Im New Yorker Central Park baut der Verpackungskünstler Christo gerade seine nächste Großaktion auf: 7500 Tore mit safranfarbenen Vinyl-Segeln. Das Projekt wird, wie alle Christo-Werke seit 1971, von einem Deutschen koordiniert und mit edlen Fotos verewigt - dem Düsseldorfer Wolfgang Volz.
New York - Selbst dieser Jahrhundert-Blizzard hat sie nicht aus dem Konzept bringen können. Als Manhattan unlängst unter fast zwei Metern Schnee versank und der Sturm im Central Park die Bäume brach, waren sie gut gerüstet. Mit zehn Räumtraktoren und 170 Schneeschaufeln verhinderten sie, dass ihre Freiluftkunst ausgerechnet der Natur zum Opfer fiel. "Jetzt", lacht Wolfgang Volz, "kostet alles einfach nur ein bisschen mehr Geld."
Doch am Geld soll es nicht liegen. Rund 20 Millionen Dollar kostet das Abenteuer, auf das sich der Düsseldorfer Volz hier im winterlichen New York eingelassen hat. Doch die Namen seiner prominenten Kompagnons garantiert die Deckung solcher Summen fast automatisch. Außerdem gehen sie ziemlich spartanisch mit ihrem Guthaben um: In dem Bürocontainer, in dem sich Volz auf einem Parkplatz im Central Park eingerichtet hat, gibt's nicht mal eine Kaffeemaschine. Volz schlürft einen Kaffee aus der Kantine, und auch der ist schon halb kalt.
Kunst sollte sich aufs Nötigste beschränken. Das hat Volz jedenfalls gelernt, als langjähriger Partner, Projektleiter und Hausfotograf des Verpackungskünstler-Ehepaars Christo und Jeanne-Claude, die Anfang Februar in New York ihre neueste Mega-Aktion starten, nach jahrelanger Pause: "The Gates", 7500 Wegtore mit safranfarbenen Vinyl-Segeln, die sich durch den gesamten Central Park winden werden.
Christo und Jeanne-Claude zwischen den Grundmarkierungen ihres Central-Park-Projekts "The Gates".
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Freie Bahn für Christo: Näherinnen der Bieri Zeltplanen GmbH in Taucha bei Leipzig falten Stoffbahnen für "The Gates".
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Kunst mit Schneid: Roland Eilenberger beim Zuschnitt von Stoff-Paneelen in der Bieri Zeltaplan GmbH.
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Handarbeit: Eine Näherin bei der Anfertigung eines der 7500 Stoff-Segel.
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Kunst über Kunst: Fotoausstellung von Wolfgang Volz über "The Gates" im Metropolitan Museum of Art in New York.
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Neue Wege für Christo: Ein Schneepflug räumt einen Fußpfad entlang der Markierungen für "The Gates" frei.
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Ein Projekt von Gewicht: Entladen der tonnenschweren Stahlfundamente.
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Mobilmachung: Tausende von Stahlfundamenten werden im Central Park verteilt.
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Logistische Meisterleistung: 15.000 Stahlfundamente müssen mit Gabelstaplern im Central Park verteilt werden.
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Christos "The Gates": Bitte klicken Sie auf ein Bild, um zur Großansicht zu gelangen.
Als man noch kräftig rauchte
Wie immer ist die Sache selbst finanziert. Und wie immer seit 34 Jahren agiert der Deutsche Volz, ein schmaler, freundlicher Mann mit Flatterhaar, nicht nur als Koordinator, sondern auch als einziger, offizieller Lichtbildner des Unterfangens. Er ist der Mann, der die Fotos schießt, die anschließend um die Welt gehen, auf Kalendern, auf Postern und in Büchern.
"Mein ganzes Erwachsenen-Dasein habe ich damit verbracht", sinniert Volz, Mitbegründer der Fotografengruppe "Bilderberg", in einer kurzen Arbeitspause über diese Dauer-Kollaboration als Mann hinter dem Genie, und er meint das keineswegs bedauernd. Hunderttausende Bilder hat er gemacht, seit er Christo 1971 bei einem Porträtauftrag erstmals traf, da war er selbst noch ein 23-jähriger Kunststudent an der Essener Folkwangschule. Hunderttausende Fotos von den Werken eines anderen, aus allen Ecken der Welt: eingewickelte Brücken und Bäume, verhängte Canyons, endlose Stoffzäune und Schirmparaden am Strand und, den Deutschen wohl noch am besten in Erinnerung, der Berliner Reichstag, für dessen Verpackung Volz das Steilwand klettern lernen musste.
