Boom der Fahrradmode Bloß keine mittelalten Männer in Lycra

Aus England kam vor knapp 20 Jahren mit Rapha eines der ersten Modellabel, das Fahrradfahrern Alternativen zu unvorteilhaften Lycraklamotten bot. Inzwischen gibt es ein paar Dutzend solcher Label.
Vom Radprofi zu Unternehmerin: Iris Slappendel hat schon als Radrennfahrerin Trikots entworfen, inzwischen verdient sie damit ihr Geld.

Vom Radprofi zu Unternehmerin: Iris Slappendel hat schon als Radrennfahrerin Trikots entworfen, inzwischen verdient sie damit ihr Geld.

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THOYA VERHEUL

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Der Pionier Simon Mottram (56) hat drei Boomphasen in der Fahrradbranche erlebt. Die erste nach der Finanzkrise 2008, die zweite nach dem Olympischen Sommerspielen 2012 in London. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie herrscht nun erneut Hochkonjunktur in der Szene. Die Lieferzeiten sind rekordverdächtig, die Nachfrage ebenso. Es sei schon interessant zu sehen, fabulierte Mottram kurz vor seinem Abgang als Chef des Fahrradklamottenherstellers Rapha Ende vergangenen Jahres, dass die Radbranche ausgerechnet dann zu einem Aufschwung käme, wenn es anderswo wirtschaftliche Probleme gebe.

Der Boom hat den früheren Marketingmann reich gemacht – nicht weil wer Fahrräder verkaufte, sondern Shirts für die Fahrerinnen und Fahrer. Das vor 18 Jahren von ihm gegründete Modellabel Rapha war eines der ersten, das Alternativen zu den typischen, kratzigen Lycraklamotten in schrillen Farben bot. Mit Erfolg – die Mehrheit an seinem Unternehmen verkaufte Mottram vor fünf Jahren für umgerechnet 220 Millionen Euro an die Enkel des Walmart-Gründers Sam Walton. Inzwischen steht William Kim an der Rapha-Spitze, der unter anderem bei den Luxusmode-Marken wie Gucci oder Burberry gearbeitet hat.

Radfahren ist Lifestyle geworden. Der globale Markt für Fahrradbekleidung dürfte sich, Schätzungen zufolge, im mittleren einstelligen Milliardenbereich bewegen. Dominiert wird er von Fahrrad-, Outdoor- und Sportartikelherstellern wie Shimano, Specialized, Endura oder Gore. Doch daneben gibt es inzwischen dutzende kleinere Label wie Rapha, die mit modischen Gegenentwürfen auf den Markt gekommen sind. Getreu dem Motto: Bloß keine "Mamils" – keine "Middle Aged Men in Lycra". manager magazin hat mit zweien von ihnen gesprochen.

Der Streifen-Revoluzzer von Café du Cycliste

Vom IT-Experten zum Designer: Remi Clermont ist heute Chefdesigner von Café du Cycliste

Vom IT-Experten zum Designer: Remi Clermont ist heute Chefdesigner von Café du Cycliste

Remi Clermont (45) hat Sportwissenschaften und Marketing studiert und danach bei einer IT-Sicherheitsfirma gearbeitet. 2009 hat er gemeinsam mit seinem damaligen Chef Andre Stewart (51), beide Hobby-Radfahrer, Café du Cycliste eröffnet – ein Café in Nizza, in dem sie nebenbei ein paar Fahrradtrikots und -hosen verkauften, entworfen von Clermont. Inzwischen setzt Café du Cycliste mit Fahrradkleidung für Männer und Frauen mehr als zehn Millionen Euro im Jahr um. Typisch für die Marke sind Trikots mit Streifen, die an die Arbeitskleidung bretonischer Schiffer erinnern.

manager magazin: Wie kam es, dass Sie ausgerechnet durch Fahrradkleidung zum Unternehmer wurden?

Remi Clermont: Da spielten mehrere Dinge eine Rolle, die sich im Nachhinein ganz gut zusammenfügten. Mein Job bei der IT-Firma hat mir keinen Spaß mehr gemacht. Ich wollte etwas Neues machen, für das ich wirklich brenne. In meiner Freizeit bin ich viel Rad gefahren, um fürs Kajakfahren zu trainieren. Doch die Fahrradklamotten damals haben mich nicht überzeugt. Ich wollte nicht aussehen wie ein Profi-Radler mit grellen Farben und werblichen Schriftzügen überall. Außerdem war ich damals schon überzeugt, dass man das Fahrradfahren mehr und mehr als Lebensstil begreifen würde, nicht nur als Sport. Und dafür braucht es andere Mode als die, die man damals kaufen konnte. Man will sich damit auch mal in ein Café setzen, ohne dass es einem unangenehm ist.

Was war die größte Hürde?

