Tibet-Bahn Himmelszug und Karaoke
Peking - Es ist die erste Bahnverbindung auf das "Dach der Welt", das ehrgeizigste und umstrittenste Eisenbahnprojekt Chinas. Ein Grund für Nationalstolz, sagen die Chinesen. Doch Tibeter sehen die Verbindung als Bedrohung für die Kultur ihrer Heimat.
Der chinesische Präsident Hu Jintao eröffnete höchst persönlich am Samstag die neue Eisenbahnstrecke. Die Verbindung sei eine "große Errungenschaft", die der abgelegenen Region Wohlstand bringen werde, sagte der Präsident auf einer Feier in der nordwestchinesischen Stadt Golmud. "Das Projekt ist nicht nur ein Meisterstück chinesischen Bahnbaus, sondern auch ein Wunder der weltweiten Eisenbahngeschichte", sagte Hu weiter.
In der vom Staatsfernsehen live übertragenen Zeremonie, an der rund 2600 Bahningenieure und -arbeiter sowie Funktionäre von Partei, Militär und Staat teilnahmen, wurde der erste Zug verabschiedet, der sich von Golmud in die tibetische Hauptstadt Lhasa auf den Weg machte.
Tibet galt lange Zeit als einzige Region der Welt, die nicht per Schiene zu erschließen sei. Schon der "große Vorsitzende" Mao Tsetung träumte in den 50er Jahren von einem Tibet-Express. Erste Abschnitte der 4561 Kilometer langen Strecke zwischen Peking und Lhasa wurden bereits in den 70er Jahren begonnen. Aber die raue Welt des tibetischen Hochlandes blieb von Schienen unberührt. Erst 2001 wurde die Arbeit an dem letzten Teilstück wieder aufgenommen.
Inzwischen hat China die Zweifler an dem Mammutprojekt, vergleichbar wohl nur mit der Großen Mauer oder dem Jangtse-Staudamm, eines Besseren belehrt. Die im Juni fertig gestellte Strecke führt von Golmud in der Provinz Qinghai nach Lhasa. 33 Milliarden Yuan (3,3 Milliarden Euro) soll dieser zuletzt fertig gestellte Abschnitt gekostet haben.
Die Strecke stellte Ingenieure wie Arbeiter vor eine enorme Herausforderung. Denn der Bau der Strecke stand unter Zeit- und Erfolgsdruck. Die Kommunistische Partei Chinas feiert nämlich am 1. Juli, der Tag, an dem die ersten Züge auf der Strecke losrollen, auch ihr 85-jähriges Bestehen. Es ist ein Bau im Gedenken an Mao und ein Geschenk an die Partei.
16 Wagons mit Sauerstoffzufuhr
Die höchste Bahnstation der Welt
Die Qinghai-Tibet-Trasse führt über 1956 Kilometer von der Provinzhauptstadt Xining durch das Kunlun und Tanggula Gebirge. Allein 960 Kilometer der Bahnstrecke liegen mehr als 4000 Meter über dem Meeresspiegel. Der höchste Punkt misst 5072 Meter, 255 Meter höher als die peruanische Andenbahn. Die Station Tanggula auf 5068 Meter wird in Zukunft der höchste Bahnhof der Welt sein.
Da in dieser Berggegend der Sauerstoffgehalt der Luft nur halb so hoch ist wie im Flachland, sind die Spezial-Waggons mit Sauerstoffgeräten bestückt. Ähnlich wie durch eine Klimaanlage wird Sauerstoff in die Kabinen gepustet. Wie im Flugzeug hat im Notfall jeder Passagier eine eigene Atemmaske. Ärzte fahren mit, um Patienten zu behandeln, die an Höhenkrankheit leiden. Die Wagons haben zudem alle Doppelglasscheiben mit Ultraviolettfiltern, um die Passagiere vor Sonnenlicht zu schützen.
