

Außer Julian Schnabel konnte es sich lange niemand leisten, im Pyjama vor die Tür zu gehen. Der amerikanische Maler und Regisseur besucht seit Jahren im Schlafgewand sogar Galaveranstaltungen - als Künstler beweist er so seine Unangepasstheit an gesellschaftliche Normen und Dresscodes.
Schnabel wird sich wohl eine neue Uniform zulegen müssen. Denn der Schlafanzug erlebt eine Aufwertung wie vor ihm nur Sportkleidung. Das verdankt er seiner Bequemlichkeit, dem zunehmenden Trend zu Casual Mode - und Marc Jacobs. Der ehemalige Chefdesigner von Louis Vuitton trat 2013 am Ende seiner Show im Pariser Louvre im Pyjama auf den Laufsteg.
Bald darauf zeigten Dolce & Gabbana Morgenröcke in ihren Kollektionen, Pyjama-Looks folgten bei Gucci, Tod's oder Bally. Für die Frauen propagierten Labels wie Céline, Givenchy oder Calvin Klein sogenannte Slipdresses, also Kleider, die auch zum Negligé taugen.
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Nachtwäsche gehört nicht mehr allein in die Betten. Als sich im Januar auf der Männermodemesse "Pitti Uomo" in Florenz eine junge Generation von Schneidern vorstellte, demonstrierten nicht wenige von ihnen ihre Kunstfertigkeit an Pyjamas, die so fein geschnitten und erlesen hergestellt sind, dass sie problemlos auch tagsüber getragen werden können.
Maison Marcy aus Brüssel etwa hat es sich zur Aufgabe gemacht, Schlafanzüge für rund um die Uhr zu fertigen, die elegant mit Mänteln samt Einstecktuch oder Hut kombiniert werden. Oder Otis Batterbee: Er hat Design an der renommierten Londoner Modeschule Central St. Martins studiert und verkauft nun bei Harrods Schlafmasken und -anzüge an Leute wie Bryan Ferry oder Prince Charles.
Die 33-jährige Designerin Anna Heinrichs aus München stellt mit ihrem Label Horror Vacui detailreiche Pyjamas aus ägyptischer Seide her, die sie in Florenz und auf dem Berliner Mode Salon während der Fashion Week präsentieren durfte. Wo sonst komplette Kollektionen zur Schau gestellt werden, zeigte sie nur Nachtwäsche. Nicht allein der Pyjama ist in der Mode angekommen, auch die Mode in Pyjamas. Luxuslabels wie Valentino, Versace, Stella McCartney oder Alexander McQueen bieten neuerdings eigene Linien für Night- oder Loungewear an. Das Londoner Kaufhaus Selfridges eröffnete jüngst auf 3500 Quadratmetern ein "Body Studio" für Wäsche und Bademode.
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Die Verkäufe von Nachthemden und Pyjamas haben sich seit 2012 versechsfacht. Wer verstehen will, wieso, muss nur einmal knapp 600 Euro ausgeben für einen Schlafanzug von Olivia von Halle, in dem man sich nicht nur königlich bettet, sondern der sogar im verschlafenen Zustand Haltung verleiht. So beulenlos elegant mit Manschetten und abgestepptem Revers, so tailliert und seiden kommt er daher, dass die Familie beim Frühstück fragt, was man heute Besonderes vorhat.
Aber warum soll man so viel Geld ausgeben für ein Stück, das kaum jemand sieht? "Bei der Kleidung, die wir in Gesellschaft tragen, richten wir uns nach Regeln. Mode ist dann oft ein Statussymbol", sagt Heinrichs. "Daher finde ich die Frage spannend: Wie viel Luxus gönnen wir uns selbst? Der Pyjama ist das intimste und daher vielleicht auch ehrlichste Kleidungsstück."
Ausstellung "Undressed: A Brief History of Underwear", bis 12. März 2017, Victoria and Albert Museum, London, www.vam.ac.uk
Nimmermüde: Designer Marc Jacobs, ...
... Künstler Julian Schnabel ...
... und die ehemalige Kreativdirektorin der US-"Vogue", Grace Coddington, tragen gern auch jenseits des Schlafzimmers den Pyjama-Look
Olivia von Halle: Seidenschlafanzug "Lila Clemence" der britischen Designerin, 420 Euro, www.oliviavonhalle.com
Pyjama Party: So etwas kann man auch noch jenseits der Pubertät feiern. Jedenfalls, wenn man, wie hier im März die griechische Prinzession Olympia und Peter Brandt jr. bei Dolce & Gabbana zu Pyjama Party in der 5th-Avenue-Boutique eingeladen ist...
... wo es solche Szenen von totaler Sponaneität und Ungezwungenheit gab. Auch...
... Model Andreea Diaconu ließ sich im Schlafi ablichten, ebenso...
... Kate King in einer geblümten Variante.
Otis Batterbee: Schlafbrille mit Prince-of- Wales-Karo, 60 Euro, www.otisbatterbee.com
Maison Marcy: 24-Stunden- Baumwoll-Pyjama des belgischen Labels für Herren, 115 Euro, und Damen, 79 Euro, www.maisonmarcy.com
Marc O'Polo: Feinripp-Jacquard-Schlafanzug, 89,95 Euro, www.marc-o-polo.com
Fein angezogen: Auch bei der Agnes B-Show bei der Pariser Modewoche zeigten sich Models im feinen Schlafdress
Was fürs Auge: Palmetum-Pyjama für Herren aus ägyptischer Seide mit Paspeln und Fotoprint, 359 Euro, www.horror-vacui.com