Mexiko-Stadt Ein Moloch erstickt
Mexiko-Stadt - Sie bilden eine winzige Minderheit in Mexiko- Stadt, die Radfahrer. Nur wenige der 20 Millionen Einwohner benutzen ein Fahrrad, um allmorgendlich ins Büro, zur Schule oder in die Fabrik zu kommen. Kein Wunder, sieht man sich den Moloch Mexiko-Stadt genauer an: Vier Millionen Autos, zehntausende Lastwagen, 108.000 Taxis und 28.000 Busse verstopfen täglich die Straßen der Hauptstadt.
Einem Straßennetz von fast 11.000 Kilometern stehen nicht einmal 40 Kilometer Radwege gegenüber. Doch die Megacity hat noch viel größere Probleme als Radwege und Autoabgase. Jeder der 16 Stadtteile, Delegaciones genannt, wäre in Europa schon eine Großstadt und ist noch einmal in weitere, kleinere Einheiten unterteilt, die Colonias. Die schiere Masse der Stadt lässt im Ausland oft nur ein verheerendes Urteil zu: Mexiko-Stadt sei ein riesiges, stinkendes, lautes und gefährliches Ungeheuer. Unregierbar und im Griff von Chaos, Kriminalität, Willkür und Korruption.
Das Chaos unter Kontrolle bringen
Menschen würden überfallen, ausgeraubt, entführt und erschossen. Jeden Tag. Die seit zehn Monaten amtierende linksgerichtete Stadtregierung startete im Frühjahr eine Kampagne, um Mexiko-Stadt wieder lebenswert zu machen. "Unsere Priorität sind die Menschen. Wir wollen eine Kultur des Respekts gegenüber dem Fußgänger und dem Fahrradfahrer fördern und allen einen würdigen Zugang zu den öffentlichen Einrichtungen ermöglichen", sagte Bürgermeister Marcelo Ebrard bei seiner ersten Regierungserklärung.
Ebrard geht es vor allem darum, das Verkehrschaos unter Kontrolle zu bringen. Auf praktisch allen großen Straßen und den kleinen Schleichwegen herrscht allabendlich Stau. Zu bestimmten Zeiten bewegen sich die Autokarawanen nur im Schritttempo voran. Wenn dann noch an einer wichtigen Kreuzung demonstriert wird oder eine Übung für den Fall eines Erdbebens ansteht, kommen Tausende nicht rechtzeitig nach Hause, ins Büro, in die Schule.
Der Bürgermeister will daher unter anderem ein Netz von Radwegen aufbauen. "Jedes Jahr werden wir 60 Kilometer bauen", erklärt Tanja Müller, Direktorin für Umwelt in der Stadtregierung. Schon jetzt müssen alle 16.000 Behördenmitarbeiter jeden ersten Montag im Monat ins Amt radeln.
Ein riesiges Häusermeer
Ein riesiges Häusermeer
Müller, Tochter eines Deutschen und einer Mexikanerin, sieht in Mexiko-Stadt einen idealen Ort fürs Radfahren: Die Metropole ist weitgehend flach, und es scheint fast immer die Sonne. Je mehr Menschen aufs Fahrrad umsteigen würden, umso besser für die Luft, ist die Devise der Stadtregierung. Denn eine so große Metropole wie Mexiko-Stadt verursacht auch viele Abgase: 50 Millionen Tonnen Schadstoffe werden nach Angaben von Ebrard pro Jahr in den schon längst nicht mehr blauen Himmel ausgestoßen.
Auf knapp 1500 Quadratkilometer erstreckt sich die Großstadt, die 20 Millionen Einwohner der Metropolregion verteilen sich auf fast 8000 Quadratkilometern - das ist drei Mal so viel wie das Saarland. Mexiko-Stadt gleicht einem riesigen Häusermeer, ausgebreitet auf einem gigantischen Schachbrett, das nirgendwo zu enden scheint. Es dehnt sich in alle Richtungen aus, auf die bis zu 3900 Meter hohen Berge zu.
Der Nahverkehr soll mit Milliarden ausgebaut werden, damit die Menschen endlich umsteigen auf Busse und Bahnen. Derzeit gibt es elf U-Bahn-Linien, die über weite Teile des rund 200 Kilometer langen Streckennetzes oberirdisch an den großen Straßen entlang führen, häufig sind die Bahnen überfüllt.
"Wir alle wollen eine bessere und humanere Stadt. Eine Stadt, die nicht fürs Automobil gebaut wurde, sondern für den Menschen", sagte der Architekt José Luis Cortés bei einer Diskussionsveranstaltung über die Umwandlung der Hauptstadt, die in den kommenden Jahren viele Milliarden verschlingen soll. Den meisten Mexikanern aber ist das alles noch völlig egal.
Dabei sehen sie selbst in ihrer verpesteten, oft von gelblich- milchigem Dunst durchzogenen Metropole, wie es auch anders sein könnte.
Denn Mexiko-Stadt ist auch eine grüne Stadt, übersät mit kleinen und großen Parks sowie Alleen, die dicht mit immergrünen Bäumen bepflanzt sind. Doch anstatt gemächlich mit dem Fahrrad durch die Grünzonen zu radeln, sitzen die meisten Hauptstädter anscheinend lieber in ihren Autos - und ärgern sich über die Staus.
von Franz Smets, dpa
Mexiko-Stadt: Der Moloch in Bildern