
Designer von Michelle Obama, Rihanna & Co. Modedesigner Azzedine Alaïa spürt Düften nach
Das Mauerwerk bröckelt, die Leitungen liegen über Putz, und die Holztür könnte einen neuen Anstrich vertragen. Wäre da nicht das polierte, goldene Messingschild mit Klingelknopf und Sprechanlage, gäbe es keinen Grund, in dieser Ecke des Pariser Viertels Marais nur eine Minute länger zu verweilen. Doch hinter dem renovierungsbedürftigen Eingang versteckt sich der Hauptsitz von Azzedine Alaïa, Kultdesigner der 80er Jahre und Meister der perfekten Silhouette, der seit knapp einem Jahrzehnt ein fulminantes Revival erlebt.
Rund 300 Gäste drängen sich vor dem ehemaligen Schraubenlager, das als Atelier, Showroom und Boutique dient, um die Präsentation des ersten Parfüms des Altmeisters zu feiern. Man munkelt, Alaïa sei zwischen 1938 und 1940 geboren. Sein genaues Alter bleibt ein Geheimnis und der Hausherr selbst an diesem Abend zunächst unsichtbar.
Nach zwei Stunden Stehempfang im etwas heruntergekommenen Hof dürfen die Gäste in die aufs Feinste aus Stahl konstruierte Halle, die sonst für private Modeschauen dient. Für das Candle-Light-Dinner wurde sie aufwendig umdekoriert. Als die Vorspeise serviert wird, mischt sich der Gastgeber diskret unter die Gäste. Azzedine Alaïa versteckt sich gerne, am liebsten hinter seinen Kreationen.
Die Kleider des Couturiers wirken wie eine Droge: Wer einmal eines seiner Wunderwerke aus 40 und mehr Einzelteilen übergestreift hat, weiß, was ein perfekter Schnitt am Körper bewirken kann - und will mehr.
Greta Garbo und Grace Jones wurden seine Musen
Greta Garbo war eine der Ersten, die der Magie des nur rund 1,50 Meter kleinen, immer in einen schwarzen Mao-Anzug gewandeten Mannes verfallen sind. Grace Jones wurde seine Muse, die perfekte Trägerin seiner skulpturalen Schöpfungen. Topmodels wie Stephanie Seymour, Linda Evangelista oder Naomi Campbell liefen gratis für ihn, nur um mit einer Kreation entlohnt zu werden.
Michelle Obama trägt seine Kleider heute gerne zu offiziellen Anlässen. Rihanna und Tina Turner als treue Stammkundinnen sind der beste Beweis, dass seine Mode keine Altersgrenzen kennt.
"Die Kleider, die ich entwerfe, sollen Frauen glücklich und verführerischer machen. Manche haben dank mir sogar einen Ehemann gefunden", erklärte Alaïa einmal. Er ist ein Workaholic, werkelt bis um vier Uhr morgens an einem Modell herum. Herrenmode gibt es nicht, Damenhosen nur sehr selten. Azzedine Alaïa hat sich ganz der Weiblichkeit und der Verschönerung femininer Formen verschrieben. Unter seinen Händen bekommt unförmiger Strick Halt, wird aus zartem Chiffon ein Stoff mit Gewicht, aus hartem Leder butterweiche Spitze und aus einer normalen Figur die perfekte.
Er ist ein Fashion-Alchimist, ein Frauenversteher, aber auch ein "Resistant", ein Widerstandskämpfer, wie es Olivier Saillard, Paris' berühmtester Modehistoriker und anerkannter Alaïa-Experte, ausdrückt: Der gebürtige Tunesier folgt keinen Trends, seine Läden haben keine Schaufenster, er schaltet keine Werbung. Die Preise seiner Kleider, Taschen und Schuhe werden nie reduziert. Kein Stück unter 1000 Euro! Er weigert sich, der Pariser Modekammer beizutreten, und erteilte schon dreimal französischen Präsidenten eine Abfuhr, als die ihm den Orden der Ehrenlegion verleihen wollten. "Die französische Staatsangehörigkeit erhalten zu haben ist Ehre genug", so seine Begründung.
Parfüms gelten als Cash-Cows
Zeit spielt für ihn keine Rolle. Der studierte Bildhauer und Mode-Autodidakt zeigt seine Kollektionen grundsätzlich ein bis zwei Monate nach den offiziellen "Fashion Weeks". Einkäufer und Presse kommen trotzdem - auch wenn er keine Interviews gibt. "Ich will Leuten, die etwas Wichtiges zu sagen haben, nicht die Zeit stehlen", so Alaïa. Der kleine Mann mit dem struppigen schwarzen Haar macht, was er will. Geld und Ruhm sind für ihn zweitrangig.
Umso erstaunlicher ist es, dass er nun ein Parfüm auf dem Markt bringt. Mit dem Eintritt ins Beauty-Business kommen Designer normalerweise von ihrem Olymp hinunter in die kommerziellen Sphären, um Umsatz und Gewinn zu steigern. Parfüms gelten als Cash-Cows und sind Teil der Marketingstrategie. Die Schweizer Richemont-Gruppe, die 2007 bei Alaïa einstieg, um die Marke voranzutreiben, hielt sich lange zurück. Viele Jahre durfte der Couturier experimentieren. Vor drei Jahren endlich stieß er auf eine passende Duftprobe - und auf die richtige Parfümeurin: Marie Salamagne.
"Die Begegnung mit Monsieur Alaïa war etwas, das man in einem Berufsleben nur einmal erlebt", sagt die 38-Jährige. "Normalerweise hat ein Parfümeur keinen Kontakt mit den Designern. Man spricht mit den Marketingleuten. Ich aber wurde in die Alaïa-Familie aufgenommen." Nach jedem Meeting aßen die beiden zusammen in seiner Küche, wo alle wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Schnell entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis. "Er betonte immer wieder, dass ich die Lösung alleine finden müsse. Seine einzigen Hinweise waren: ,Diese Duftnote ist die Alaïa-Frau, diese hier ist sie nicht.' Irgendwann verstand ich. Die Alaïa-Frau ist elegant und stark. Sie ist ein echter Charakter."
So wie Azzedine Alaïas Großmutter Manou Bia, bei der er aufwuchs und die ihm bis heute als Inspiration dient. Im Sommer warf die Dame eimerweise Wasser gegen die Wände, um das Haus in Tunis zu kühlen. Die Erinnerung an diese Geste und ihre Gerüche ist umgesetzt in ein Parfüm aus Moschus, Freesien, Pfingsrosen und rosa Pfeffer. Der Duft ist speziell, der Vertrieb selektiv.
Der Flakon ist nur auf den ersten Blick schwarz und eigentlich durchsichtig. Sein Muster greift die typische Lochstanzung von Alaïas Gürteln und Taschen auf. Diese erste Line Extension ist mit dem gleichen Anspruch an Perfektion und den gleichen Überraschungen kreiert wie die Mode - ein Juwel, das sich zuerst versteckt, dann aber beim Tragen offenbart. So diskret tiefgründig wie der Designer selbst, der bei der Launch-Party erst dann von seinem Tisch aufsteht und mitfeiert, als die meisten Gäste längst gegangen sind.
In Rom läuft bis 25. 10. die Alaïa-Ausstellung "Couture Sculptur", www.galleriaborghese.it, www.alaia.fr, www.bpi-sa.com.