
Indien: Über die Wasserarme der Backwaters
Indien Mit dem Hausboot durch Kerala
Alappuzha - Eben noch tönten die Hupen der vielen Autos und dreirädrigen Tuk Tuks um uns herum, doch jetzt ist davon nichts mehr zu hören. Wir befinden uns auf dem Wasser, auf dem Weg zu unserem Hausboot, das uns die nächsten Tage durch das Hinterland von Kerala, Indiens südwestlichstem Bundesstaat, bringen soll. Nach ein paar Minuten Fahrt mit dem Motorboot taucht hinter einer Flussbiegung unsere schwimmende Unterkunft auf: ein sogenanntes Kettuvallam. Dort begrüßt uns die Crew, allen voran Deepu, Koch und gute Seele des Hausbootes. "Welcome on board", sagt er strahlend.
Die Backwaters sind ein Hunderte Kilometer langes Gewirr von Wasserstraßen. Sie durchziehen in Kerala ein riesiges Gebiet. Mal sind die Wasserarme so schmal, dass selbst ein Kind darüberhopsen kann, mal vereinen sie sich zu größeren Seen. Viele Jahrzehnte lang nutzten die Bewohner diese Wasserstraßen vor allem, um ihre Lebensmittel heranzuschaffen und um ihre Ernte in die Städte zu bringen.
Vor einiger Zeit hatte jemand eine Idee, welche die Region zu einem der beliebtesten Touristenziele Indiens machen sollte: Man funktionierte die gut 20 Meter langen Lastkähne zu schwimmenden Hotels mit hölzernen Aufbauten um. Mittlerweile tuckern Hunderte dieser Hausboote durch die Backwaters. Einige haben Platz für größere Familien mit Kindern, andere bieten neben einem Schlafzimmer für zwei Personen noch eine drei Mann starke Crew.
So ist es auch an Bord des Boots "Lakes and Lagoons". Der hagere Mittfünfziger Antony ist der Kapitän des Bootes. Morgens spannt er seinen Schirm zum Schutz gegen die Sonne auf, die nächsten Stunden sitzt er am Steuer. Vincent ist deutlich jünger und wird uns als Techniker vorgestellt. Tatsächlich hat er bis aufs Anwerfen und Ausschalten des Motors wenig zu tun.
Und dann ist da noch Deepu. Der ist, wie gesagt, Koch und Mädchen für alles. Fast immer werkelt er in der Bordküche am hinteren Ende des Bootes. Pfannen und Teller klappern, während Deepu Gemüse und Kräuter schnippelt und zusammen mit frisch gefangenen Garnelen gart. Alle paar Stunden taucht er auf, deckt den Tisch und verkündet "Das Essen ist fertig!" Wenn wir dann aufstöhnen angesichts der dampfenden Schälchen mit südindischen Gerichten und ihn mahnen, er habe wieder viel zu viel gekocht, huscht er zufrieden zurück in die Küche.
Zwischen den Mahlzeiten gibt es nicht viel anderes zu tun, als den prachtvollen Ausblick auf die Backwaters zu genießen. Im Schritttempo gleitet das Hausboot durch die Kanäle. Vorbei an meterhohen Bambussträuchern und Palmen, deren Blätter im Wind wiegen. Vorbei an üppig grünen Feldern, auf denen hin und wieder ein paar Kühe stehen. Vorbei an einzelnen Häusern und Dörfern.
Die mehrtägige Fahrt ermöglicht Urlaubern, einen Blick in den Alltag der Menschen zu werfen, die in den Backwaters leben. Frühmorgens werden wir von einem Hahn geweckt, der in der Nähe unserer Anlegestelle krakeelt. Wenig später legen wir ab und können die Dörfer beim Erwachen beobachten. Ganze Familien waschen sich im Wasser der Kanäle. Mädchen und Jungen in Schuluniformen laufen mit ihren Tornistern über die schmalen Pfade entlang der Kanäle.
Kurz danach, wir sind mittlerweile auf die Terrasse der Oberdecks umgezogen, hören wir ein aufgeregtes Klatschen: Hausfrauen stehen bis zu den Knien im Wasser und schlagen ihre Wäsche auf die Steine am Ufer. In der Nähe stehen Männer auf den Feldern, reparieren ihre Boote oder karren Einkäufe zu den Häusern. Gegen Mittag klappert es in allen Kanälen - nun wird das Geschirr gewaschen.
Auf diese Weise kann man teilhaben am ländlichen Leben - wenn auch als Beobachter, aus der Distanz. Das kann angenehm sein, aber auch gewöhnungsbedürftig. Echten Kontakt zu den Menschen vor Ort hat man kaum.
Das hält Urlauber nicht ab. Die Backwaters ziehen jährlich unzählige Touristen aus aller Welt an. Einige hoffen, schon bei einer Tagestour die Atmosphäre aufzusaugen. Weit kommen die voll besetzten Schiffe aber nicht, sie bleiben auf breiteren Kanälen, stets dicht gefolgt von anderen Booten.
Die mehrtägigen Touren entfliehen diesen Massen, kosten jedoch deutlich mehr. Pro Tag bezahlen zwei Personen ab etwa 70 Euro inklusive Mahlzeiten. Kleinere Boote, die man nicht mit anderen teilen muss, und solche mit Klimaanlage kosten mehr.
Dazu gehört unter anderem auch die "Discovery", ein Novum unter den Hausbooten. Der Deutsche Jörg Drechsel betreibt sie neben einigen Boutiquehotels in Kerala. Mit dem modernen, türkisfarbenen Aufbau auf dem traditionellen Rumpf eines hölzernen Reiskahns unterscheidet sich die "Discovery" deutlich von den üblichen Hausbooten aus Holz.
Für welche Hausboottour der Urlauber sich auch entscheidet, selten bekommt er in Indien auf solch meditative Weise so viel zu sehen. Kingfisher-Vögel sitzen auf den Elektroleitungen und tauchen in Sekundenschnelle ins Wasser ihrer Beute nach, während am Ufer eine riesige Entenfarm lauthals schnattert. Das laute Indien der Megacities ist weit weg, der Stress des eigenen Alltags ist vergessen. Man könnte jedes Zeitgefühl verlieren - gäbe es Deepu nicht. Kaum hat Antony am Abend das Boot am Ufer festgebunden, verkündet der Koch: "Das Essen ist fertig!"
Anreise: Von Deutschland aus fliegen mehrere Fluggesellschaften nach Cochin und Trivandrum in Kerala - allerdings mit einem oder mehreren Zwischenstopps wie Mumbai, Delhi oder Chennai. Deutsche Staatsbürger benötigen bei der Einreise nach Indien ein Visum. Der Pass muss noch sechs Monate nach Ausreise gültig sein.
Reisezeit: September bis Mai gilt als gute Reisezeit. In den anderen Monaten sorgt der Monsun in weiten Teilen Indiens für starken Regen, auch im Süden. In Kerala kommt in den Monaten Oktober bis Dezember oft eine zweite Regenzeit hinzu, die jedoch nicht so heftig ist wie der Hauptmonsun.
Backwaters: Die Backwaters reichen von Cochi im Norden Keralas bis etwa nach Kollam im Süden. Viele der Hausboottouren starten in Alappuzha, etwa 85 Kilometer von Cochins Flughafen entfernt.
Informationen: Indische Fremdenverkehrszentrale, Baseler Straße 48, 60329 Frankfurt (Tel.: +49 69 2429490). Zahlreiche Informationen (auf Englisch) gibt es auch beim Tourismusamt Keralas unter www.keralatourism.org.