
Floris van Bommel: So wird ein Schuh draus
Floris van Bommel Der verrückte Schuhmacher
Köln - Floris van Bommel ließ sich als damals vollkommen Unbekannter 1997 nackt ablichten, um schnöde Schuhe zu promoten (er schwört allerdings, er habe beim Fotoshooting eine Unterhose angehabt).
Er sponserte einen Film namens "Kees de Joongen" (2003), uraufgeführt in Anwesenheit der niederländischen Königin, in dem er selbst einen schuhkaufenden Kunden mit üblen Schweißfüßen gab. Er berechnet (2014) - wer weiß, auf welcher Grundlage? - den Kaloriengehalt eines edlen Leder-ankle-Boot und lässt das Ergebnis in die Zunge des Luxus-Schuhs einprägen.
Da steht dann ein Ablaufdatum wie auf einem Lebensmittelprodukt: Best before (Datum), Calories: 900. Sein Bestseller-Sneaker besteht aus 19 verschiedenen Materialien. Sagt Floris van Bommel schmunzelnd: "Die Leute aus der Planung drehen durch! Den Schuh herzustellen ist ein Desaster. But I like it! " It's only Rock'n Roll, but: Ein riesiger Erfolg.
Floris van Bommel versteckt Geheimbotschaften wie Bilderrätsel auf Schuhsohlen oder im Innenfutter, "die nur ich kenne; nicht einmal mein Vater und meine Brüder können sie lösen oder wissen darum." Das ist sein Höchstes. Dieses Geheimnis. Sein Lieblingsspiel. Er feixt. Freut sich wie eine Horde Affen aus dem Christbaum.
Selbst Schreibfehler werden zum Kult
Der jüngste Trick besteht aus Strichmännchen-Zeichnungen, ein Rebus - eingeritzt in die Schuhsohle eines Nobel-Treters - von einem Huhn, einem Pfeil, gerichtet auf die Sohle selbst, und einer Olive: Aus seinem Süd-Holländischen Dialekt übersetzt ergibt sich der englische Satz: "Keep the sole alive". Auf manchen anderen Schuhen ist auch das Wort "Foodwear" in die Sohle graviert. Ein dämlicher Schreibfehler, irgendwann passiert, der Kult geworden ist.
Alles für seine Marke, alles ist seine Marke: Floris van Bommel. Er selbst. Seine Guerilla-PR. Sein subversives Marketing. Er ist der Till Eulenspiegel des modernen Marketings. Ein "Shoetingstar" der gesamten-Schuh-Industrie, wie das Magazin "Business Punk" über ihn titelte. Einer, der mit kindlicher Unschuld, freiem Geist, Lust an der Sache und leidenschaftlich-erfolgreichen Schnapsideen allen eine Nase dreht.
Einer, der Sohlen-Verwandte um sich schart, wie es sich Großkonzerne nur wünschen würden: Jeder 20. holländische Mann, so rechnet van Bommel vor, kauft einmal im Jahr ein Paar Floris van Bommel-Schuhe - mehr als 300.000 Paar werden per anno allein im Königreich abgesetzt; von Belgien und Deutschland (280 Verkaufsstellen), den weiteren Hauptmärkten, ganz zu schweigen.
Vater Frans bestätigt: Während seit der Finanzkrise 2008/09 alle vergleichbaren Firmen nur Verluste meldeten, sei "Floris van Bommel" stetig gewachsen, "against all odds". Innerhalb von zehn Jahren verdoppelte sich der Gesamtumsatz. Täglich verlassen 600 Paar Schuhe die schicke Manufaktur in Moergestel; die "Goodyear"-, will heißen: rahmengenähten Schuhe, durchlaufen rund 280 Handgriffe. Echte Qualität.
Neun Generationen von Schuhmachern
Ob als Video auf Youtube, just nun als Promotor - online und bei Konzerten - des jünglingshaften Winsel-Sängers Jay Brannan (offiziell: Singer/Songwriter in Sachen Einsamkeit, Wut und Folk-Pop) oder selbst als One-man-boy-Group im holländischen Mitternachts-Radio: Floris ist auch seine eigene Band, mit eigenem Mädchen-feenhaft-verschwiemeltem Psychodelic-Tattoo auf dem linken inneren Unterarm als Logo.
