Man muss sich nicht gleich in eine Rüstung werfen, wenn man im Meeting Flagge zeigen will. Aber Geradestehen für die eigenen Werte sollte eine Selbstverständlichkeit sein
Foto: TOLGA AKMEN/ AFP
Katharina Starlay
Foto: Antje Kern
Katharina Starlay ist Modedesignerin, Imageberaterin und Mitglied im Deutschen Knigge-Rat. In Vorträgen, Seminaren und individuellen Beratungen coacht sie rund um Kleiderstil und Businessknigge. Seit 2002 berät sie auch Unternehmen für deren Außenauftritt und entwickelt Stil-Leitfäden sowie Firmenkleidung. Sie schreibt Bücher (zuletzt erschienen: Erfolgreich über 50: Stilvoll älter werden ) und publiziert über Stilthemen: Starlay.de.
Zivilcourage: Ein altes Wort. Von manchen schwer vermisst und in unserem digitalen Alltag so vergessen wie nie. Was aber unmodern daher kommt, kann über unsere Glaubwürdigkeit, unsere Anerkennung und unseren Erfolg entscheiden: Der Mut, für unsere (gesellschaftlichen) Werte einzustehen und eben nicht einer vermuteten Mehrheit nach dem Mund zu reden, sondern integer zu bleiben.
Ob im heiß umkämpften Bewerbermarkt, im Networking oder im E-Mail-Verkehr: Wir entscheiden uns in vielen alltäglichen oder besonderen Situationen immer wieder dafür oder dagegen - und nicht selten unbewusst gegen unsere eigenen Interessen.
Vor mir liegt eine von Karl Lagerfeld illustrierte Ausgabe von "Des Kaisers neue Kleider" von Hans Christian Andersen; der Dichter, geboren am 2. April 1805, veröffentlichte den Text 1837. Beide Männer gehörten nicht gerade zu den Ja-Sagern. In diesem weltberühmten Märchen geht es um nichts anderes als um den "Bürgermut" zu sagen, was ist.
Die Geschichte geht so:
Ein besonders eitler Kaiser fällt auf zwei Weber herein, die ihm in betrügerischer Absicht vorgaukeln, sie könnten Stoffe weben, die nur für Betrachter sichtbar seien, welche ihren Job auch wert sind. Für jene aber, welche "für ihr Amt nicht taugen oder unverzeihlich dumm seien", seien die kostbaren Gewebe unsichtbar. Neugierig vergibt der Kaiser den Auftrag, natürlich ohne Ausschreibung, und die Arbeit an den Webstühlen beginnt.
Klar, dass sich weder der Kaiser noch seine Untertanen, von denen er in den nächsten Tagen einige vorbei schickt, um den Projektverlauf zu kontrollieren, trauen zu sagen, dass sie keine Stoffe sehen können. Denn die Weber sind ja veritable Betrüger und verweben - gar nichts, kassieren dafür aber das prächtigste Gold. Parallelen zum heutigen Geschäftsleben mögen zufällig sein ...
Es kommt, wie es kommen muss: Bei einer wichtigen Präsentation - pardon, Prozession - legt der Kaiser seine nicht vorhandenen neuen Kleider an und begibt sich in die bewundernde Menge. Bis, ja bis sich ein Kind traut zu rufen: "Aber er hat ja nichts an!" Erst dann traut sich auch die Menge zu sehen, dass es nichts zu sehen gibt.
Vielleicht sollten wir öfter einmal dieses Kind sein, den Schneid haben, zu sagen, wenn etwas nicht in Ordnung ist - oder uns trauen, auch Unbequemes zu tun oder zu sagen. Was können solche Situationen im Business-Alltag sein?
Der heiße Bewerbermarkt
Sie können sich aussuchen, wo Sie arbeiten wollen? Fein. Aber vergessen Sie nicht, höflich dort abzusagen, wo Sie es nicht tun wollen
Foto: Christian Charisius/ dpa
Nehmen wir mal an, Sie haben im Poker um den prestigeträchtigsten Arbeitgeber mit der höchsten Bezahlung mehrere Angebote geprüft und verschiedene Gespräche geführt. Dann ist es für Sie bestimmt selbstverständlich, es den Vermittlern und Unternehmen, für welche Sie sich nicht entscheiden konnten, auch zu sagen. Und zwar persönlich: Die aus Verlegenheit knapp formulierte Kurznachricht am Sonntagabend, dass man die Stelle am Montagmorgen nicht antreten werde, reicht einfach nicht, um den eigenen guten Ruf zu wahren. Headhunter und Personalverantwortliche haben nämlich berufsmäßig ein enormes Personen- und Namensgedächtnis und erinnern sich an Ausfälle solcher Art auch nach vielen Jahren noch.
