
Die Trends der Möbelmesse IMM Cologne Einfach plüschig!
Plüsch und Purismus sind kein Widerspruch - das zeigt die Möbelmesse IMM, die noch bis 22. Januar in Köln läuft. Seite an Seite stehen hier der nüchterne Stahlrohrstuhl mit glatter Schale und das Barocksofa mit weichen Rundungen und flauschigen Stoffen - und das unter dem goldenen Lüster.
Ursula Geismann, Sprecherin des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie, erwartet als großen neuen Trend eine Fusion von gemütlichem Kitsch und der Nüchternheit des Bauhauses. Warum ist ausgerechnet Schnörkeliges im Trend, das leicht sogar an die Grenzen zum Kitschigen stößt? Weil wir die Formsprache als angenehm empfinden, wie Geismann erklärt. "Weil wir damit Wärme und Gemütlichkeit assoziieren." Und danach sehnten sich die Menschen derzeit stark; sie empfänden Sehnsucht nach Sicherheit und der Rückzug ins Zuhause.
Und doch meinen Branchenexperten, dass viele Hersteller auch auf einen sehr nüchternen, reduzierten Wohnstil setzen werden, etwa im Stil des Bauhauses. Auch das entspricht dem Zeitgeist - und erfüllt ein weiteres Bedürfnis der Menschen. Seit einigen Saisons schon schwelgen Designer viele im Retro-Trend. Manches Unternehmen legt sogar Originalentwürfe, die seit Jahrzehnten nicht mehr hergestellt werden, wieder auf - mit Erfolg.
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Zugleich steigt die Nachfrage nach den großen Klassikern der Möbelbranche. "Im vergangenen Jahr waren Möbel im Mid-Century-Design beliebt", sagt Geismann. Das umfasst Produkte aus der Zeit von 1940 bis 1960. Nun bedienen sich die Firmen an der Produktpalette weiterer Jahrzehnte - den 1920er und 1930er Jahren, und darin vornehmlich dem Bauhausstil.
"Es geht zurück in die Zeit vor dem Internet", erklärt die Trendanalystin die Rückwärtsrolle der Branche. Zwar ist der Sprung ab Beginn der Massenverbreitung des Internets um 1996 bis in eine Stilwelt komplett ohne Digitalisierung um die 1920er Jahre ziemlich groß, doch man muss es symbolisch verstehen: Es geht optisch in eine Welt ohne die moderne Hektik und die Schnelligkeit der neuen Medien.
Denn das Zuhause soll eine Umgebung sein, die uns davon verschont - wenn mal der Punkt erreicht ist, an dem wir das Handy abschalten wollen. Möbel im Stil vergangener Jahrzehnte machen das Haus und die Wohnung dann zumindest gefühlt zu einer Zeitkapsel mit dicker Stahltür, in die man sich bei Bedarf zurückziehen kann.
Stilfrage: Ein jeder wie er will
Diese beiden gegensätzlichen Einrichtungsstile könnten nun sogar gemeinsam im gleichen Raum unterkommen, prognostiziert Geismann. Weil einem beide Stile aus der Seele sprechen. Aber es gilt auch: Wer eben nicht darauf steht, wählt dann doch nur eine Richtung aus, oder er lässt beides ganz weg.
Dieses "Weil man kann" - das ist eigentlich gerade die Antwort auf jede Trendsuche. Denn der im Moment über allem schwebende Mega-Trend der Möbelbranche ist die Individualisierung. Alles ist möglich. Und jeder macht in seiner Wohnung sowieso, was er eben will. "Wir können daher auch nicht mehr von dem einen großen Trend für das Jahr sprechen", sagt Geismann.
Es gibt 2017 viele Trends, Richtungen und Stimmungen, größere und kleinere - passend zu ganz vielen Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Sehnsüchten. Das heißt: Wo früher die nahezu gleiche Kücheneinrichtung in der ganzen Nachbarschaft stand - in dem Stil, der eben zum Zeitpunkt des Baus gerade im Trend war, ist jetzt jede Wohnung, jedes Haus so eigen wie sein Besitzer selbst. "Früher hat man die Wohnung eher für andere eingerichtet", erklärt sich Majerus die Veränderung. Man wollte zeigen, dass man es schick zu Hause hat. "Heute traut sich jeder, er selbst zu sein." Auch wenn das dem Nachbarn nicht gefällt.
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Das bemerkt nicht nur die Möbelbranche. Gerd Müller-Thomkins vom Deutschen Mode-Institut in Köln stellt sogar fest, dass für die Bekleidung kaum noch ein Trend vergeht, sondern es kommt immer nur noch einer dazu, während das Bekannte erhalten bleibt. "In der Möbelbranche ist das nicht viel anders."
IMM-Sprecher Majerus bestätigt das: "Wir haben vor Jahren schon mit dem Cocooning und Homing angefangen" - beides Schlagwörter für den Rückzug in ein immer gemütlicheres und mit mehr Bedacht eingerichtetes Zuhause. "Und wenn wir ehrlich sind, das zieht sich bis jetzt durch." Genauso sei das mit dem Trend zu natürlichen Materialien für Möbel sowie die Ressourcenschonung. Auch die Digitalisierung setzt sich fort, besonders in der Küche.
Nur Herd, Backofen, Kühlschrank und Mikrowelle reichen so manchem begeisterten Koch nicht mehr. Sie wollen Geräte, mit denen auch Profis perfekt kochen würden. Mieles neue Serie SmartLine etwa umfasst nicht nur Klassiker-Geräte der Küchen hierzulande. Möglich ist auch ein Teppan Yaki, ein sehr heißer Edelstahlgrill aus der japanischen Kochtradition für Kurzgebratenes, sowie ein extra Barbecue-Grill und eine Induktionsmulde speziell für einen Wok.
