
Neue Anzüge Raus aus dem Büro, rein in den Zweiteiler
Köln/Berlin - Wer heute im Anzug durch die Stadt paradiert, muss nicht zwangsläufig aus dem Büro kommen. Viele junge Männer finden auch in der Freizeit zunehmend Gefallen am schicken Auftritt im Zwei- oder Dreiteiler. Die Designer fördern diese Einstellung: Wer in Farben und Mustern Ungewöhnliches wagen will, findet im Handel viel Auswahl. Auf einem Anzug von Sisley finden sich etwa großformatige Rautenkaros, und bei H&M prangt eine Anschnallgurt-Applikation am reverslosen Jackett.
Vom staubgrauen Vertreteranzug ist das denkbar weit entfernt. "Die neue Angezogenheit" nennt Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts (DMI) in Köln, die neue Neigung der Jüngeren, sich stilvoll in Schale zu werfen. "Junge Menschen entdecken die klassische Moderne", meint er. Vor dem Hintergrund krisenhafter Zeiten orientierten sie sich an der Konvention: "Man hält sich fest an der Sicherheit der Form, sucht sogar nach einem gewissen männlichen Uniformismus."
Langweilig muss das aber nicht sein. Im Gegenteil: "Die ödesten Anzüge sind meist die, die Büroleute nur deshalb tragen, weil sie welche tragen müssen", sagt der Berliner Modeautor Bernhard Roetzel. "Freiwillige Anzugträger wagen da mehr." Immer noch in Mode ist der Stil der 60er Jahre. Andreas Rose, Modeberater aus Frankfurt, macht Fernsehserien mit Anzugträgern wie "Mad Men" oder Tom Fords oscarnominierten Spielfilm "A Single Man" als Trend-Verstärker aus. Deren Dresscode: polierte Schuhe, Seitenscheitel, Krawatte und Einstecktuch zum Anzug.
"Der neue Mann hat eben keine Angst davor, eine gute Figur zu machen", erläutert Rose. "Wer sich einen edlen Zweiteiler überstreift, vermittelt Stil, Kreativität und Professionalität." Es sind dabei meist die kleinen Dinge, die einen Trend ausmachen: "Die Mode ändert sich stets vom Detail", erläutert Gerd Müller-Thomkins. Bevor eine Farbe etwa bei Sakkos eingesetzt wird, nähere sie sich zunächst über Accessoires wie Schals und dann Hemden langsam an. Möglich sei durchaus, dass sie danach dann wieder ganz verschwinde. "Schwarz ist wohl die Nicht-Farbe, die nach der Farbe kommt", prophezeit der Modekenner.
Schmale Anzüge sind nur etwas für schlanke Männer
Doch so weit ist es noch nicht: United Colors of Benetton kontrastiert aktuell einen grauen Karoanzug mit orangefarbigem oder neongrünem Rollkragenpulli. Und Hugo kombiniert zum schwarzen Sakko ein blaues Hemd, dunkelblaue Hose und glänzend hellblaue Schuhe. "Unter dem Sakko setzen Cardigans, Strickweste oder V-Neck-Pullover farbige Akzente", rät Andreas Rose. "Modische Männer stimmen ihre Strümpfe mit der Krawattenfarbe ab, und bei hellen Anzügen orientiert sich die Strumpffarbe an den Schuhen." Auch Strickkrawatte oder Nicki-Tuch geben Anzügen einen neuen Touch.
Was bei den Kollektionen auffällt, sind die Silhouetten - denn die bleiben bis auf weiteres konstant schlank. "Alles ist schmal, knapp und kurz wie schon bei den Mods", sagt Bernhard Roetzel. Die Jacken enden auf der Gesäßmitte, die Hosenbeine liegen eng am Bein, und der Hosensaum schwebt weit über den Schuhen. "Solche Anzüge passen allerdings nur auf extrem schlanke Jünglingskörper, gestandene Männer sehen darin aus wie im Konfirmationsanzug ihres kleinen Bruders."
Über kurz oder lang, prophezeit Roetzel, werde der Retro-Trend aber noch weiter zurückgehen bis in die 30er Jahre. Die Folge: Die Anzugmode bekommt weitere Hosenbeine und mitunter sogar Bundfalten. Dass sich die Anzugmode so stark auf schlanke Jugendlichkeit kapriziert, ist indes nicht verwunderlich angesichts der Tendenz, dass schon auf vielen Schulfeiern heutzutage wieder Anzugpflicht herrscht. "Im Vergleich zur vorherigen Generation ist der Anzug heute weniger ideologisch belastet", sagt Roetzel. "Die Jugend rebelliert nicht mehr gegen die Seriosität der Älteren, ihre Herangehensweise ist unverkrampfter."
In gewisser Weise habe sich die Sache umgedreht, ergänzt Müller-Thomkins. "Während sich ältere Männer heute Tüchlein um den Hals hängen, um jünger zu erscheinen, kleiden sich die Jüngeren in Hemd, Krawatte und Anzug." Das sei kennzeichnend für eine neue Bürgerlichkeit. Die Suche nach Bodenständigkeit und auch die Identitätssuche im globalen Raum zeige sich in der Tracht. Das Samtsakko mit Stehkragen zum Beispiel, das Hartwich in seiner Winterkollektion führt, spielt offensiv mit dem Loden-Look.
Die Anzüge für den Geschäftssektor sehen moderater aus, aber im Einheits-Dunkelblau erschöpft es sich nicht. Dezente Kreidestreifen oder schottische Glencheck-Karos seien derzeit gefragt, berichtet Rose. "Glencheck ist ein feines Karomuster, das durch ein zweites Karo überlagert wird. Dezent gemustert bilden sie eine gute Alternative zum gewöhnlichen Business-Grau." Von jeder Mode unberührt bleiben verbreitete Stilfehler, so Rose: "Männer haben oft Probleme mit der Passform und kaufen lieber eine Nummer zu groß, oft sind auch die Sakkoärmel zu lang. Sie sollten stets zwei Zentimeter vom Hemd freigeben." Auch ein Kurzarmhemd unter dem Sakko sei ausgeschlossen. "Die Business-Regel lautet: Immer Krawatte und immer langärmelig, Zweireiher bleiben in jeder Situation geschlossen, und der unterste Knopf bleibt immer offen."