"Wie ein goldener Himmel, der warmen Schatten spendet"
Ausdruck wahrer Demokratie
Und jetzt also der Central Park. Seit einem Vierteljahrhundert ist "The Gates" in Arbeit. So lange hat es gedauert, bis die New Yorker endlich bereit und alle Genehmigungen eingeholt waren und sich, wie Volz sagt, "die glücklichen Umstände vereinten". Auf ersten Testfotos in Schwarzweiß, die Volz 1980 im Central Park machte, schien die Skyline noch viel leerer als heute, und bei den ersten Vorgesprächen im Büro des Parkverwalters, die Volz damals mit der Kamera dokumentierte, wurde noch kräftig geraucht und Jeanne-Claudes Haar war tiefschwarz. Heute hat sie das Altersgrau mit flammendem Rot überfärbt.
Es war letztlich der Tag des Horrors, der den Ausschlag gab zu Gunsten Christos: der 11. September 2001. Die Terroranschläge hätten die "Aura der Stadt" verändert, sagt Volz, der sonst im Düsseldorfer Stadtteil Flingern lebt, sich aber mit seiner Frau Sylvia für die Dauer des Parkprojekts eine Wohnung in New York gemietet hat. Es sei die Zeit gekommen für "ein positives Zeichen". Außerdem ist der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg ein alter Fan Christos, schon seit seinen Zeiten als millionenschwerer Geschäftsmann und Central-Park-Mäzen. Noch so ein glücklicher Umstand.
So lassen sich seit Anfang Januar die ersten Vorzeichen der Installation im Park erkennen. Diskret haben 600 Arbeiter nach zentimetergenauen Berechnungen von Christo, Volz und eines Ingenieurteams 15.000 Stahlfundamente an den Wegesrändern aufgestellt, auf einer Länge von 37 Kilometern und mit einem Abstand von je exakt 3,65 Metern. Viele sind seit vorigem Wochenende zugeschneit, nur die kleinen, orangefarbenen Plastikmarkierungen gucken hervor. In diese Fundamente kommen die fast fünf Meter hohen Torstangen und daran, zunächst eingerollt, die 7500 Vinyl-Segel mit einer Gesamtfläche von 101.250 Quadratmetern.
Kleine und große Weltreisen
Am kommenden Samstag dann sollen alle Stoffbahnen innerhalb eines Tages enthüllt werden und den Central Park in ein gigantisches, wehendes Kunstprojekt verwandeln - eine Leinwand für Christo und Jeanne-Claude. "Wie ein goldener Fluss" mögen sich die Stoffsegel durch die Natur ziehen, hofft Christo. Oder wie "ein goldener Himmel, der warmen Schatten spendet". Allen zugänglich, ohne Öffnungszeiten, ohne Warteschlagen, Ausdruck wahrer Demokratie, wie es auch schon der Park selbst im Sinne seines Schöpfers sein sollte, des Landschaftsarchitekten Frederick Law Olmsted.
"Alle unsere Werke drehen sich um Freiheit", erklärten Christo und Jeanne-Claude zum Auftakt der Bauarbeiten in New York. "Niemand kann unsere Projekte kaufen, niemand kann dafür Eintritt verlangen. Deshalb können unsere Projekte auch nicht bleibend sein und müssen für immer verschwinden."
Also ist auch hier nach 16 Tagen alles wieder vorbei. Das Einzige, was bleibt, sind wie immer Volz' Fotografien: hoch stilisierte, fein komponierte Stillleben. Im Original, in Kopie, von Christos Hand mit dem Buntstift zu Sammlerstücken veredelt, deren Verkauf bis zu 600.000 Dollar pro Stück einbringt - genug, um die Kasse für das nächste Projekt zu füllen.
Dass Volz dabei noch Zeit für andere Dinge findet, verblüfft ihn selbst manchmal. Cover-Fotos für die "Wirtschaftswoche", Illustrationen für Bilanzberichte von DaimlerChrysler und Siemens, Wissenschaftsreportagen für "Geo", Fotoreisen mit seiner Frau. Dieser Tage pendelt er - auch das eine kleine, tägliche Weltreise - zwischen Central Park und West Chelsea hin und her, dem New Yorker Galerieviertel, wo er gerade eine eigene Ausstellung hat. "ManMade Planet" heißt sie und ist auch schon in Oberhausen, Koblenz und Budapest gelaufen: eine fotografische Betrachtung dessen, wie der Mensch inzwischen auch den letzten Winkel der Erde erobert hat mit seinen Siedlungen, Bauwerken und künstlichen Räumen.
Das ist für ihn nicht zuletzt auch ein stiller Triumph: seine erste, selbstständige Show in der Kulturhauptstadt der Welt. "Die Kunstszene von New York ist eine unheimlich starke Größe", sagt Volz mit einem gewissen Klang von Ehrfurcht. "Wenn man da nicht präsent ist, fällt man schnell raus." Selbst Christo habe lange kämpfen müssen, um in diesem oft blasierten Universum anerkannt zu werden.
Doch auch in Chelsea kommt Volz nicht los von seinen Gönnern. Viele seiner Bilder dort zeigen alte Christo-Projekte - und Christo und Jeanne-Claude sind die Ehrengäste seiner Vernissage.