Das tun sie ebenfalls, wenn sich Bewerber unvermutet in Luft auflösen und nicht mehr erreichbar sind. Personalberater Heiner Thorborg schreibt in seiner Meinungsmache "Geisterstunde im Kampf um die Talente" über das Phänomen des Ghostings. Was immer mitschwingt - er aber elegant nicht ausformuliert -, sind die Gedanken in den Köpfen des Gegenübers, wenn notwendige Rückmeldungen ausbleiben: "Wie gut, dass die oder der die Stelle nicht angetreten hat." "Wer sich so verhält, passt ohnehin nicht zu uns." "Ist der schlecht organisiert oder überfordert?" mögen sie sich sagen.
Solche Erinnerungen haften an, manchmal für den Rest einer Berufslaufbahn. Wieviel couragierter - und gesünder - ist es, persönlich anzurufen und die Entscheidung zu begründen, rechtzeitig natürlich. Das verlangt Mut - aber schließlich will man selbst auch nicht versetzt werden.
Networking
Treppe hoch, Treppe runter: Machen Sie Ihr Urteil über einen Menschen nicht von dessen Position abhängig
Foto: DPA
Es ist immer wieder eine Quelle für Menschenstudien. Wer schon einmal eine hoch bewertete Position verloren hat, kennt die Veränderung im Verhalten der Kontakte, die damit einher geht: Manche kennen einen dann nämlich nicht mehr oder benehmen sich irgendwie merkwürdig.
Langfristig hat das unschlagbare Vorteile, wenn sich die Spreu des Netzwerks vom Weizen trennt. Wenn man aber umgekehrt nicht zur überflüssigen Spreu gehören will, ist Courage gefragt.
Auch Stimmungen und Sympathien folgen einer Schwarm-Intelligenz, die nicht erklärlich ist - aber vorhanden. Wenn einem die Person aber wichtig ist - unabhängig von ihrem Titel -, sollte man klar Position beziehen. Auch wenn man damit non-konform unterwegs sein sollte. Daran wird sich der Betroffene erinnern, wenn er den nächsten Top-Job antritt. Und wie in der Geschichte mit unserem eitlen Kaiser werden sich vermutlich auch andere aus dem Volk bald anschließen.
Absagen sind unbequem, aber Schweigen ist keine Alternative
Foto: DPA
Eine ausbleibende Antwort ist nicht nur im Personalgeschäft fragwürdig. Sie trifft eine Aussage über den, der sie schuldig bleibt. Das gilt übrigens auch in der Korrespondenz mit Dienstleistern, Anbietern bei Ausschreibungen oder reklamierenden Kunden, die ja heute mehr denn je vernetzt sind und Unmut kundtun. Es ist unbequem, Absagen zu formulieren und plausibel zu begründen. Auch das verlangt Courage, den Mut, es zu sagen. So manche gut behandelte Reklamation hat aber aus einem erbosten Kunden schon einen Stammkunden gemacht.
Anzeige
Titel: Stilgeheimnisse: Die unschlagbaren Tricks und Kniffe für erfolgreiches Auftreten
Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier
Wie viel Zeit verbringen wir täglich damit, selbst nachzuhaken oder nachhakende Nachrichten zu lesen? Ein höfliches und klares "Danke nein, ich bin nicht interessiert / wir haben uns für jemand anderen entschieden" als Antwort auf die erste Korrespondenz bringt mehr Zeit für Wichtiges - zum Beispiel zum Beantworten der übrigen Nachrichten.
Kennen Sie diese ertragsarmen Meetings, in denen sich ein Redner nach dem anderen zu Wort meldet, um zu sagen, was der Vorgesetzte vermeintlich hören will? Der Chef seinerseits hat aber die Aufgabe, das Unternehmen voranzubringen - und nicht Think-alikes zu sammeln.
Wenn man also auf Basis seines Fachwissens oder Kenntnis-Stands eine andere Meinung vertritt, hat man sogar die heilige Pflicht, diese zu äußern. Auch das braucht Mut - und gehört dazu. Sonst könnte der Chef denken, dass man "für sein Amt nicht taugt oder womöglich unverzeihlich dumm sei" - wie in Andersens Märchen.