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Luxus-Uhren und die Zeitenwende: Die neuen Uhren aus Glashütte

Foto: A. Lange & Söhne

Uhren-Manufakturen Wendezeit für Uhren - 25 Jahre Glashütte

Glashütte ist wieder ein Inbegriff höchster Uhrmacherkunst. Wie es zur Wendezeit hinter den Kulissen zuging und welche Leistung die Sachsen vollbracht haben, wissen nur wenige. Ein Überblick der letzten 25 Jahre - und die neuesten Uhren aus Glashütte.
Von Michelle Mussler

Luxusuhren sind die Domäne der Schweiz. Eigentlich. Denn ein unbeugsames sächsisches Städtchen hört nicht auf, das Luxussegment erfolgreich auch für sich zu erobern. In Glashütte gibt es wie in Gallien große Helden und Häuptlinge, listige kleine Krieger und charakterstarke Altersweisen. Ihre Wild-Ost Abenteuer begannen vor 25 Jahren, als die Mauer fiel.

Der Nürnberger Günter Blümlein war einer der Ersten, die zur Wiederauferstehung Glashüttes beitrugen. Im Dezember 1990 gründet er die Lange Uhren GmbH zusammen mit Walter Lange, dem letzten Nachfahren und Ur-Enkel von Ferdinand Adolph Lange, der 1845 die erste Uhrenfirma in Glashütte eröffnete und einen Produktionsstandort mit Weltruf schuf. Zwei Lange-Uhrmacher der ersten Stunde erinnern sich an die bewegten 90er Jahre: An ein solch machtvolles Comeback des Uhren-Standort Glashütte hatte kaum jemand geglaubt.

Das Erbe von Ferdinand Adolph Lange führt der 90jährige Walter Lange bis heute fort. Zeitgleich leitet Blümlein die Manufakturen Jaeger-LeCoultre sowie IWC und fügt die drei Marken mit A. Lange & Söhne unter dem Dach 'Les Manufactures Horlogères' zusammen. Im Jahr 1991 wird die Gruppe an Mannesmann verkauft und 2000 an den Richemont Konzern.

Ebenso präsent ist noch der Spirit von Blümlein, der 2001 verstarb. Unter Insidern gilt er bis heute als einer der bedeutendsten Wegbereiter für den internationalen Boom mechanischer Uhren. Vor allem für das Comeback des Uhren-Standorts Glashütte.

Nomos: Erfolg mit puristischem Design

Auch der Düsseldorfer Unternehmer Roland Schwertner kam 1990 nach Glashütte und belebt 1991 den Markenamen Nomos wieder. Sechs Jahre später stiegen das Versandhaus Manufactum und 2000 Uwe Ahrendt als Geschäftsführer bei Nomos mit ein. Ein kluger Schachzug, denn Ahrendt ist ein uhrmacherisches und wirtschaftliches Multitalent, zudem ein Glashütter Urgestein. Seitdem mausert man sich zur echten Manufaktur und der Absatz brummt.

Das Erfolgsrezept von Nomos: Puristisches Design mit hohem Wiedererkennungswert, Qualitätskaliber und Preissensibilität - das zieht auch jüngere Kunden an. 2005 stellten sie ihr eigenes Automatikwerk, den Tangomat vor. Seit 2010 haben sich sowohl der Umsatz als auch die Mitarbeiterzahl auf knapp 200 verdoppelt.

Im Frühjahr 2014 verblüffte Nomos die gesamte Branche mit dem eigenen Swing-System: Die Sachsen werden damit immer unabhängiger.

Und das wird belohnt: Selbstbewusst heißt es bei Nomos, dass keine andere Marke in Deutschland mehr mechanische Uhren baue und verkaufe.

Glashütte Original: Vom VEB Glashütter Uhrenbetriebe zur Nobelmanufaktur

Zu den unbeirrbaren Pionieren in Glashütte zählen auch die bayerischen Unternehmer Heinz W. Pfeiffer und Alfred Wallner. Ihnen gelang 1994 der Coup, von der Treuhand die GUB zu kaufen, nachdem andere mit Privatisierungsabsichten gescheitert waren. GUB steht für VEB Gesamtbetrieb Glashütter Uhrenbetriebe, also aller nach 1945 zwangsenteigneten Hersteller.

Statt GUB heißt die neue Firma Glashütte Original und ist auch Rechtsnachfolger der Uhrenmarke Union. Mit enormer Beharrlichkeit gelingt es Heinz Pfeiffer, die Firma von der billigen Massenproduktion in eine Nobelmanufaktur mit hoher Fertigungstiefe zu wandeln. Parallel etabliert er die Marke Union erfolgreich mit Einstiegsmodellen, wo sie bis heute angesiedelt sind.

