Baltrum Paradies der Ruhe
Baltrum - Die Überfahrt nach Baltrum dauert nur eine halbe Stunde. Links ist schon bald Norderneys Ostspitze zu sehen, genau davor gucken zwei Seehunde kurz aus dem Wasser. Als die "Baltrum I" im kleinen Inselhafen anlegt, warten dort schon Verwandte und Freunde auf die Ankommenden. Familiär geht es auf Baltrum überall zu. "Weniger ist mehr" scheint das Motto der ostfriesischen Insel zu sein. Alles ist hier überschaubar, das einzig Große ist der Strand, der zum Sonnenbaden und zu ausgiebigen Spaziergängen einlädt.
Am Spülsaum liegen Seetang und jede Menge Herz- und Miesmuscheln. Es riecht nach Meer und nach Großen Ferien. Im Sand spielen kleine Kinder, während ihre Eltern im Strandkorb entspannen. Viel los ist auf Baltrum nicht. Die kleine Insel im Nationalpark Wattenmeer ist so ein Urlaubsziel, an dem sich die Geister scheiden: "Entweder einmal Baltrum und das war's dann - oder man kommt immer wieder", sagt Antje Wietjes-Paulick, die Bürgermeisterin der Insel. "Es gibt keine Autos und nicht mal Elektrokarren. Man kann die Kinder ruhig laufen lassen", sagt sie. "Und auch die Türen sind meistens offen. Manche Familien haben gar keinen Haustürschlüssel." Diebe kommen ja auch nicht weit.
Wer Ruhe nicht gewohnt ist, für den ist Baltrum ein Kulturschock. "Kegelclubs kommen eher nicht zu uns", sagt die Bürgermeisterin. "Wir sind die Insel für diejenigen, denen Norderney zu laut ist." Die meisten der insgesamt 40.000 Gäste pro Jahr reisen im Sommer an. "Früher fing die Saison auch erst Pfingsten an und war Mitte Oktober vorbei", erzählt die 60-Jährige. "Heute kommen viele schon zu Ostern, und auch Weihnachten sind wir voll."
Straßennamen gibt es nicht
Inzwischen leben praktisch alle rund 500 Insulaner vom Tourismus. Dabei ist Baltrum erst 1876 Seebad geworden - Norderney war das schon 1797. Und anders als die Nachbarinsel kann Baltrum auch nicht mit einer langen Liste prominenter Besucher protzen. Paul Klee war immerhin mal da. "Das war 1923", sagt Edelgard Graß: "Im September für drei Wochen im Hotel Küper. Er war damals der einzige Gast." Die Inselhistorikerin kennt die Geschichte genau: Schließlich hat Klee damals vom Hotelfenster aus das Haus ihrer Familie gemalt.
Das Original ist heute in Schweizer Privatbesitz. Aber Edelgard Graß hütet eine Reproduktion. Baltrum war offenbar ziemlich inspirierend. Denn als Klee wieder abreiste, hatte er noch 18 weitere Bilder gemalt: die Dünen zum Beispiel und die "Inselhäuser".
Das Haus, in dem Edelgard Graß heute wohnt, gehört zu den ältesten Baltrums. Das sieht man schon an der Hausnummer 15. Denn auf der Insel gibt es keine Straßennamen. Alle Häuser sind durchnummeriert - die ältesten haben die kleinsten Zahlen. "Unser Haus gehörte zu den ersten, die nach der großen Sturmflut von 1825 gebaut wurden."
Kurze Wege bis zur Flut
Zwei Kirchen
Wie lange es schon Menschen auf Baltrum gibt, das weiß keiner, nicht einmal Edelgard Graß. "Die erste urkundliche Erwähnung ist von 1398. Da war die Insel schon besiedelt", erzählt die Insulanerin, die in ihrem Haus eine Reihe archivalischer Schätze versammelt hat. "Und um 1630 gab es schon einen Pastor und einen Inselvogt." Alle Häuser sind allerdings jüngeren Datums, auch die alte Inselkirche. "Sie ist 1826 fertig geworden", erzählt Graß.
Das kleine Backsteinhaus gehört neben der reetgedeckten katholischen Kirche und dem Nationalparkhaus zu den wenigen Sehenswürdigkeiten Baltrums. Die Kirchenwände sind schlicht, die Zahl der blau gestrichenen Bänke ist übersichtlich. "Sie waren früher fest an die einzelnen Familien vergeben", erzählt Edelgard Graß. "Jeweils für sechs Jahre, dann wurde neu gelost." Heute wird das kleine Gotteshaus nur noch für Trauungen genutzt. Montags und freitags gibt es eine Abendandacht.
