
Erste Luxusuhrenmesse in Hongkong Gute Zeiten
Hongkong - Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg kommen. So lässt sich die aktuelle Situation in Hongkong beschreiben. In diesem Fall ist der Berg das Convention and Exhibition Centre und der Prophet die Fondation de la Haute Horlogerie (FHH).
"Watches & Wonders" heißt die Luxusuhrenmesse, welche die FHH hier bis zum 28. September veranstaltet. Uhrengläubige werden hier von 13 namhaften Marken erleuchtet. Dazu gehören Cartier, A. Lange & Söhne aber auch Audemars Piguet und Roger Dubuis. Im Grunde ist es eine etwas kleinere Exportversion der alljährlichen Genfer Messe 'Salon International de la Haute Horlogerie' (SIHH).
Dennoch ist einiges anders. Dürfen den exklusiven SIHH nur ausgewählte Fachbesucher betreten, so richtet sich die Watches & Wonders neben Händlern auch an Endverbraucher. "Konzessionäre können ihre Lieblingskunden mitbringen, Banken ihr Top-Klientel, ebenso die Auktionshäuser", erklärt Richard Mille, Gründer der gleichnamigen Uhrenmanufaktur.
Vor allem Uhrensammler und 'Xiaozi' sind willkommen. So bezeichnen Chinesen ihre neue Oberschicht, wobei der Begriff auch süffisant Bourgeoisie bedeuten kann. Momentan leben immerhin 1,05 Millionen US-Dollar-Millionäre in China. Zudem etwa 64.500 Milliardäre. Vermutlich tummelt sich gerade auf der Watches & Wonders die höchste Millionärsdichte der Welt (es sei denn, die Kunden sind gerade bei der Yacht Show in Monaco unterwegs). "Die Watches & Wonders", formuliert es Bernard Fornas, Co-CEO der Richemont Gruppe, charmant, "ist eine Einladung, die Verbindung zwischen Europa und Asien zu erneuern und auszuschmücken".
Einlass nur mit Einladung
In der Praxis sieht es allerdings so aus, dass man nur mit personalisierter Einladung eine Eintrittskarte erhält. Die Besucher müssen in Hongkong, China, Indonesien, Taiwan, Singapur, Malaysia, Thailand, Korea, Vietnam, Philippinen oder Australien beheimatet sein. Westler hingegen haben keine Chance auf Einlass, außer sie lassen ihre guten Kontakte spielen.
"Alleine das zeigt schon, wie sehr sich die europäischen Marken vor Asien verbeugen", meint Peter Braun, Chefredakteur des Fachmagazins Armbanduhren. "Zum Glück verbiegen sie sich noch nicht vollends. Das Uhren-Schönheitsideal, zumindest in der Haute Horlogerie, entspricht noch dem tradierten europäischen Geschmack und Wertekanon."
Dennoch dominiert Fernost die Markenpolitik. "Große Sorge bereitet mir die Preistreiberei, die die Europäer nicht mehr erreicht", meint Braun. Seit mehr als 20 Jahren ist er in der Branche und nennt die Dinge beim Namen: "Ein vernünftig und wirtschaftlich überlegender deutscher Geschäftsmann hinterfragt doch, was er für sein Geld erhält. Und da muss sich die Uhrenbranche gefallen lassen, dass man den Preis einer hochwertigen Uhr mit dem eines Autos vergleicht. Da stimmt die Relation nicht!"
Diese Preisliga existiert zwar schon seit langem, sei es für Tourbillons oder Minutenrepetitionen, "inzwischen kosten aber schon profane Chronographen und Uhrentechnik mit vergleichsweise geringer Fertigungstiefe horrende Summen."
Der Flirt der 'Xiaozi' mit den Neuheiten
Um das hochkalibrige Publikum zu umgarnen, lanciert hier jeder Uhrmacher Neuheiten. Die deutsche Manufaktur A. Lange & Söhne demonstriert ihr Können in einem Duett. Beim Lange 1 Tourbillon Ewiger Kalender Handwerkskunst ist das Zifferblatt erstmals üppig mit Tremblage- und Reliefdekor veredelt und die Datumsziffern von Hand gemalt.
Nahezu schüchtern, aber sympathisch kommt die Saxonia Automatik Großdatum als Rotgoldversion daher. Zwar bieten beide keine neue Mechanik, "weil wir die Qualität halten wollen und Produktentwicklung dauert eben. Alle halbe Jahr eine neue Technikinnovation vorzustellen wäre unrealistisch", versichert der PR-Leiter Arnd Einhorn. Dafür sind sie streng limitiert. Dass Montblanc, dessen Hauptsitz in Hamburg seit kurzem von der Uhrenkoryphäe Jérôme Lampert geleitet wird erkennt man sofort.
Beachtliche Technikkompetenz steckt in dem Exo Tourbillon der Villeret 1858 Kollektion, das jetzt mit Schleppzeiger existiert, wobei die Chronographenfunktion über einen Monodrücker gesteuert wird. "Wir wollten eben eine echte Neuheit zeigen und keine Adaption", heißt es stolz.