Urplötzlich, im Jahr 2000, landen zwei Weltkonzerne wie Ufos in dem idyllischen Erzgebirgetal. Kurz nachdem Richemont die Edelmarke A. Lange & Söhne übernommen hat, zieht die Swatch Group nach und kauft Pfeiffer die Manufaktur Glashütte Original ab. Viele dachten, nach der Übernahme durch Swatch werde die gesamte Produktion in die Schweiz abgezogen.

Von wegen. Die Swatch Group investierte kräftig. Heute fertigt Glashütte Original über 10.000 Zeitmesser und beschäftigt weltweit etwa 550 Mitarbeiter. Ohne Zweifel zählen die Kreationen zum exklusiven Kreis ehrlicher Manufaktur-Uhren.

Mühle: Streit um Glashütter Regeln - und Neustart als Mühle-Glashütte

Zur gleichen Zeit vollzieht Hans-Jürgen Mühle mit dem Familienunternehmen Mühle einen Relaunch, dessen Geschichte bis ins Jahr 1896 zurückgeht. Er fertigt nach 1994 Quarz-Marinechronometer und nautische Instrumente. Schon 1996 kommen erfolgreiche mechanische Armbanduhren hinzu, die besonders preisfair kalkuliert sind. Möglich ist das durch zugelieferte Werke aus der Schweiz, die man in Glashütte verfeinert.

Mittlerweile fertigen über 50 Personen um die 10.000 Armbanduhren pro Jahr, darunter sogenannte Einsatzuhren - wofür Mühle berühmt ist. Doch nicht jeder schätzt die Methode aus Fertigungstiefe und Preispolitik.

Denn Glashütte hat etwas von dem gallischen Dorf. Untereinander stichelt und zankt man sich. Geht es jedoch um das große Ganze der Uhrenindustrie, entwickelt man solidarische Zauberkräfte. Man leiht sich untereinander 20.000 D-Mark als Startkapital, eine Marke teilt sich jahrelang den Telefonanschluss mit einem Imbiss, Konstrukteure arbeiten am einzigen Computer im Schichtbetrieb.

Doch die Wild-Ost werden deftiger: Ein Hersteller lässt sich augenscheinlich von Bestsellern der anderen inspirieren, Mitarbeiter werden abgeworben, auch Geschäftsführer wechseln. Die einen holen sich Werke, die anderen Konstruktionen aus dem Ausland und bewerben sie als die eigenen. Man jagt sich gegenseitig Grundstücke ab und verklagt sich wechselseitig. Glashütte ist nicht nur für Uhren gut, sondern auch für Wirtschaftskrimis. Unterm Strich ist keiner dem anderen etwas schuldig.

Genaugenommen geht das schon über hundert Jahre so. Der erste öffentliche Streit um die 'Glashütte Regel' fand 1904 statt und wurde zuletzt 2007 vor Gericht ausgetragen. Da die Herkunftsbezeichnung Glashütte als weltweites Qualitätsmerkmal gilt, darf man sich nur damit rühmen, wenn die Wertschöpfung mindestens 50 Prozent in diesem sächsischen Ort beträgt.

Vor allem Mühle und Nomos führen gegenseitig einen verbitterten Zwist. Er eskaliert 2007 in einer Insolvenz - Mühle verwendet nachweislich komplette Schweizer Uhrwerke und zahlt die Vertragsstrafe von 63 Millionen Euro nicht. Inzwischen ist dem Sohn Thilo Mühle ein beachtlicher Neustart als Mühle-Glashütte gelungen und er spielt regelkonform wieder ganz vorne mit.

Das Wir-Gefühl und die Jahrhundertflut

Im Endeffekt profitieren alle von der Glashütter Regel, dass mindestens 50 Prozent der Wertschöpfung in dem sächsischen Ort vollzogen werden müssen: Den Einheimischen garantiert die Regel Arbeitsplätze, der Endkunde erhält kein zu trügerisch verpacktes 'Made in Irgendwo' und die Hersteller können ihr Prestige steigern.

Das ist der Grund, weshalb sie allzu gerne ihre Logos oder zumindest die Zifferblätter mit dem rühmlichen Ortsnamen dekorieren. Prompt tauchte die Idee eines Glashütte Siegels, vergleichbar mit der Genfer Punze, auf. Doch schnell wurde klar, dass man keinen gemeinsamen Maßstab finden würde.

