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Antje von Dewitz

Kolumne "Teil der Lösung" Mehr Verbote, bitte!

Antje von Dewitz
Von Vaude-Chefin Antje von Dewitz
Wenn sich wirklich etwas ändern soll in der Wirtschaft, muss der Staat helfen. Denn Verbote können echte Innovationstreiber sein. Bestes Beispiel: der Umgang mit Chemikalien in der Outdoorbranche. Ein Plädoyer.
aus manager magazin 5/2023
Trügerische Idylle: Besonders viele Outdoorprodukte, wie etwa Zelte, enthalten Fluorcarbone, kurz PFAS. Die Chemikalien sind wasserabweisend – schädigen aber Mensch und Natur.

Trügerische Idylle: Besonders viele Outdoorprodukte, wie etwa Zelte, enthalten Fluorcarbone, kurz PFAS. Die Chemikalien sind wasserabweisend – schädigen aber Mensch und Natur.

Foto: Patchareeporn Sakoolchai / Getty Images

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Haben Sie sich auch schon mal gewünscht, dass etwas einfach verboten wird?

Mir ist klar, wenn eine Unternehmerin das schreibt, klingt das erst mal paradox – oder zynisch. Als Geschäftsführer*innen wollen wir frei gestalten und möglichst wenig staatliche Einmischung.

Als CEO mit einer Vision für nachhaltigeres Wirtschaften habe ich allerdings erlebt, dass öffentlicher Druck und Verbote nicht nur sehr viel Positives bewirken können, sondern eine Voraussetzung für Transformation und Innovation sind.

Ein gutes Beispiel dafür: Fluorcarbone, kurz PFAS genannt, sind industriell hergestellte chemische Stoffe, die nicht biologisch abbaubar sind. Deshalb werden sie auch als "ewige Chemikalien" bezeichnet. Früher wusste man es nicht besser – oder hat es verdrängt –, aber seit Langem ist bekannt, dass sich PFAS in der Natur, in der gesamten Nahrungskette und damit auch im menschlichen Körper anreichern. Sie wurden in Gletschereis und Muttermilch nachgewiesen, überall auf der Welt. Es gilt heute als wissenschaftlich erwiesen, dass diese Stoffe größtenteils giftig und krebserregend sind.

Dennoch werden sie weiterhin eingesetzt: in Pfannen, Pizzakartons, Kosmetik – und aufgrund ihrer wasserabweisenden Funktion auch in den meisten Outdoorprodukten. Es gibt Berechnungen, denen zufolge allein die gesundheitlichen Gesamtkosten im Zusammenhang mit PFAS für Länder im Europäischen Wirtschaftsraum jährlich auf 50 bis 80 Milliarden Euro beziffert werden. Rechnet man noch Kosten für Umweltscreenings, Wasseraufbereitung und Bodenreinigung hinzu, kommt man schnell auf Milliardensummen – Summen, die nicht die produzierenden Unternehmen, sondern die Allgemeinheit tragen muss, ganz zu schweigen von der Natur.

Eine beschwerliche Reise

Bei Vaude haben wir vor 15 Jahren angefangen, Produkte ohne PFAS zu entwickeln. Es war eine teure, beschwerliche Reise. Zunächst gab es keine funktionierenden Alternativen am Markt. Die neue Chemie musste im ersten Schritt mit unzähligen unterschiedlichen Materialien getestet werden, um die erwünschte Wirkung zu erzielen. Es war nachvollziehbar, dass die meisten Produzenten dieses aufwendige Vorgehen schlicht ablehnten, wenn nur ein Unternehmen danach fragte. 2011 gelang es uns, einen langjährigen chinesischen Produktionspartner zu überzeugen, eine PFAS-freie Outdoorjacke und -hose mit uns zu entwickeln. Ein Jahr später hatten wir mit hervorragenden Laborergebnissen das erste Erfolgserlebnis. Wir kündigten voller Freude die ersten fluorcarbonfreien, dauerhaft wasserabweisenden Outdoorjacken an, gingen in die Produktion unserer Musterkollektionen und zeitgleich in die Feldversuche.

Doch die Ergebnisse aus der Praxis waren niederschmetternd. Das Material saugte sich voll, ließ den Jackenträger klamm und feucht zurück, und war damit gänzlich ungeeignet. Wir überarbeiteten den Prozess, änderten die Materialstruktur, produzierten neue Musterteile – nur um ein Jahr später wieder am Praxistest zu scheitern. Es war zermürbend: Weder gab es eine Nachfrage von Kundenseite nach PFAS-freien Produkten, noch zuverlässige chemische Alternativen am Markt, und nun auch keinen Produktionspartner mehr, der bereit war, mit uns neue Versuche zu starten.

Wenige Monate später gesellte sich zu meinem Frust noch Entrüstung hinzu. Greenpeace startete eine Kampagne gegen Schadstoffe, insbesondere PFAS, in der Textilindustrie und nahm dabei die Outdoorbranche ins Visier. Gemeinsam mit anderen Marken wurde auch Vaude als Umweltsünder gebrandmarkt, denn auch unsere Produkte enthielten damals natürlich noch PFAS.

Zu Alternativen "gezwungen"

So ungerecht sich das für mich damals anfühlte: Die Aktion zeigte Wirkung. Und sie bewies, wie viel möglich ist, wenn der öffentliche Fokus gesetzt ist und die gesamte Wertschöpfungskette an einem Strang zieht: Die Kampagne löste erstmals empörte Nachfragen vonseiten der Konsument*innen aus, setzte die Hersteller unter Druck und führt so dazu, dass innerhalb kürzester Zeit Alternativen entstanden.

Trotzdem war die Umstellung kein Selbstläufer. Ein Großteil der Arbeit lag bei uns selbst: Wir organisierten einen systematisierten Austausch zwischen unseren Produzenten, Materiallieferanten und der Chemieindustrie, definierten Kriterien für jede Produktgruppe sowie exakte technische Anforderungen an unsere Produktionspartner und entwickelten völlig neue Test- und Dokumentationsverfahren für unsere Materialien. Schritt für Schritt haben wir es über die letzten Jahre geschafft, in allen Produktgruppen, von Schlafsäcken, über Schuhe, Rucksäcke und Bekleidung und ab 2025 dann voraussichtlich auch in allen Zelten, auf PFAS zu verzichten. Das Ergebnis macht mich stolz.

Die Greenpeace-Kampagne war imageschädigend und für mich persönlich sehr schmerzhaft. Aber im Rückblick war sie auch ein Innovationstreiber, für den ich dankbar bin. Schneller, preiswerter und mit wesentlich größerer Reichweite jedoch hätte ein simples PFAS-Verbot gewirkt. Genau das ist jetzt der Vorstoß, den Deutschland EU-weit durchsetzen will.

Es wird Zeit, dass wir als Unternehmer*innen nicht nur angesichts des Zustands unseres Planeten, sondern auch im Sinne unserer eigenen Wettbewerbsfähigkeit, gesetzliche Vorgaben auch als Chance sehen. Statt sie pauschal abzulehnen, sollten wir auf den Einzelfall schauen: Der Staat kann die dringend notwendige Transformation zu einer zukunftsfähigen Wirtschaft entscheidend antreiben. Wenn wir unserer Verantwortung für Mensch und Natur nachkommen wollen, braucht es mehr sinnvolle Verbote!

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