
Neue Nutzung für Kirchen Andächtiges Speisen
München - Die Kirche St. Maximilian in der Isarvorstadt in München ist ein imposantes Gebäude. Der neoromanische Bau ist mit seiner Ausrichtung nach Südwesten auch im Stadtbild vorherrschend. Es lässt die Kirche noch größer erscheinen. Zu groß für die nicht vorhandene Anzahl von Gläubigen. Das Gotteshaus soll umgebaut und für andere Zwecke geöffnet werden. Ein Restaurant soll entstehen, Kultur wird stattfinden, der Pfarrer als Seelsorger wird Kaufmann, Gastwirt und Galerist.
Rainer Schiessler ist ein unkonventioneller Pfarrer. Er fährt gerne Motorrad, bedient auf dem Oktoberfest, um die zusätzlichen Einnahmen wohltätigen Zwecken zu spenden und lässt sich auf dem Münchener Viktualienmarkt mit "Euer Hochwürden" von vielen Marktfrauen begrüßen. Er hat keine Schwierigkeiten, Menschenmengen in seine Kirche zu locken, die seinen teils amüsanten, teils lehr- und anekdotenreichen Predigten lauschen.
Aber trotz der Besucherscharen ist die Kirche zu groß. "Die hohen Kosten brechen uns einfach das Genick", sagt der Pfarrer. "Wir müssen uns überlegen, was hier in zwanzig Jahren noch stattfinden soll." Nach seinen Vorstellungen soll das große Gebäude mehrere Funktionen erfüllen: religiöse, kulturelle, wissenschaftliche und gesellschaftliche.
In der Korbinianskapelle, die außerhalb des sakralen Bereichs liegt, ist ein Restaurant mit traditionellen, regionalen Gerichten geplant. Um Gebäudekosten zu sparen, werden die Kirche, der Pfarrsaal und die Verwaltung unter ein Dach gefasst. Im Seitenschiff der Kirche, - so die Pläne- , wird eine zweite Decke eingezogen für eine Pilgerherberge etwa oder einen Kindergarten, Büroräume oder Räume für Chorproben.
Beten, Heulen, Lachen zu jeder Tages- und Nachtzeit
Auch ein Raum der Stille und des Gebets könnte entstehen. "Die Leute sollen immer kommen können", ist Schiesslers Geschäftsmodell. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, das ganze Jahr zum "Beten, zum Heulen und zum Lachen". Eine Art Wal-Mart für alle täglichen Belange. "Das Ordinariat hat zugestimmt, es wird einen Architektenwettbewerb geben, Ende 2013 fällt eine Entscheidung", sagt der Pfarrer.
Vom Konzept etwas abschauen könnte sich das Ordinariat in München von der nordrhein-westfälischen Martinikirche in Bielefeld. Vor sieben Jahren ist hier das Restaurant "GlückundSeligkeit" eingezogen und hat in diesem Herbst mit zwei neuen Chefköchen das Gourmetrestaurant "Glückskind" auf der Empore eröffnet.
Immer öfter werden auch unter Denkmalschutz stehende, alte Kirchengemäuer einer Umnutzung überlassen. So hat der Investor und Geschäftsführer der Living Event in Werther, Achim Fiolka, die Bielefelder Kirche nach zähen Verhandlungen für einen symbolischen Preis von einem Euro der Kirche abgekauft, mit mehr als drei Millionen Euro aus dem Sakralbau ein Restaurant geschaffen, in dem bis zu 500 Personen Platz finden können.
"Ich musste das einfach machen", sagt Fiolka über seine eher irrationale Entscheidung. In den Spitzbögen haben Architekten mit Glasplatten das Hauptschiff nach oben von der Empore getrennt, wo eine Clublounge untergebracht ist. Die Orgelempore aus Holz hat man kurzerhand durch eine Stahlbetonkonstruktion ersetzt und eine Bar eingebaut. Zur Eröffnung des Gourmetrestaurants gibt es Lamm aus der Altmark oder Gänsestopfleber aus Ungarn.
Der Glockenturm wurde um ein Drittel gekürzt
"Wir wollten dem alten Gebäude Respekt zollen und haben mit namhaften Architekten zusammen gearbeitet", sagt Achim Fiolka. Nicht zuletzt auch deshalb, um die Mystik der Gemäuer zu bewahren. Auch profane Dinge wie die Heizung des riesigen Gebäudes stellten die Architekten vor eine große Herausforderung.
Letztendlich hat man sich für eine Bodenheizung mit einer Belüftung entschieden. Mit Kerzenschein allein kommt die Kirche heute nicht mehr aus. "Die vielen Nischen und Winkel in der Kirche brauchen ein spezielles Licht", berichtet Fiolka von den Herausforderungen an die Einrichtung. Für das Lichtdesign und die Soundtechnik ist der Kirchengastronom ausgezeichnet worden.