Glashütte Original und A. Lange & Söhne zum Beispiel bieten eine Fertigungstiefe von weit über 90 Prozent, Nomos behauptet sich bei knapp 80 Prozent. Hingegen schaffen vereinzelte Nachbarn nur um Zahnrädchen-Breite die 50-Prozent-Hürde. Kurzum: Der Spagat zwischen Haute Horlogerie, aufrichtiger Mittelklasse und soliden Einstiegsmodellen ist zu groß. Doch man schaut sich, streng nach Herkunfts-Kodex, weiterhin sehr genau auf die Finger.

Die meisten Einheimischen und Uhrmacher versuchen sich vom Gehabe der Häuptlinge nicht beirren zu lassen. Sie fertigen lieber erstklassige Uhren, schrauben fleißig an Qualitätsmerkmalen und sind höchst erfinderisch: Datumsanzeigen, die dreifach so groß wie üblich sind, Tourbillonantriebe mit Schnecke-Kette und Planetengetriebe werden neu konzipiert, Chronographen mit Flyback werden mit Countdown-Zählern gekoppelt, auch die Reglage wird neu konstruiert - selbst Alteingesessene haben nicht daran geglaubt.

Das Wir-Gefühl und die Jahrhundertflut

Erst recht nicht an den enormen internationalen Erfolg: "Uhren für mehrere Tausend D-Mark, was für eine verrückte Kapitalistenidee", hieß es einst. Letztes Jahr lancierte Lange eine Uhr für knapp 2 Millionen Euro. Inzwischen arbeiten über 1000 Personen in der Uhrenindustrie und alle sind auf ihr Werk stolz. Sie wissen aber auch, dass dieses Tempo nicht ohne Unterstützung aus den Alten Bundesländern und der Schweiz möglich gewesen wäre.

Der legendäre Glashütter Zusammenhalt besteht, weil etliche familiäre Beziehungen existieren. Dass der Großvater bei der einen Manufaktur arbeitet, während sein Enkel beim Mitbewerber ausgebildet wird, verwundert hier keinen. Sogar eine Designerin arbeitete jahrelang bei einer Manufaktur, obwohl sie mit dem Geschäftsführer einer anderen Marke verheiratet ist. Zum Wir-Gefühl beigetragen hat auch ein dramatisches Ereignis im August 2002: die Jahrhundertflut donnerte durch das Müglitztal.

Zwei Uhrmacher von Glashütte Original blieben trotz Warnungen freiwillig in der Manufaktur. Wie die ganze Stadt waren sie tagelang von der Außenwelt abgeschnitten, kein Strom, kein Trinkwasser, kaum Telefon. Sie ernährten sich von Keksen aus Schreibtischschubladen der Kollegen. Etliche Wohnhäuser waren zerstört und in der Manufaktur wurde das Erdgeschoss samt sensibler Technik unterspült.

Nomos traf es noch härter: Der Bahnhof, wohin sie ihre Produktion verlagern wollten, wurde überschwemmt. Bei A. Lange & Söhne stand sogar das gesamte Stammhaus unter Wasser. Die Produktion aller Hersteller war über Monate beeinträchtigt, auch weil sämtliche Zufahrtswege zerstört waren. Viele Mitarbeiter von außerhalb samt Familien stapften trotzdem durch morastige Wälder ins Tal. Alle packten bei zerstörten Privathäusern mit an, und man half sich gegenseitig, die Manufakturen vom Schlamm zu befreien.

Wempe: Die Deutsche Chronometrie für Armbanduhren in der Sternwarte

Auch Wempe krempelte in Glashütte seine Ärmel hoch. Als einer der international bedeutendsten Uhrenhändler errichtete man nicht nur eine Werkstatt, sondern seit 2006 auch die Produktion der eigenen Armbanduhren. Mittlerweile fertigen 64 Beschäftigte etwa 6000 Arbanduhren pro Jahr. Ebenso werden Pendeluhren und mechanische Marinechronometer hier zum Ticken erweckt.

Der Clou jedoch gelang mit einer neuen Qualitätsnorm. Da die Schweiz nur selbstproduzierte Kaliber für eine Chronometer-Prüfung zur Zertifizierung für besonders hohe Ganggenauigkeit zulässt, thront über Glashütte jetzt die unabhängige Deutsche Chronometrie.

Wempe renovierte und erweiterte dafür die Sternwarte und initiierte die Zusammenarbeit mit dem Landesamt Thüringen sowie dem Sächsischen Landesamt für Mess- und Eichwesen. Diese Chronometrie für Armbanduhren ist weltweit die einzige außerhalb der Schweiz.