Gitarre, Bass, Drums, Stimme. Er macht alles selbst. Früher hieß seine "Band" (= er selbst) mal "Dying Typhys", jetzt hat es sie umbenannt in "Diane Tyas", fand er dann irgendwann ungefährlicher. Er legt übrigens auch Wert darauf, dass ein Teil des Media-Budgets an Schwulen-Magazine in Benelux und Deutschland geht, siehe Jay Brannan. Findet er klasse.
Dieser Mann ist pure Anarchie. Voll gegen den Stich gebürstet. Und einer der erfolgreichsten Familienunternehmer Europas. Der Mann ist Schuhverkäufer. Genauer gesagt: Schuhfabrikant und - Designer. Sein Terrain: Der Premium-/Luxus- und Trendbereich. Er ist Salesperson, Testimonial, Marketingmensch, Entwerfer, Produzent und PR in Personalunion: Floris van Bommel, 39.
Wer braucht da schon Prominente für die Werbung? Obwohl, er hatte mal mit Rutger Hauer, dem deutschen Schauspieler Daniel Brühl und dem Fußballer Philipp Lahm zusammen gearbeitet. Alles in Eigenregie für Anti-Aids-Kampagnen. Keine billige PR. Seine Sache nicht.
Ein Anarchist als Hoflieferant
Floris vertritt ein altehrwürdiges Unternehmen in neunter Generation. Seinen Stammbaum kann man auf über 30 Metern Fläche, comichaft gestaltet von dem kalifornischen Künstler Kevin Bannister, im Headquarter in Holland bestaunen. In Mini-Versionen auch in seinen Shops.
Seine Brüder und er haben das Unternehmen (rund 200 Mitarbeiter) von Vater Frans übernommen. Der ältere Bruder, Reynier (CEO), sieht aus wie ein Banker, klein, zweckig, grauer seriöser Anzug, das Haar modern glatzig geschoren und immer mit iPad im Anschlag; der jüngere, Pepijn (Commercial Director) strahlt aus laserblauen Augen und trägt einen blonden Tim-und-Struppi-Schopf, Jeans und kariertes Hemd, ein fröhliches holländisches Werbe-Klischee aus dem Tulpen-Land.
Floris ist der kreative Kopf. "Das ist wie eine Krankheit", sagt er "ich sehe ständig überall Möglichkeiten. Und dann muss ich sie verwirklichen." Die Brüder könnten unterschiedlicher nicht sein. Äußerlich. Das innere Geheimnis: Das wichtigste Kapital sind die engen Familienbande. Nur deshalb sind solche Eskapaden möglich. Und nur deshalb gelingt diese verrückte Freestyle-Strategie. Man wohnt in der Nachbarschaft, spricht täglich.
Sagt Floris: "Wenn ich in einem großen anonymen Unternehmen wäre, müsste ich mit meiner Marke beispielsweise in Pferderennen oder Golfturniere investieren. Das bin ich aber nicht. Ich bin kein klassischer Anzugträger und habe keine Ahnung von Pferden und Golf. Das interessiert mich auch nicht. Ich kann nur eins: authentisch sein. Machen, war mir persönlich gefällt."
Also: Rock'n Roll. Van Bommel ist indes in den Niederlanden königlicher Hoflieferant. Seit Urzeiten. Papa Frans gab Floris, dem Jungspund und Absolventen der Hochschule für Modemanagement (TMO) Ende des letzten Jahrtausends, die Aufgabe, neben dem konservativen Kerngeschäft "van Bommel" eine junge Marke hochzuziehen: "Floris van Bommel". Er zog hoch, innerhalb von zwei Jahren verdoppelte sich der Umsatz der Untermarke von Floris. Dann zog sich Papa zurück in den Ruhestand.
"Was ich mache, kann eigentlich jeder"
Floris sagt entspannt: "Was ich mache ist pures Anti-Marketing. Aber das per se genommen ist ja auch schon wieder Marketing." Und: "Meine Strategie ist und war einzig möglich, weil wir ein Familienunternehmen, kein Großkonglomerat sind. Ich konnte ausprobieren und experimentieren. Meine Fehler merkte keiner, da wir nicht auf großer Bühne agierten. Was ich mache, kann eigentlich jeder. Der einzige Unterschied ist, ich habe in der Tat die Möglichkeit dazu bekommen, mich auszutoben." Und das tut er mit Genuss.