Noch einen Schritt weiter geht man bei Vacheron Constantin, indem man gleich zwei Rekorde in einem Zeitmesser präsentiert. Die Patrimony Contemporaine Ultra-Thin Calibre 1731 ist zum einen mit ihren 8,09 Millimetern Gesamthöhe die flachste Minutenrepetition, zum anderen gilt das Kaliber als das dünnste Minutenrepetitionsuhrwerk auf dem Markt.
Weltpremieren eigens für China
"Wir exportieren schon seit 1835 nach China, weshalb uns der Markt diese hochrangige Weltpremiere wert ist", erklärt Juan Carlos Torres. Der CEO räumt ein, "etwa 40 Prozent unserer Produktion verkaufen wir in China und Hongkong. Es könnte noch weit mehr sein, wir möchten aber unsere europäischen und amerikanischen Stammkunden nicht vor den Kopf stoßen, weshalb wir dort stets sehr präsent sind".
Kein Wunder, da viele chinesische Touristen für blühenden Umsatzwachstum in Europa und den USA bei allen Uhrenmarken sorgen. Torres möchte mit der Modellpolitik auch gezielt das Sammlerklientel ansprechen, das er in zwei Kategorien einordnet.
"Die einen, egal wo auf der Welt, investieren in komplizierte Uhrmachertechnik mit hoher Werthaltigkeit. Die anderen, die meist aus China stammen, wollen individuell gefertigte Unikate. Mehr und mehr findet hier nämlich ein Wandel zur eigenen Identität statt. Außerdem haben viele Herren keine Probleme, komplexe Mechanik mit Diamanten zu kombinieren, im Gegensatz zu Europa. Für Asiaten haben Edelsteine eine gewisse Spiritualität."
Besonders offensichtlich wird das bei Piaget. Die funkelnden 332 Diamanten der Emperator Coussin Minutenrepetition lassen einen fast erblinden. Zwei Exemplare wurden sogar innerhalb weniger Stunden an den Mann gebracht - Stückpreis etwa 250.000 Euro.
Unter sechsstelligen Beträgen geht hier kaum etwas
Sowieso scheint man sich hier mit dem Niveau unter sechsstelligen Beträgen kaum abzugeben. Roger Dubuis, eine Manufaktur mit hoher Fertigungstiefe betört mit dem Excalibur Quatour in schwarzem Titan. Der respektwürdige Schnellschwinger mit vier Unruhen, die wie wild um die Wette ticken, verlangt etwa 350.000 Euro.
Auch beim unabhängigen Familienunternehmen Audemars Piguet macht der Ton die Musik. Uhrenbesessene möchte man mit einer Roségoldversion der Millenary Minutenrepetition ködern. Wobei 400.000 Euro sicher auch den einen oder anderen neureichen Asiaten zum Nachdenken anregen.
"Für uns ist die Watches & Wonders eine reine PR-Messe, verkauft wird nach wie vor auf der SIHH", erklärt der Marketingdirektor Tim Sayler. Über 700 Journalisten sind akkreditiert, "die meisten erhalten eine Führung auf unserem Stand, wo sie hautnah Uhrmacher bei der Arbeit erleben".
Doch Sayler ist auch einer der wenigen, der offen Fakten preisgibt: "Knapp 45 Prozent unserer etwa 35.000 Uhren Jahresproduktion exportieren wir nach Asien. Hinzu kommen die chinesischen Shopping-Touristen. Allerdings hat uns die neue Politbürokampagne zu mehr Bescheidenheit einen Dämpfer verpasst. Leichten Zuwachs erleben wir nur noch in den USA und Europa".
Hongkong ist der stärkste Umsatzort für Schweizer Uhren
Das spiegeln auch die Zahlen des Verbandes der Schweizerischen Uhrenindustrie FH wider. Im ersten Halbjahr 2013 stagnierte nahezu der Export mit einem leichten Plus von 0,8 Prozent bei gesamt etwa 8,3 Milliarden Euro. "Wir wissen durch das Zensus- und Statistikamt der Regierung der Sonderverwaltungszone Hongkong, dass für etwa 17,8 Milliarden Hongkong-Dollar (rund 1,7 Milliarden Euro) Schweizer Uhren importiert wurden", sagt Ivan Lee, Direktor des Wirtschafts- und Handelsbüros Hongkong.
Zwar bedeutet das ein Minus von etwa elf Prozent, doch damit ist die Stadt noch immer der weltweit stärkste Umsatzort für Uhren made in Swiss. "Etwa 90 Prozent der Käufer sind Touristen aus China. Für sie sind Uhren nicht nur Statussymbole, sondern auch ein traditionelles Reisesouvenir", erklärt Joseph Chu.
Als Executive Direktor bei Prince Jewellery, die 14 Boutiquen in Hongkong betreiben, kennt er den Grund: "Auf dem Festland sind Uhren etwa 30 Prozent teurer wegen der Import- und Luxussteuer, die bei uns entfallen. In Europa sind sie nochmals um fünf bis zu 20 Prozent günstiger". Das erklärt den steigenden Absatz selbst in krisengebeutelten Ländern wie Italien und Spanien.