Zudem sind die Deutschen Kriterien noch strenger - und zwar mehrfach. Momentan bieten nicht alle Glashütter Marken ihren Kunden Chronometer an. Man fragt sich, warum - weil sie die Kriterien nicht erfüllen wollen oder können? Als Argument werden gerne die Endkunden genannt. Angeblich seien sie nicht bereit, bei Einsteigermodellen den Aufpreis von 25 Prozent und mehr zu zahlen.

Tutima, Bruno Söhnle, C.H. Wolf: Die Neuen im sächsischen Dorf

Tutima: Die Wiederbelebung alter Marken

Auch Tutima möchte eines Tages den Chronometer-Benefit offerieren. Charakter und Zeitgeist bewies die Traditionsmarke schon mehrfach. Von Ernst Kurtz 1927 in Glashütte gegründet, flohen 1945 die Familie und Mitarbeiter nach Niedersachsen, produzierte dort sportliche Zeitmesser mit Instrumentencharakter - darunter die seit 1984 offizielle Pilotenuhr der Nato - und gingen seit 2008 schrittweise an den Gründungsort zurück. Vor drei Jahren ist die gesamte Produktion in die ehemalige Bahnhofsmeisterei umgezogen.

Bruno Söhnle: Schweizer Basiswerke, veredelt in Glashütte

Bruno Söhnle mit Hauptsitz im Schwarzwald eröffnete 2000 mit vier Mitarbeitern ein Uhrenatelier in Glashütte. Sie produzierten ausschließlich Uhren mit Quarzwerk und stellen acht Jahre später ihre Mechanik-Kollektion vor. Um in der Preisliga zwischen 1.000 und 3.000 Euro mitzuspielen, bedient man sich hier auch Schweizer Basiswerke, veredelt sie aber nach Glashütter Maßstäben. Stephanie teilt sich mit ihren Eltern die Geschäftsführung, insgesamt um die 70 Mitarbeiter.

Hemess: Aus Raider wurde Twixx, aus Hemess wird C.H.Wolf

Wie sehr Glashütte an internationaler Bedeutung gewonnen hat, beweist ein Vorfall vor wenigen Monaten. Noch auf der diesjährigen Uhrenmesse Baselworld stellte die junge Marke Hemess zuversichtlich ihre Neuheiten für den internationalen Markt vor. Just folgte ein juristisches Schreiben. Die Markenamen klingen zu ähnlich empfand eine großes französisches Luxuslabel, das auf Lederwaren spezialisiert ist aber auch Uhren produziert. Am 10. Oktober lautete die kesse Antwort aus Glashütte: "aus Raider wurde Twix, aus Hemess wird C.H. Wolf" und eröffnet seine neue Produktionsstätte. Und zwar in einer ehemaligen Turmuhrenfabrik, die einst Carl Heinrich Wolf 1868 gründete.

Die Eminenzen in Glashütte

An einem Punkt jedoch ticken alle Glashütter gleichermaßen aus - beim Wettbewerb. Die Gebäude liegen manchmal nur wenige Meter auseinander, weshalb genau bedacht ist, wo sich die Konstruktionsabteilung und der Prototypenbau befinden. Zudem sind einige Fenster mit semitransparenter Folie abgeklebt.

Zum Zwist kam es, als Christine Hutter A. Lange & Söhne verließ und die Marke Moritz Grossmann 2008 gründete, um hochwertige Manufakturuhren zu kreieren. Vereinzelte Mitarbeiter anderer Hersteller, ob abgeworben oder nicht, nahmen beim neuen Wettbewerber die Arbeit auf. Die Stimmung in der Branche brodelte.

Schließlich war es Walter Lange, der spontan mit seinen über 80 Jahren den steilen Hügel hinaufging und mit Hutter ein persönliches Gespräch führte, um die Lage zu beruhigen. Ihn ging es dabei um das Wohl der Stadt und der Menschen, unabhängig von den Marken. Nicht nur weil er der Ur-Enkel von Ferdinand Adolph Lange ist, wird Walter Lange in Glashütte als Eminenz verehrt.

Beim eigenen Manufakturbesuch macht Lange noch einen Rundgang und versucht, alle Mitarbeiter persönlich zu begrüßen - es sind immerhin knapp 500 Personen. Ebenso engagiert er sich für das Erbe der Stadt. Denn Lange kennt auch die zweite Glashütte Regel: Man begegnet sich mehrfach im Leben.

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