Das Logo seiner Ahnen verhunzt Floris gerne mit der Werbebotschaft "Floris van Bommel, since 1734 and still got no clue" oder mit einem rotzigen, selbstironischen: "Floris van Bommel. Since 1734. Bla, bla, bla...". Seine neue Erfindung, ein kleines schuhkartongroßes Display, um die traditionsreichste Schuhmanufaktur der Niederlande zu beschreiben: Ein Holzbrett mit einem Kinderspielzeug-Gummi-Dinosaurier drauf, der das Säbelzahn-Maul auf- und zuklappen kann, und den Worten:" That's so old, I propably have freaking dinosaur blood in my genes." Ausgestellt in seinem ersten eigenen Laden in Deutschland, in Köln.
Ja, neunte Generation. Und subversiver denn je. Manchmal weiß er selbst nicht, ob das "nun ein Hardcore-Klassiker oder deep bullshit" wird. Alles, was "silly" ist - albern anmutet, interessiert ihn. Daraus schöpft er. Vater Frans, der weißhaarige Gentleman, sagt über ihn: "Floris machte schon Späße und Witze, bevor er überhaupt sprechen konnte. Der Schalk ist ihm in die Wiege gelegt."
Ein Kindskopf? Ein Genie? 12 Uhr mittags, high noon in Köln. Im Gegenlicht des Ladengeschäfts betritt eine große Lucky-Luke-schlacksige Figur den Raum, ganz leichte O-Beine, knallenge schwarze Unterhüft-Jeans mit Gürtel, schwarzes Hemd, eine handschmeicherlisch weiche , engsitzende schwarze Motorrad-Lederjacke von "All Saints"; alles schwarz, auch die dunklen Augen. Der Typ könnte vor der Tür ein Pferd geparkt haben und zur Begrüßung "Howdeee" grummeln.
Auftritt wie ein Grunge-Cowboy
Er liebt den Wilden Westen; er war gerade in den Ferien in Montana und hat von dort Inspirationen für Cowboy-Boots mitgebracht, die jetzt im Geschäft auf Käufer warten. Aber Holländer sagen bekanntlich nichts dergleichen. Sie kaugummikauen auch keine näselnden Twang-Worte. Sie sind calvinistisch- ehrlich-geradeheraus. Und in Köln parkt man auch keine Rösser. Nun, ein protestantisch- geschäftiges "Goedendag" würde wiederum auch nicht ins Bild der coolen Erscheinung passen. Er gibt schüchtern die Hand.
Im Hintergrund aus der Laden-Musikkonserve läuft ein grässlicher Song von "Boysetsfire", einer noch grässlicheren Post-hardcore-Band aus Newark. Floris liebt sie, genauso wie die Industrial-Metal-Jungs von "Fear Factory". Sie wissen schon: Finger abgespreizt zum "devil's horn", hämmernde Percussions, messerscharf-kreischende Gitarre, bierrülpsende Bässe...
Da sind die strähnigen dunklen Haare, die eher darauf hinweisen würden, dass Floris van Bommel mit einer Harley angereist ist und der Motorrad-Helm seinen Tribut hinterlassen hat. Aber anscheinend hat er die Haare immer so. Strähnig wie ein Grunge-Typ. Auf Nachfrage - wir fragen wegen der kuriosen Musikauswahl - konzidiert er: "Die Metal-Jungs sehen zwar aus wie Bestien, aber sie sind im Grunde ihres Herzens total nette und freundliche Typen. Das mag ich so."
Er ist am vergangenen Wochenende auf eine Drei-Nächte-Tour in Ruhrgebiet gereist, um ein Metal-Konzert zu besuchen, sagt er. Ein echter Fan. Bands nachreisen wie in den 1990ern. Neinnein, er sei kein Luftgitarrist und Headbanger in der vorderen Reihe. Er sei immer ganz hinten, entspannt. Und würde, mit einer Flasche Bier in der Hand, die Musik genießen und nur zusehen. Sagt er. Eigentlich habe er ja mal Rock-Musiker oder Stand-up-Comedian werden wollen.