Da gab es nicht eine große Hürde, da gab es ständig eine neue große Hürden. Ich hatte doch keine Ahnung davon, wie man Kleidung entwirft, keine Ahnung von Stoffen und Materialqualität, davon, wo wir was in Europa fertigen lassen könnten – und dann noch in überschaubaren Losgrößen. Am Anfang hatten wir fünf verschiedene Produkte und gerade mal 100 Exemplare von jedem Produkt. Und vor allem hatte ich keine Erfahrung im Geschäft mit Endkunden. Ich bin viel auf Messen gewesen, habe mit Bekleidungsherstellern und Stofflieferanten gesprochen. Ich bin die Sache dann so angegangen wie mein Kajaktraining, immer Schritt für Schritt.

Was haben Sie sich als Nächstes vorgenommen?

Nicht mehr alles selbst zu machen, sondern Dinge in der Firma zu delegieren, zu professionalisieren. Ich habe jetzt jemanden, der mit mir die Kleidung designt. Wir haben einen Chief Marketing Officer eingestellt, einen Vertriebschef. Wir sind dabei, das Unternehmen anders zu strukturieren. Ich will nicht mehr Teil aller Diskussionen sein, die wir hier führen. Mal schauen, wie gut das klappt.

Was neue Labels wie Rapha oder Café du Cycliste vor allem geändert haben: Sie verwenden weniger Kunstfasern wie Lycra und mehr natürliche Fasern wie Merinowolle. Die hat vor allem einen Vorteil: Sie ist weniger anfällig für Schweißgeruch. Allerdings taten sich neue Probleme auf: "Unser teuerster Fehler, war Trikots aus 100 Prozent Merinowolle herzustellen", erzählt Clermont. Die habe man schnell vom Markt genommen, weil – typische Radrennfahrer-Sorgen – die Rückentaschen ausleierten und durchhingen. Merino bei Sportbekleidung funktioniert am besten in Kombination mit einem elastischen und dehnbaren Material wie Polyester.

Neben Hobbyradlern wie Clermont oder Mottram, die einen neuen Stil, dezentere Farben, andere Schnitte und bessere Qualität auf das Fahrrad gebracht haben, sind auch ehemalige Profisportler als Unternehmer aktiv. Dazu gehören der einstige australische Triathlet John Poulson, der vor acht Jahren Black Sheep Cycling mitgegründet hat, der schottische Ex-Radrennfahrer David Millar, der 2015 mit CHPT3 auf den Markt kam – und Iris Slappendel (37) aus den Niederlanden.

Bei Iris designt die Meister-Fahrerin

Slappendel war zwölf Jahre lang Profi. Sie hat unter anderem 2014 die niederländische Straßenmeisterschaft gewonnen. 2017 hat sie sich mit ihrer Bekleidungsmarke Iris selbstständig gemacht, die sich bisher auf Radfahrerinnen konzentriert.

manager magazin: Wie kam es, dass Sie ins Modegeschäft eingestiegen sind?

Iris Slappendel: Ich habe Grafikdesign studiert und schon während meiner Zeit als Profi-Radfahrerin mit verschiedenen Bekleidungsherstellern kooperiert und Trikots für sie entworfen. Ich habe auch Erfahrungen damit gesammelt, wie sich die Kleidung unterschiedlicher Hersteller in der Praxis bewährt. Nachdem ich meine Karriere im Profi-Radsport an den Nagel gehängt habe, habe ich mir gedacht, es gibt da Verbesserungsbedarf, und man kann Fahrradkleidung deutlich besser machen, vielleicht sogar perfekt. Das will ich hinbekommen und den Prozess auch komplett verantworten, also alle Schritte von der ersten Designidee, über die Auswahl des Materials, den Zuschnitt, die Herstellung. Ich will dabei auch keine Kompromisse eingehen – weder bei Optik noch bei Funktionalität.

Womit haben Sie sich besonders schwergetan?

Da gab es jede Menge, denn ich bin zwar kreativ und habe auch keine Angst zu scheitern, aber ich bin nicht als Unternehmerin geboren. Ich musste eine ziemlich steile Lernkurve hinkriegen. Was derzeit eine große Hürde ist, ist die Größe des Unternehmens. Ich habe allein losgelegt und mache das meiste auch immer noch allein, also das Design, das Testen der Produkte, das Organisieren von Fotoshootings, den Lagerbestand zu managen. Ich habe Helfer in Teilzeit fürs Marketing, für den Kundenservice, was super ist. Ich habe aber keine externen Investoren, ich mache alles aus eigener Kraft, organisches Wachstum ist mir wichtig – eine ganze bewusste Entscheidung von mir, um unabhängig zu bleiben, andererseits verlangsamt das natürlich die Entwicklung.

Was wollen Sie als Nächstes angehen?

Ich will mehr Produkte auf den Markt bringen und will, dass alle Frauen – unabhängig von ihrem Alter, ihrem Hintergrund und ihrer Figur – in Klamotten radeln, in denen sie sich wohlfühlen, gut aussehen, dadurch selbstbewusst Rad fahren und mehr Spaß an der Sache entwickeln.

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