
Designer Konstantin Grcic Dinge sollen Freunde sein
München - Konstantin Grcic steht mit der Jacke in der Tür und will gerade zum Mittagessen gehen. "Waren wir jetzt schon verabredet?", fragt er irritiert. Waren wir. Es ist grau, regnerisch und kalt an diesem Donnerstag in München.
Bei Konstantin Grcic Industrial Design ist es bunt. Das 120 Quadratmeter große Studio liegt im Bahnhofsviertel zwischen "Hotel Kraft", Jokers Casino und der Büchsenmacherinnung Süddeutschland. Außer Grcic arbeiten drei fest angestellte Designer, ein Praktikant und eine Assistentin in einem Raum, in dem sich Modelle auf dem Fußboden und auf Tischen türmen.
Regale quellen über, Skier lehnen an der Wand, Hunderte Musik-CDs füllen Plastikwannen. Werkstatt-Durcheinander. Grcic selbst wirkt aufgeräumt. Er hat die Jacke wieder ausgezogen und sich entschlossen, das Mittagessen ausfallen zu lassen. Er spricht konzentriert und ruhig, nimmt sich seine Zeit.
Frage: Sie sind einer der gefragtesten deutschen Designer. Aber wir haben gehört, dass Sie privat gar kein Sofa besitzen. Stimmt das?
Grcic: Ja, ich habe noch nie eins besessen. Ich habe auch noch nie wirklich ein Sofa entworfen. Jetzt machen wir gerade das erste.
Frage: Was war der Anlass?
Grcic: Das Sofa ist eine Reaktion auf den Sessel "Crash", den ich im vergangenen Jahr für Established & Sons entworfen habe. Während der Arbeit daran lernte ich den Hersteller kennen und dachte: Das ist genau die richtige Firma für dieses Thema. Das Sofa, das wir daraufhin zusammen gemacht haben, ist ganz geradeaus; ein typisches Polstermöbel, ein Volumen, an dem wir im Grunde nichts neu erfunden haben. Wir hatten einen gemeinsamen Anspruch an Qualität und Komfort und entwickelten dann im Dialog mit der Firma Proportion und Form. Während dieses Prozesses habe ich viel gelernt. Im Grunde war das ein sehr ehrliches, gutes Projekt. Eines, wie man es sich wünscht.
Frage: Was ist die Pointe des Sofas?
Grcic: Wir haben den Bezugsstoff als losen Überwurf konzipiert. Man kennt das Motiv aus Hotels, die in der Wintersaison schließen und die Möbel mit Tüchern abdecken. Das neue Sofa heißt "Cape" und kann sich dadurch ganz einfach verändern. Der Überwurf hat einen bestimmten Zuschnitt und passt punktgenau auf das Polster. Es gibt einen schweren, weichen, warmen Überwurf für den Winter, einen leichten Stoff für den Sommer und einen dritten, der dazwischen liegt.
Frage: Dürfte das neue Sofa bei Ihnen einziehen? Oder sitzen Sie nicht auf Sofas?
Grcic: Ich weiß nicht so recht. Eigentlich sitze ich relativ selten auf Sofas. Ich entscheide mich immer eher für Stühle. Auf denen habe ich das Gefühl, auch wieder hochkommen zu können. Die Bequemlichkeit eines Sofas, dieses Weiche, sich In-die-Kissen-sinken-Lassen, nimmt einem auch etwas von der eigenen Bewegungsfreiheit. Aber ich kann mir das neue Sofa schon auch bei mir zu Hause vorstellen.
Frage: Sie hätten wahrscheinlich wenig Zeit, um darauf zu sitzen?
Grcic: Ja, und wenn ich welche habe, dann bin ich wahrscheinlich nicht zu Hause, sondern mache etwas anderes mit der Zeit.
"Möbel sind keine reinen Funktionsdinge"
Frage: Das Thema Sitzen beschäftigt Sie sehr, Sie haben viele Stühle entworfen. Dürfen die zu Ihnen nach Hause?
Grcic: Ja! Die stehen zu Hause und hier im Büro auch. Ich lebe mit diesen Stühlen. Wenn man einen Stuhl entworfen hat, möchte man wissen: Ist der wirklich bequem? Wie verhält er sich im Raum? In der Beziehung zu anderen Möbeln?
Frage: Gibt es ein Lieblingsstück, das Sie nicht hergeben würden?
Grcic: Ja, natürlich. Zum Beispiel den Stuhl "Box" von Enzo Mari, auf dem ich immer sitze. Den liebe ich total und möchte ihn immer bei mir haben. Möbel sind keine reinen Funktionsdinge oder Problemlöser. Es geht nicht nur um praktische Aspekte. Es geht tatsächlich auch darum, sich zu identifizieren; es geht um eine Freundschaft, einen persönlichen Bezug, den man zu Dingen hat, mit denen man lebt.
Frage: Geben Sie uns eine Vorstellung davon, wie Sie wohnen?
Grcic: Darüber spreche ich ungern.
Frage: Also wir vermuten, dass Sie nicht allzu groß wohnen, zu Hause eigentlich nur schlafen und den restlichen Tag hier im Büro verbringen...