Die dünne Luft war ein Grund, warum der Bau jahrzehntelang nicht für möglich gehalten wurde. Ganz abgesehen davon, dass die Gegend auch immer wieder von Erdbeben erschüttert wird. Ein anderer wichtiger Grund ist jedoch der gefrorene Boden, über den die Trasse teilweise führt. Langfristig könnte der zu einem Problem werden.
Luxuszug und Karaoke
Durch die globale Erwärmung weicht die Erde unter den Schienen von Jahr zu Jahr im Sommer stärker auf. Die Trasse könnte irgendwann absacken, befürchten Experten. Die Ingenieure beschlossen deshalb, große Permafrostbereiche mit Brücken zu überwinden. An anderen Stellen wurden Kühlrohre in den Boden eingelassen, die ihn ständig gefroren halten sollen, damit er stabil bleibt.
Allen Widrigkeiten im Vorfeld zum Trotz starteten nun die ersten Passagierzüge am Samstag in den Metropolen Peking und Schanghai und Kanton, sowie den westchinesischen Städten Chengdu und Xining. Die Reise von Golmud nach Lhasa dauert zwölf, von Peking aus sogar 48 Stunden. 930 Fahrgäste fassen die von jeweils drei Dieselloks gezogenen 16 Waggons eines Zugs. Ob es täglich eine Verbindung geben wird, ist noch nicht klar.
Die neue Bahnverbindung soll "Touristen, Händler und chinesische Siedler" anziehen, schrieb die Zeitung "China Daily". Tatsächlich sollen auch Luxuszüge mit Duschen, Tanz-Shows und Karaoke-Angeboten bis nach Lhasa rollen.
Proteste gegen die Strecke
Proteste gegen die Strecke
Bisher kommt man nur mit dem Bus oder Flugzeug nach Tibet. Exil-Tibeter fürchten den zu erwartenden Zustrom von Han-Chinesen und damit eine weitere kulturelle Angleichung der Tibeter, deren Hochland sich China nach dem Einmarsch der Volksbefreiungsarmee 1950 einverleibt hatte. Tibet-Initiativen prophezeien gar eine "zweite Invasion" per Bahn. Die tibetische Kultur verkomme langsam, aber sicher zur Touristenattraktion, wenn die Bahn weitere Siedler bringt, so die Kritiker.
Am Freitag beendete die chinesische Polizei einen Protest gegen die Bahnverbindung und nahm drei Demonstrantinnen - eine Amerikanerin, eine Britin und eine Kanadierin - fest. Die drei Frauen hatten am Pekinger Hauptbahnhof ein Spruchband mit der englischen Aufschrift "China's Tibet Railway, Designed to Destroy" ("Chinas Tibet-Bahn -konstruiert, um zu zerstören") gezeigt.
Experten und Politiker aus Peking unterstreichen dagegen die wirtschaftlichen Vorteile für die unterentwickelte und arme Westregion. Waren kommen bislang zu 85 Prozent über rumpelige Hochstraßen nach Tibet. In Zukunft könnte ein Großteil per Güterzug transportiert werden. Zug um Zug dürfte Tibet so noch enger an China gebunden werden.
Wirtschaftswissenschafter Andrew Fischer von der London School of Economics erwartet jedoch, dass der Tourismus nur langsam wächst und dass die Ausbeutung der tibetischen Bodenschätze weiterhin zu teuer bleiben wird. Der Hauptgrund des Projekts sei die Symbolik, sagt Fischer. "Es war die letzte Grenze, von der sie (die Chinesen) schon im vergangenen Jahrhundert geträumt haben."
Dabei soll es allerdings nicht bleiben, denn China plant drei weitere Bahnverbindungen im tibetischen Hochland. Nach Berichten staatlicher Medien ist eine Bahnstrecke von Tibets Hauptstadt Lhasa nach Yadong an der chinesisch-indischen Grenze geplant. Die zwei anderen Linien sollen das 3600 Meter hoch gelegene Lhasa an die nahe gelegenen Städte Nyingchi und Xigaze anbinden. Der Plan sehe vor, dass alle drei Strecken innerhalb von zehn Jahren fertig sind.
manager-magazin.de mit Material von dpa, ap, reuters