Nach jährlichen Umsatzexplosionen um die 40 bis 50 Prozent, spürt auch Chu die neue Bescheidenheit, "seitdem Peking die Korruption bekämpft. Wir verkaufen nicht wesentlich weniger Stückzahlen. Doch statt der teuren sind es eher mittelpreisige Uhren, die bei 3.000 Euro liegen. Keiner kann sagen, ob das nur ein momentaner Trend ist oder sich die Mentalität dauerhaft ändert." Alain Zimmermann, der Baume & Mercier geschickt lenkt, hat pünktlich den Nerv des Zeitgeists getroffen: "Wir haben die neuen Modelle in puncto europäischen Traditions-Stil und Qualität verankert. Und das spüren wir absolut, besonders bei den Chronographen für etwas über 3000 Euro. Wir sind weiterhin sehr zufrieden und zuversichtlich."
Orientierungshilfe für die Superreichen
Ähnlich sieht es die Deloitte Swiss Watch Industry Studie 2013. Das wichtigste Branchenbarometer verkündete kürzlich, dass 65 Prozent der Uhrenproduzenten beschwingt in die nächsten 12 Monate blicken. Weitere Zuversicht garantiert das am 6. Juli besiegelte Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China.
Idealer kann der Zeitpunkt also kaum sein. Dabei wurde über die Idee eine Luxusuhrenmesse in Asien zu etablieren schon vor drei Jahren getuschelt. Intern liebäugelt man damit wesentlich länger. Der Richemont-Konzern richtete schon 2004 in Peking eine imposante Uhrenausstellung aus. Ihr Name: 'Watches & Wonders'.
Damals begründete Franco Cologni, Non-executive Director und Graue Eminenz bei Richemont, das Engagement: "Wir müssen die Menschen in den aufbrechenden Ländern dahingehend orientieren, was sie mit ihrem verfügbaren Geld alles machen können. Wenn Sie einen Markt neu aufbauen und erobern wollen, können Sie nicht einfach den Koffer packen und mit der Ware dorthin reisen."
Er betont, man müsse eine Kultur entwickeln, die Philosophie hinter Produkten erläutern, die Geschichte und Kompetenz von Marken vermitteln. "Wenn wir diese Menschen gezielt schulen und an unsere Thematik heranführen, werden sie irgendwann wertvolle Kunden für uns", lauteten seine prophetenhaften Worte vor neun Jahren in der Handelszeitung. Das ist aktueller denn je. Heute ist Cologni, zusammen mit Fabienne Lupo, auch Vorsitzender der FHH, welche die Messe ausrichtet.
Die Vermittlung der Uhren-Kultur als Herzenssache
Dass ihm die Vermittlung der Uhren-Kultur eine Herzensangelegenheit ist, wird überall deutlich - und ist ein weiterer Unterschied zur SIHH. Mehr als 40 Disziplinen traditioneller Uhrmacherei sind in separaten Ausstellungen und an den Ständen aufgebaut. Zusammen genommen quasi eine komplette Manufaktur.
Spezialisten und Künstler des Emaillierens, Guillochierens und Edelsteinsetzens bis hin zum Finissieren winzigster Uhrwerksteile demonstrieren authentisch ihr Handwerk. Von der Feile bis zur 350 Kilo wuchtigen Werkbänken, alle und alles wurde für die vier Messetage aus Europa eingeflogen. Das Publikum staunt. Eine Chinesin fragt einen Graveur, warum er das nicht maschinell mache. "Weil das unsere Tradition ist", so die schweizerisch diplomatische Antwort.
Etwas pikant ist zudem das Signal, das die Watches & Wonders mit ihrer Präsenz zeigt. Nur drei Wochen vorher fand die 'Hong Kong Watch and Clock Fair' an selber Stelle statt. Selbstbewusst behauptet sie, die weltweit größte Uhrenmesse zu sein. Mit über 700 Ausstellern, die in Asien produzieren und das preisgünstige Segment bedienen, mag das zutreffen. Unter Experten gilt jedoch die jährliche Baselworld als die Weltmesse für Uhren.
Dass Masse nicht auch Klasse ist, zeigt sich daran, dass die Hongkonger Messe seit Jahren von gleich mehreren Kontrollteams einer Anti-Counterfeiting Gruppe des Schweizer Uhrenindustrie-Verbandes durchpflügt wird. Und das mit großem Erfolg. Damals wie heute, hätte es Cologni nicht treffender formulieren können: "Gebildete Menschen mit Lebensstil und -kultur wollen weder schlechte Produkte noch Nachahmungen oder Fälschungen, sondern authentische Markenware hoher Qualität." Somit gilt die Watches & Wonders nicht nur als Missionar, sondern auch als Bewahrer europäischer Leitkultur. Einer sehr lukrativen zudem.