
Die neuen Dandys Zwischen Geek und Gentleman
Hamburg - Das Dandytum sei eine ernsthafte psychologische Störung, schreibt Nathaniel Adams in seinem neuen Buch "I am Dandy - the Return of the Elegant Gentleman". Adams muss es wissen, denn er ist selbst einer: Er kleidet sich mit extremer Sorgfalt und ist fasziniert von den vielfältigen Erscheinungsformen manieriert-männlicher Eleganz, die er in dem englischsprachigen Bildband gemeinsam mit der Fotografin Rose Callahan porträtiert.
Dandys blicken auf eine lange Tradition zurück. "Der Dandy ist ein Mann, dessen Status, Arbeit und Existenz im Tragen von Kleidung besteht. Er widmet jedes Vermögen seiner Seele, seines Geistes, seiner Geldbörse und seiner Person heldenhaft der Kunst, seine Kleidung gut zu tragen: Während die anderen sich kleiden um zu leben, lebt er, um sich zu kleiden", schrieb der schottische Essayist Thomas Carlyle bereits 1834.
Im Blick hatte er dabei wohl auch den Prototyp des Dandys, Beau Brummell (1778 bis 1840). Der beschäftigte angeblich drei Friseure für seine verschiedenen Kopfpartien, polierte seine Stiefel mit Champagner und starb, wen wundert es, völlig verarmt. Die Verkünder des Dandytums waren Dichter wie Oscar Wilde (1854 bis 1900) oder Charles Baudelaire (1821 bis 1867). Letzterer schrieb in seinen Tagebüchern: "Der Dandy muss sein ganzes Streben darauf richten, ohne Unterlass erhaben zu sein, er muss leben und schlafen vor einem Spiegel."
Nathaniel Adams indes sagt: "Dandytum ist eine Einstellungssache." Es könne ein Einstieg sein, auf die eigene Erscheinung zu achten. Es schade auch nicht, Esprit zu haben. "Arbeit ist allerdings für alle Dandys eher nachrangig und kein Lebenszweck." Es sei eine Obsession, meint er: "Ich bin ja nicht aufgewacht und habe gedacht: Jetzt werde ich ein Dandy." Das sei mehr eine Prädisposition, die sich Bahn breche, als eine bewusste Entscheidung.
Man braucht nicht länger, um sich gut anzuziehen
Allerdings sehen viele Dandys ihre Selbststilisierung als Dienst an der Menschheit - denn er selbst, argumentiert einer der Porträtierten in Adams' Buch, stehe ja nur ein bis zwei Stunden am Tag vor dem Spiegel, alle anderen Leute könnten ihn aber den ganzen Tag lang betrachten. Die Sorgfalt, mit der echte Dandys sich kleiden, ist extrem, der Stil dabei zweitrangig. Es gibt unter ihnen sehr extravagant gekleidete, geschminkte Männer, den tweedfixierten britischen Landedelmann und den urbanen Snob, der Pullover verachtet.
"Es gibt eine breite Rückkehr zum Stil", glaubt Adams, "immer mehr junge Männer interessieren sich dafür, wie man sich gut anzieht. Und es ist ein Irrtum zu glauben, dass das ein irrer Aufwand sei. Man braucht nicht länger, um sich gut anzuziehen, als um sich schlecht anzuziehen." Das gelte im übrigen auch für eher breiter gebaute Männer - "die achten dann halt mehr auf ihre Kleidung als auf ihre Muskeln."
Ruppiger bringt das Carl Jakob Haupt auf den Punkt, der gemeinsam mit David Kurt Karl Roth sehr erfolgreich das deutsche Männermodeblog "Dandy Diary" betreibt: "Man kann alt und fett und trotzdem ein Dandy sein." Über Haupts Blog ist schon viel gesagt, wenn man die Ergänzungsvorschläge bei einer Google-Suche danach betrachtet - "Dandy Diary Pool Party" findet sich dort an vierter Stelle. Legendär sind nicht nur die Partys, sondern auch der Mode-Porno, den das Duo drehen ließ, und die Aktion, bei der sie Nacktflitzer auf Modeschauen schickten.
Das mag nicht jedermanns Geschmack sein, und sicher würden etliche der in Tweed und feinen Tuchen schwelgenden Gentlemen aus Adams' Buch die Nase darüber rümpfen. Dennoch eint die Herren mit den krawalligen Dandy-Bloggern eine gemeinsame Attitüde, die Haupt so zusammenfasst: "Gut aussehen ist langweilig. Wenn man einen perfekt sitzenden schwarzen Prada-Anzug trägt, sieht man gut aus. Ein Dandy ist man dann aber nicht. Dandys sind eher Künstler, die ihren Körper wie eine Leinwand betrachten, die man jeden Tag neu bemalen kann - gerne auch etwas abstrakter."
Es geht nicht um Mode, sondern um das Leben
Ihm gehe es weniger um Kleidung als um Lebensgestaltung, präzisiert Haupt. Mode sei "vielleicht sogar der langweiligste Teil" des Dandytums: "Interessanter ist das soziale Gefüge, die Orte, an denen man sich bewegt, die Menschen, mit denen man Beziehungen pflegt." Ein Dandy begeistere sich zwar für Mode, bewege sich aber bewusst außerhalb gesellschaftlicher Normen und Vorgaben: "Es gibt keine No-Gos. 99 von 100 Leuten halten Adiletten wahrscheinlich für sehr uncool, dabei sind sie derzeit das Coolste, das man tragen kann."
Dieses Statement mag als krasser Gegensatz zu der Einstellung der altgedienten Dresser in Adams' Buch erscheinen, von denen manche ihre Schuhe hingebungsvoll Jahrzehnte lang pflegen. Einer berichtet sogar davon, wie er als armer Teenager träumte: "Some day I'm going to have the greatest fucking shoes in existence." Aber ob Adiletten oder Budapester, entscheidend ist wohl eher die Zahl der Gedanken, die man für das eigene Schuhwerk aufbringt - die Schuhe selbst sind dann zweitrangig.
Beim englischsprachigen Blog "dandyism.net" findet sich auch dafür ein Beleg: Einer der Autoren kam von einer Soiree, über die er berichten sollte, zurück. Der Beitrag, den er postete, bestand in einem Foto seines linken Fußes (glencheckgemusterte Socke, gut geputzter Loafer) und der Bildunterschrift: My left foot. Dieser Bilderwitz illustriert das alte Ideal des Dandytums, das über Erwerbsarbeit die Nase rümpft und immer wieder allein das eigene Ich in den Mittelpunkt rückt, gern auch auf Kosten anderer.
"Dandys wollen singulär sein, aber sie lieben es auch, miteinander herumzuhängen", berichtet Adams. "Und sie lieben gesellschaftliche Ereignisse. Aber natürlich beäugen sie einander auch besonders kritisch. Viele Leute in meinem Buch lästern ziemlich über einige der anderen ab. Die halten sich gegenseitig für Hochstapler."
Man könnte das das Dandy-Paradoxon nennen: Einerseits will jeder Dandy ein schillernder Exot sein, andererseits braucht er die Anerkennung anderer Dandys, weil das gemeine Volk einfach zu wenig Ahnung in Stilfragen hat. So selbstfixiert Dandys sind - voneinander kommen sie auch nicht los.