Grcic: Das stimmt nicht ganz, aber fast. Ich wohne auf 65 Quadratmetern. Es gibt ja diesen lustigen Spruch von Ikea: "Wohnst du noch oder lebst du schon?" Den finde ich irgendwie genial, weil er einen wirklich zum Denken anregt. Wohne ich? Oder lebe ich? Diese Differenzierung ist interessant. Ich mag meine Wohnung, sie hat einen sehr klaren Zuschnitt, aber zu Hause wohne ich nur. Das Büro ist für mich eher ein Lebensraum. Ich habe hier im Büro viel mehr Platz, mehr Licht und einfach auch viel mehr Dinge, die ich gern mag. Es hat sehr viel mit Leben zu tun, Alltagsdinge zu gestalten.
Frage: Wie wohnen die Deutschen aus Ihrer Sicht?
Grcic: Das Wohnen spielt in Deutschland eine ganz große Rolle. Es hat etwas sehr Repräsentatives. Man will zeigen, wer man ist und was man erreicht hat. Das ist hier stärker ausgeprägt als in anderen Ländern. Und in Deutschland haben wir relativ viel Platz. In anderen Ländern, in wirklich großen Städten, ist Wohnraum rar und deshalb teuer und kostbar. In England wiederum, wo ich lange gelebt habe, fand ich es stets irritierend, dass man oft nur möblierte Wohnungen mieten konnte. Eine völlig unvorstellbare Idee für mich. Für die Engländer ist es normal. Sie finden es praktisch.
"Eine weiße Wand ist ein Freiraum"
Frage: Ein Wort zu den weißen Wänden der Deutschen?
Grcic: Ich bin mit solchen weißen Wänden aufgewachsen. Weiße Wandflächen sind ein Architekturelement, eine Projektionsfläche. Ich mag das sehr. Eine weiße Wand ist ein Freiraum. Nicht belegt, nicht vollgestellt, nicht verplant. Ein schöner Augenblick ist, in eine neue Wohnung einzuziehen, und alles ist offen. Zu Hause habe ich viel weiße Wandfläche. Das gibt Luft zum Atmen. Und beinhaltet die Möglichkeit, sich zu verändern.
Frage: Sie haben viele Produkte für die Küche und für den Tisch entwickelt, zum Beispiel ein Service, Trinkgläser, Bestecke, Schalen, sogar einen Druckkochtopf. Können Sie kochen?
Grcic: Ich kann nicht richtig gut kochen. Ich koche, aber sehr einfach. Ich glaube auch nicht, dass ein Designer kochen muss, um einen Kochtopf zu entwerfen. Das ist zu einfach gedacht. Ich weiß genug, um einen Kochtopf zu entwickeln.
Frage: Interessiert Sie das Thema, oder ist es zufällig so, dass es in dem Bereich viele Entwürfe von Ihnen gibt?
Grcic: Nein, es ist kein Zufall. Zum einen sind das Werkzeuge des täglichen Lebens, die will man als Designer gestalten, weil sie so fundamental sind. Dass Alltagsdinge gut gestaltet sind, ist ein ganz wichtiger Anspruch von mir. Bei dem Service "Coup" haben wir uns viele Gedanken gemacht, deswegen stört es mich, wenn ich sehe, wenn zwei Dinge nicht zusammenpassen. (Grcics Assistentin hat Tee in "Coup"- Tassen mit falschen Untertassen serviert. Grcic rührt den Tee nicht an.) Für uns war die Abstimmung der Proportionen, also auch das Größenverhältnis der Untertassen zu den verschiedenen Tassen, essenziell wichtig. Damit haben wir uns lange befasst. Und darin, in dieser Genauigkeit, liegt am Ende die Qualität der Dinge.
Frage: Sie mögen Präzision?
Grcic: Ja, als Designer lernt man, einen scharfen Blick zu entwickeln. Den muss man bei Porzellan genauso haben wie bei Möbeln.
Frage: Was macht Möbel für Sie so spannend?
Grcic: Möbel sind das, was ich immer machen will und auch immer machen muss. Da liegt meine Leidenschaft. Ich mag an Möbeln sehr, dass sie mobil sind, ihre Beweglichkeit, ihre Flexibilität. Das, glaube ich, sieht man den Möbeln an, die ich entwerfe. Möbel machen es möglich, dass wir uns und unsere Lebenssituation immer wieder verändern.
Frage: Brauchen wir neue Möbel, um Gewohntes infrage zu stellen?
Grcic: Ja, und wir brauchen zudem Dinge, die wieder eine stärkere Aussage machen, die aus der Masse herausragen und polarisieren. Die gesamte Produktwelt hat sich auf ein unglaublich hohes Mittelmaß eingependelt. Wir haben ganz viele Dinge, die wunderbar anonym und irgendwie okay sind, aber darin so...
Frage: ... reizlos?
Grcic: Ja, sie werden immer reizloser. Aber Dinge, für die wir nichts empfinden, behandeln wir auch nicht gut. Das ist eine simple Wechselwirkung. Außer um Nachhaltigkeit wird es in Zukunft darum gehen, Produkte mit Persönlichkeit zu entwickeln, Dinge mit Charakter, mit denen wir uns identifizieren.