Siemens Hausgeräte erweitert seine Backöfen der Serie StudioLine um die Funktion Sous-Vide mit einer Vakuumierschublade als Einbaulösung. Auch Neff, eine Marke aus gleichem Haus, ergänzt seinen FullSteam-Backofen um ein Sous-vide-Programm zum langsamen Dampfgaren bei niedrigen Temperaturen und bringt eine Vakuumierschublade für Privatküchen auf den Markt.
Der Trend zur ganz großen Tafel
Aber auch offline tut sich einiges. Tafeln, arbeiten und feiern: Lange Esstische sind ein Schwerpunkt IMM. Ihr Einsatzort soll die ebenso trendige offene Wohnküche sein. Die Designer sehen die Tafeln als das Zentrum des Familienlebens und der Kommunikation im Haus an. Neu ist, dass die Möbeldesigner seit einigen Jahren die einstigen Sonderanfertigungen in den Fokus nehmen.
Kaum ein Hersteller von Tischen kommt ohne Tafel im Programm aus, und die Palette wird ergänzt. Das Besondere: Die mächtigen Riesen sind so flexibel, dass sie sich Wohnsituationen anpassen. Warum so mancher Designer sich gerade derzeit dieses Möbelstücks annimmt, erklärt Jorre van Ast, dessen neuer Eichen-Tisch namens Trestle Table von Arco auf der IMM präsentiert wird.
"Die Art, wie wir leben, und damit auch die Orte, an denen wir leben, verändern sich", erklärt der Designer. "Traditionell haben die meisten Häuser eine Küche mit einem kleinen Küchentisch, ein Esszimmer mit einem Esstisch und ein Wohnzimmer oft mit einem Sofa und einem Couchtisch." Aber nun öffnen sich die Grundrisse - die Wohnräume haben weniger Wände. Gerade Küche und Esszimmer verschmelzen nahtlos miteinander, erklärt van Ast. "Im Mittelpunkt steht hier ein Gemeinschaftstisch in zentraler Lage."
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Und das macht den Tisch zu mehr als nur zu einem Esstisch: "Die Funktion des Tischs definiert sich nicht mehr nur durch ausgedehntes Essen, sondern vielmehr über alle Aktivitäten, die rund um ihn stattfinden. Der Tisch ist das Herz des Hauses oder der Wohnung geworden: Hier wird zusammen gegessen, Zeitung gelesen, Hausaufgaben gemacht, gespielt oder auch einfach entspannt", zählt van Ast auf.
Das Unternehmen Thonet bezeichnet seinen neuen 2,50 Meter langen Tisch für bis zu zehn Personen namens S 1091 als eine "Kommunikationsplattform". Der Designer Randolf Schott erklärt die Vorzüge so einer Tafel: "Dort sitzt man sich gegenüber - vis-a-vis, und nicht über Eck. Die Kommunikation ist gleichwertiger und fokussierter, da man sich direkt in die Augen schauen kann." Man kenne das etwa von Hochzeiten oder aus dem Biergarten. "Dieses vertraute Gefühl möchte man sich vielleicht gern nach Hause holen und im eigenen Habitat anwenden", glaubt Thonets Leiter für Design und Entwicklung.
Die Hersteller arbeiten auch an der Bequemlichkeit der Tische: Der Trestle Table von Arco, den es mit bis zu 3,60 Meter Länge gibt, steht statt auf den üblichen außen positionierten Beinen auf zwei Tischböcken zentral unter der Platte. So hat man mehr Platz für die Beine. Von Thonets Tisch S 1091 gibt es auch ein Modell S 1092 mit einer Fußablage, die eine rückenschonende Sitzhaltung fördern soll.
Außerdem sollen die Tische trotz ihrer Größe flexibel sein, Ercols Modell Ponte lässt sich beispielsweise von 2,20 auf 3 Meter verlängern. Team 7 präsentiert mit dem Modell yps von Jacob Strobel einen Auszugtisch, der entweder um zwei Sitzplätze wachsen kann oder eine Bestecklade erhält. Viele Modelle sind auch höhenverstellbar. Und sie sollen mobil sein. Horgenglarus legte zum Beispiel kürzlich einen Entwurf aus dem Jahr 1953 erneut auf: den Ateliertisch von Hans Bellmann. "Der Tisch sollte äußerst einfach zerlegbar sein", erläutert die Firma die Idee. "Umzüge, bei denen der Tisch demontiert und wieder zusammengebaut werden muss, verkraftet er bestens."
Günstig sind diese großen Modelle oft nicht. "Aber ich suche mir nicht fünf kleine aus, sondern ganz bewusst einen großen", erklärt sich Gabriela Kaiser, Trendanalystin aus Landsberg am Lech, den Verkaufserfolg solcher Tafeln. "Und es ist ja ein Multifunktionsmöbel." Ihre Familie hat zum Beispiel den Schreibtisch eines Kindes verkauft - es saß während des Erledigens der Hausaufgaben lieber zusammen mit den anderen im Wohnraum statt alleine in seinem Zimmer. "Hier ist er Teil des Familienlebens."
Doch es gibt eine Parallelentwicklung zum großen Esstisch als Familien-Plattform. Immer mehr Hersteller setzen auch auf Mini-Schreibtische - Möbel für die Gelegenheiten, wenn man doch mal einen getrennten und ruhigeren Arbeitsplatz braucht. Etwa für das Homeoffice. Und diese Möbel können inzwischen sehr klein sein - denn statt wie früher für viele Akten und Ordner braucht man heute schließlich nur noch Raum für ein Notebook.