Für die ist Pastor Lothar Friebe zuständig, der mit Frau und Kindern direkt neben der neuen Kirche wohnt. "Die alte hat nur 50 Plätze und ist einfach zu klein geworden", erzählt er. Das neue, 1930 eingeweihte Kirchengebäude ist so groß, dass es für die kleine Inselgemeinde allemal reicht. Aber schließlich kommen ja auch noch die Urlauber: "Im Sommer ist es bei den Gottesdiensten proppenvoll", erzählt Friebe, der zuvor Pastor im emsländischen Papenburg war, bis er von der freien Stelle auf Baltrum erfuhr. "Für kleine Kinder ist das hier ein Paradies", sagt er. "Gerade die Kleinheit" schätzt er an Baltrum. "Und die kurzen Wege."
Ein neues Museum
Eine der jüngsten Attraktionen ist das neue Museum im Alten Zollhaus, das Ende Mai eröffnet hat: Das Gebäude ist ein "Bummert", ein altes friesisches Doppelhaus, in dem ursprünglich zwei Zöllnerfamilien gewohnt haben. Die Ausstellungsstücke, die nun gezeigt werden, sind Leihgaben aus Baltrumer Familien: "Wir wollen einen Bezug zur Insel und den Insulanern herstellen", sagt Heidi Gansohr, Baltrum-Fan und Volkskundlerin am Rheinischen Landesmuseum in Bonn, die das Ausstellungskonzept mitentwickelt hat.
Ein Raum ist dem Thema Seefahrt gewidmet, das auf Baltrum immer ausgesprochen wichtig war: Kompasse sind da zu sehen, Schiffskisten und silberne Löffel, wie Kapitäne früherer Jahrhunderte sie von ihren Reedern nach erfolgreichen Fahrten bekamen. Auch Uhr, Fernrohr und Fahrtenbuch von Onno Reemts Ulrich, einem Baltrumer Seebären, sind hier ausgestellt, genau wie das Steuerrad des vor Baltrum gestrandeten Heringsloggers "Ministerialrat". Und Strandfunde gibt es etliche zu sehen: ein großer Bernsteinbrocken zum Beispiel, eine Ottermuschel und sogar eine Münze aus dem 9. Jahrhundert, wie auch immer die nach Baltrum gekommen sein mag.
Ein anderer Raum erinnert an die Schwesternstation, in der viele Baltrumer zur Welt gekommen sind - schließlich ist das nächste Krankenhaus weit weg. Zu den eindrucksvollsten Ausstellungsstücken gehört das Notizbuch von Tjark Evers - der Seemann wollte zu Besuch zu seinen Eltern nach Baltrum kommen und ließ sich auf einer Sandbank vor der Insel absetzen. Dann überraschte ihn die Flut. Er schrieb noch einige Zeilen und legte sein Büchlein in eine Zigarrenkiste, die später tatsächlich angetrieben wurde. Evers selbst wurde nie wieder gesehen.
Andreas Heimann, dpa
Baltrum in Stichpunkten
Baltrum in Stichpunkten
Reiseziel: Baltrum ist eine der sieben ostfriesischen Inseln vor der niedersächsischen Küste.
Anreise: Die Anreise führt mit der Bahn über Oldenburg und Leer bis Norden. Von dort fährt ein Bus bis zum Hafen Neßmersiel. Die Überfahrt mit der tideabhängigen Fähre der Reederei Baltrum-Linie dauert eine halbe Stunde. Eine Alternative ist die Flugverbindung ab Norden mit Baltrum-Flug. Die kleine Fluggesellschaft bietet auch Rundflüge und Tagesausflüge zu den Nachbarinseln an. Anreisende per Auto können ihr Fahrzeug in Neßmersiel stehen lassen.
Nationalparkhaus: Im alten Reedereigebäude der Baltrum-Linie ist heute das Nationalparkhaus untergebracht. Dort werden Vorträge, Führungen und Wattwanderungen organisiert. Die Ausstellung informiert unter anderem über Flora und Fauna an der Nordseeküste und im Wattenmeer. Der Eintritt ist frei.
Infos: Kurverwaltung, Postfach 1355, 26574 Baltrum (Tel.: 04939/800, E-Mail: gemeinde@baltrum.de, Internet: www.baltrum.de ). Nationalparkhaus, Haus Nr. 177, 26579 Baltrum (Tel.: 04939/469, Internet: www.nationalparkhaus-baltrum.de ); Reederei Baltrum-Linie (Info-Tel.: 04933/99 16 06, Internet: www.baltrum-linie.de ), Baltrum-Flug (Tel.: 04939/91 40 40, Internet: www.baltrum-flug.de )