Zehn deutsche Uhrenmarken Jenseits von Glashütte - Zeit aus West-Germany

Go West: Tief im Westen und im Süden der Republik bauen Manufakturen wie Lehman (Foto), Stowa oder Meistersinger ihr Angebot aus
Wer an deutsche Uhren denkt, hat sofort das sächsische Uhrenmekka Glashütte vor Augen. Erst 2020 feierte man dort das 175. Gründungsjubiläum seiner Uhrenindustrie. Seit der Wende herrscht ein Wettlauf wie bei Germany's Next Topmodel - vor allem zwischen den Manufakturen Glashütte Original, A. Lange & Söhne und Nomos. Inzwischen mischen Newcomer und Underdogs wie Mühle-Glashütte, Wempe, Tutima, Union Glashütte und Bruno Söhnle die Szene auf. Immerhin zehn Uhrenfirmen kann das Städtchen, das lediglich rund 7000 Einwohner zählt, vorweisen.
Weniger offensiv zeigen sich die Uhrenhersteller in den alten Bundesländern. Dabei braucht sich Made in West-Germany nicht zu verstecken. Wer genau hinsieht, entdeckt ruhmreiche Traditions- und Familienbetriebe, besessene Erfinder und kesse Start-Ups, die das zweitgrößte Uhrenland der Welt (nach der Schweiz) prägen. In puncto Präzision, Funktionalität und Designs sind deutsche Uhren nicht nur konkurrenzfähig, sondern liegen im Schnitt preislich unter den Luxusmarken aus der Schweiz.

Westdeutsche Uhrenmarken
Mittlerweile haben sich fast 100 deutsche Uhrenmarken und etliche Zulieferbetriebe etabliert, die eine stetig wachsende Eigenfertigung aufbauen und teils sogar die Schweizer Kollegen beliefern. Wahr ist aber auch, dass viele deutsche Hersteller von zugelieferten Schweizer Uhrwerken und Komponenten abhängig sind.
Made im Ländle
Als weiteres großes Uhren-Cluster gilt der Schwarzwald. Allen voran der wohl berühmteste Hersteller aus dem Ländle Junghans mit seiner 160-jährigen Geschichte. Angesiedelt in Schramberg, ist die Firma im Privatbesitz des schwäbischen Investors Hans-Jochem Steim und bringt jährlich etwa 60.000 Uhren hervor. Zum Erfolg zählt nicht nur die schwäbische Preispolitik, sondern auch die puristischen Design-Klassiker der Linien Meister und Max Bill, die vor allem bei jüngerem Publikum ankommen. Im globalen Digitalisierung-Boom reanimierte Junghans jüngst seine Weltpremiere aus den 1970er Jahren – die Funkarmbanduhr Mega, die für knapp unter 1000 Euro zu haben ist.
Gleich im Nachbarort Hardt entstehen Uhren-Preziosen der Marke Lehmann. Die Gehäuse sind gewölbt und die Armbänder integriert, damit sich die Uhren besser ans Handgelenk schmiegen. Um die Proportionen zu optimieren, erfand und patentierte man die komplett versenkbare Krone. Und um die Kaliber optimal bestaunen zu können, bestehen die Rotoren aus Saphirglas. Letztlich bewegt sich das Design irgendwo zwischen modernen Klassikern und nüchternem Ingenieur-Stil. Doch dahinter steckt ein Perfektionist und Enthusiast: Markus Lehmann gründete die Mini-Manufaktur erst 2011, erwarb binnen kurzer Zeit Aufmerksamkeit bei Uhrenkennern und hat heute 12 Mitarbeiter. Lehmanns Know-how hat jedoch seinen Preis: ab 6.000 Euro kosten die Manufaktur-Uhren Made in Hardt.
Mit digitaler Pionierleistung und günstigen Preisen überzeugt dagegen der Uhrenhersteller Stowa weltweit Fans. Die etwas angestaubte Firma von 1927 aus dem Schwarzwald übernahm Jörg Schauer vor 25 Jahren. Er setzte konsequent auf mechanische Kaliber, re-interpretierte Erfolgsmodelle für Piloten sowie Bauhaus-Designfans und nutzt ausschließlich den Direktvertrieb – prompt etablierte er den ersten Online-Shop einer deutschen Uhrenmarke. Diese Strategie zahlte sich besonders in der Corona-Krise aus. Erst diesen Sommer übernahm die Tempus Arte Gruppe die Marke. Die Münchner Gruppe des Unternehmers und Wissenschaftlers Ulrich L. Rohde ist momentan fleißig auf Shoppingtour und übernahm auch die Uhrenmanufaktur Lang & Heyne Dresden sowie die Uhren-Werke-Dresden. 2010 gründete die Empus Arte Gruppe Leinfelder Uhren in München und ist seit Sommer an Blaken, den Experten aus dem Sauerland für Individualisierung von Luxusuhren, beteiligt.