Insbesondere in Berlin und auch in Nordrhein-Westfalen, wo die Kirchengemeinden geringe Steuereinnahmen haben und keine Besitztümer aus Immobilien oder Ländereien den Haushalt ausgleichen können, werden immer mehr Gotteshäuser anderen Nutzungszwecken überlassen. Die nur vierzig Jahre alte Matthäuskirche in Grevenbroich nahe Essen wurde vor vier Jahren als Seniorenheim umgebaut. Zwei Investoren interessierten sich für das 800 Quadratmeter große Areal: eine Interessenvereinigung wollte eine Montessori-Schule bauen, der Bauverein Wohnungen für Senioren.
Heute erkennt man den einstigen acht Meter hohen Glockenturm nur noch als Stumpf: er wurde um ein Drittel gekürzt. Ein ortsansässiges Architekturbüro hat die Pläne für den Bau von 32 barrierefreien Wohnräumen entwickelt. "Laut Baurecht muss ein Gebäude, das wie eine Kirche aussieht, auch eine Kirche sein", sagt Architektin Jutta Quasten-Mundt. In dem früheren Foyer steht als Relikt aus einer anderen Zeit die alte Glocke der Matthäuskirche. Sie läutet nicht mehr.
Seit 2005 ist der Bistumshaushalt in Essen nicht mehr ausgeglichen
Kirchen, die noch im allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegsjahre gebaut wurden, fallen den Sparmaßnahmen als erstes zum Opfer. "Zehn bis zwölf Kirchen mussten bisher abgerissen werden", sagt Herbert Fendrich, Beauftragter für Kirche und Kunst im Bistum Essen. "Dieselbe Anzahl wird noch folgen. Wir haben hier keine Pfründen wie in Süddeutschland."
Gemeint sind damit Wiesen, Felder oder Wälder, die man verpachten oder verkaufen kann. Seit 2005 ist der Bistumshaushalt in Essen nicht mehr ausgeglichen. Die laufenden Kosten sind zu hoch. Für eine neogotische Kirche beispielsweise müssen jährlich allein 100 000 Euro Betriebskosten bezahlt werden, eine kleinere Kirche für rund 120 Personen hat 30 bis 40 000 Euro laufende Kosten.
Auf viele Investoren wirken diese Summen abschreckend. So hat das Bistum Essen dem Verein Tafel Oberhausen eine Kirche zur alleinigen Nutzung überlassen. Der Verein zahlt keine Miete, allerdings müssen die Aufwendungen aus eigener Tasche bezahlt werden. Ein Tanz auf Messers Schneide, wie Fendrich die Nutzung einschätzt. Es können schnell Reparaturen kommen, die oftmals teuer sind. "Die Reparatur eines Kirchendaches kostet schnell mal 100.000 Euro", rechnet Fendrich vor.
Ein Supermarkt mit bunten Kirchenfenstern
Auf der Hierarchieliste, die ein Bischof für die Kirchen aufgestellt hat, stehen karitative Nutzungen ganz oben, wie auch die Einrichtung von Schulen oder die Überlassung an orthodoxe oder andere Freikirchen. Weiter unten in der Skala stehen kommerzielle Nutzungen. "Essen und Trinken, Wohnen und Schlafen", räumt der Katholik Fendrich ein, "sind keine unwürdigen Tätigkeiten". So nennt er als Beispiel für einen gelungenen Umbau das Kreuzherrenkloster in Maastricht aus dem 13. Jahrhundert, heute ein Fünf-Sterne-Hotel. "So etwas würde in Oberhausen nicht funktionieren", sagt Fendrich, "die Preiskategorie ist zu hoch".
Dennoch schreitet die Umnutzung von Kirchengebäuden voran. In Berlin gibt es das "machmit-Theater" in der ehemaligen Eliaskirche. Im europäischen Ausland ist man noch offener für neue Nutzungen. In der ehemaligen Kirche St. Bernadet im niederländischen Helmond hat man einen Supermarkt eingerichtet. Anfangs bekreuzigten sich die Kunden noch beim Betreten der Kirche, inzwischen ist es ganz normal, unter den großen, bunten Glasfenstern Apfelsinen und Milch, Brot und Butter im Einkaufswagen zur Supermarktkasse zu schieben. In Amsterdam kann man in der St. Josephskirche klettern, in Tilburg in der Kirche Skaten: so vielfältig die Interessen der Menschen, so bunt das Angebot.
Kirchenväter nehmen dabei in Kauf, dass die Gläubigen teilweise verschreckt wegbleiben, teilweise aber auch zögerlich zurückkommen an den ehemaligen Ort der Liturgie. In Grevenbroich wird im Foyer des Umbaus einmal im Monat eine Andacht abgehalten. Und wie Kirchenmann Herbert Fendrich es sagte: Auch Pfarrer und Ordensmänner müssen essen und trinken. "Wir haben unter unseren Gästen auch Nonnen und Priester", berichtet das "Glückskind" Denis Mann aus Bielefeld. Nicht jedem gefällt, was sie sehen, aber die Gastronomen sind sehr bemüht, diese Kundschaft ganz besonders zufrieden zu stellen.