dafür sind Hightechmaterialien wie kratzfeste und leichte Keramik, Titan und Carbon sowie sonstige Verbundkunststoffe auf dem Vormarsch. Ansonsten heißt es eher Gelb- statt Rotgold.

Omnipräsent bleiben Stahluhren mit Metallbändern. Ein Hauch von Seventies, sportiv verpackt als Drei-Zeiger-Modell oder Chronograf, Hauptsache robust und alltagstauglich. Diese sportlichen Begleiter symbolisieren einen aktiven Lebensstil, ob gelebt oder gewünscht, und zeichnen sich durch charakterstarke Raffinessen aus: Technische Features wie ewige Kalender oder Flybacks, besondere Zifferblätter mit Struktur oder präzisen Details sind ab nächste Woche auf der "Watches & Wonders" deutlich im Kommen.

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