Deutsche Tugenden als Verkaufsförderer - Kundenzuwachs in USA und China
Uhrenmarken und Juweliere mit eigenem Online-Shop kamen bislang am besten durch die Pandemie. Zuletzt erlebten einige sogar einen kleinen Boom, konnten die Misere aber bis zum Beginn der vierten Welle aber meist nicht bereinigen. "Momentan sind die Firmen der Uhrenindustrie wieder sehr zufrieden mit der Auftragsentwicklung", meint Guido Grohmann. Laut dem Geschäftsführer des Bundesverbandes Schmuck und Uhren liegt es nicht an den Stückzahlen, als vielmehr "am Durchschnittspreis des Kassenzettels, der sogar deutlich über dem Wert liegt, den wir vor Corona hatten." Es wird hochwertiger und bewusster vor allem bei renommierten Marken gekauft.
Den Trend "Klasse statt Masse" belegen auch die Exportzahlen des Schweizer Uhrenverbandes FHS. Modelle über 3.000 Franken erlebten jüngst ein zweistelliges Wachstum. Als Zugpferde dienen die Märkte USA (+ 35,6 %) und China (+23%). Europa hingegen schwächelt (-6,2%), wo Deutschland als einer der größten Märkte im Mittelfeld liegt (-6,0%), jedoch Spanien (-15,6%) und Frankreich (-28,3%) stark abfallen.
Lieferengpässe oder Probleme bei Zulieferern sieht der Bundesverband bei deutschen Uhren nicht. Die Pandemie zeigt auch in der Uhrenbranche, dass sich die Strategie lohnt auf vermehrte Eigenproduktion im Land zu setzen. Allerdings könnte der Goldpreis weiter steigen und diese Uhrenmodelle absehbar teurer werden.
Familienbetriebe wie Damasko bei Regensburg tangiert das wenig. Man setzt auf Stickstoff-gehärteten U-Boot-Stahl, auf Silizium-Spiralen und charakterstarke Ingenieurskunst. Zahlreiche Patente und viel Knowhow des Materialexperten und Gründers Konrad Damasko stecken dahinter. Eigentlich ist er Zulieferer von Hochpräzisions-Metallteilen für die Luftfahrt- oder Automobilindustrie. 1994 kam die Uhrenmarke hinzu. Inzwischen leitet sie seine Frau Petra, die zwei Töchter verantworten Vertrieb und Marketing, der Sohn ist technischer Direktor mit gesamt 30 Mitarbeitern. Der Anteil an Schnickschnack liegt bei nahezu Null, der für die Fertigungstiefe bei 90 Prozent. Damasko war einer der ersten Uhrenhersteller überhaupt, der Silizium-Spiralen verbaute – sie sind korrosions- und stoßfest, amagnetisch und arbeiten besonders präzise – und ist damit bis heute der einzige Deutsche. Trotz der vielen Patente liegen die Preise für Chronografen unter 3.500 Euro. Das kommt international gut an, vor allem in den USA, dem größten Markt der Marke.
Hält höchsten Belastungen stand, ist gnadenlos funktional und allzeit optimal ablesbar – dafür stehen die sportlichen Spezialuhren von Sinn aus Frankfurt am Main. Sogar das Kommando der Spezialkräfte der Marine (KSM) trägt die Modelle aus dem extra gehärtetem Stahl im Einsatz. Mittlerweile erweiterte der Besitzer Lothar Schmidt sein Sortiment und rüstet auch Banker- und Broker/innen für ihre Kampfeinsätze an der Börse aus: Die Kollektion "Frankfurt Finanzplatzuhren" sind weniger martialisch und ein vernünftiges Investment unter ca. 5.000 Euro.
Einzeiger-Modelle: Uhren zur Entschleunigung
Auch das sind typisch deutsche Uhren: puristische Einzeiger-Modelle. Sie verzichten auf hektische Sekunden- und Minutenzeiger, besitzen nur einen Stundenzeiger. Das wirkt entspannend, fast schon generös. Dennoch erlauben sie das minutiöse Zeitablesen mittels markanter Fünf-Minuten-Indexe und klarer Kontraste. Inspiriert von Modellen aus dem Mittelalter, kreierte der Designer Klaus Botta 1986 die erste Einzeigeruhr der Neuzeit. Radikaler Purismus kombiniert mit extremer Moderne machen den Charakter seiner Modelle aus, die er mit bewährter Schweizer Technik in Königstein günstig und vor allem erfolgreich fertigt. Auch das 2001 in Münster gegründete Unternehmen Meistersinger hat sich auf Einzeigeruhren spezialisiert und begeistert vor allem Skandinavier und Holländer. Inzwischen entwickelte man zusammen mit Schweizer Uhrmachern eigene Kaliber und kommt auf eine Jahresproduktion von etwa 9000 Uhren.