Statt dessen: Er hat weder Klampfe noch Mikro in der Hand, statt dessen die Fäden eines mittelständischen Unternehmens. Und dann kommt wieder so eine Info: Es stehe ja auch auf Michael Jackson, ganze neun Songs habe er für das Floris-Radio - in all seinen Shops spielt zeitgleich der gleiche Song - eingespielt. Kind der 1980/90er, sagt er. Walkman und so. Selfies und Facebook fände er saublöd ("Eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte! Ich hasse das."). Sei aber ständig online unterwegs. Im Moment die neue Staffel von "House of cards". Jede Nacht gucken.
Der erste Flagship-Store in Köln
Seine Stimme ist ein Bariton, er ist zurückhaltend wie ein Chorknabe. Gibt nur Auskunft auf Nachfrage. Will herausgefordert werden. House of Cards oder Breaking Bad? Klar, Francis "Frank" Underwood. Floris liebt kindischen Blödsinn. Pearl Jam oder Nirvana? Eindeutig Pearl Jam-Fraktion, sagt er. Beatles oder Stones? Beatles. Huch, Überraschung! Fisch oder Fleisch? Vegetarier. Ein bisserl Fisch ab und zu. Tote kalte Viecher, das macht ihm nichts aus. Aber warmblütige Tiere? No way, José!
"Ok, let's fight", sagt er, wenn man mit ihm scherzt. Wie ein guter Kumpel im Internat. Teenie-Humor. Er hat daran sein Späßken. Köln ist sein erster in Eigenregie geführten Flagshipstore Deutschlands in der Ehrenstraße. Während wir sprechen, kommen Kunden herein wie von einem Staubsauger angesogen. Alle kaufen begeistert.
Weitere Läden in Deutschland sollen folgen, Düsseldorf, München, Hamburg, Frankfurt, Stuttgart und Berlin. Nach einem soft-opening hat die Familie van Bommel Freunde und Presse in den Shop geladen. 135 Quadratmeter Laden, wie ein generöses Apartment - Industrie-Design wie in einem New Yorker Soho-Shop, rohe Wände, drei Seiten geweißelt, hinten die Backsteine, Industrie-Glocken-Lampen, aber stylish und warmherzig mit Holzregalen, auf denen jeder Schuh wie in einer Pralinenauslage dargeboten wird.
Dazwischen Floris-Humor: Der Raum wird mit einem Parfum namens "Golden Bamboo" unaufdringlich unisex beduftet. Weil er den Nike-Slogan "Just do it" konterkarieren wollte, hat er sich das alberne Motto "transport yourself" (Schuhe!) ausgedacht. Das steht in zitternd-glimmernden Pailletten-Buchstaben an der Vorderseite des Verkaufstresens. Disco.
Van Bommel will auf 3D-Drucker setzen
Dann gibt es da noch eine Art Schrein: Austapeziert mit einem Comic der Familiengeschichte, einer camera obscura, die beim Hineingucken wie durch ein Wunder die Schuhe des Betrachters zeigt, daneben ein unvollendeter Sneaker, der den Entstehungsprozess eines Floris van Bommel-Schuhs illustriert.
1960 gab es noch 227 Schuhfabrikanten in den Niederlanden. Heute ist es nur noch eine Firma. Van Bommel. Die Schoenfabriek = Schuhmacherfabrik aus Moergestel wird in Holland (1100 Verkaufsstellen) in einem Atemzug mit "Nike" als Marktführer genannt. Jede Sohle jedes einzelnen Schuhs, etwa 150 neue pro Saison, also 300 im Jahr, sagt der Geschäftsmann, wird als Gussform handgefertigt. In 24 Größen (auch die Schuh-Halbgrößen dazu gerechnet); das kostet 1500 Euro pro Profil. Er zeigt auf sein Sneaker-Muster in der Glasvitrine.
"Eines Tages machen wir das alles selbst im 3-D-Drucker, eine Revolution, die wohl größer sein wird als die Erfindung des Internets. Neue Produktionswege, neue Materialien. Dann wir es Menschen geben, die sagen: Stell Dir mal vor, früher haben die Schuhe aus einem Schaf gemacht. Ist das nicht seltsam?" So wie wir uns heute über die Erfindung des Walkman wundern.
Eine altmodische Frage an den Schumacher, irgendwie auch 1990er: Beurteilt er Menschen eigentlich nach ihrem Schuhwerk? Er lächelt: "Natürlich. Sofort. Und glauben Sie mir, was ich da über Menschen erfahre, ist tausend Mal spannender als Facebook."