
Designer Jeffrey Griffin Weiche Schale, harter Kern
Devon/Cornwall - Gottlob, der Fuchs hat etwas übrig gelassen. Jeffrey Griffin, ein Hüne in beige-torfigem Arbeitsoverall, schöpft Essen in die Teller, draußen auf der Wiese vor seinem kleinen Bauernhof. Die spröde englische Sonne schleicht über den groben Tisch, es riecht nach Hühnersuppe, nassem Hund, schwelendem Holz und frisch aufgebrochener Erdkrume.
"Letzte Nacht", sagt Griffin, "war der Fuchs am Hühnergehege und hat den Hahn geholt." Weil der sich tapfer wehrte, konnte ihn der Räuber nicht ganz durch den Zaun ziehen. Aus den Gockelresten hat Griffins Frau Karina einen Eintopf gekocht. "Er war ein netter Hahn", sagt Griffin und dreht den Löffel zwischen seinen Pranken, "er hätte es so gewollt."
Jeff Griffin ist Designer, arbeitet für sein eigenes Label Griffin, aber auch für Marken wie Hugo Boss, Converse oder Kenzo. Dort bleibt er jedoch meist im Hintergrund. Der 47-Jährige ist nicht die strahlende Winkfigur beim Laufstegfinale, sondern der Kreativkopf im Studio. Boss beauftragte ihn beispielsweise mit der ersten Frauenkollektion. "Das fiel mir schwer, weil ich zuvor noch nie Damenmode gemacht hatte. Sie wollten aber unbedingt mich, weil ich - wie Boss - aus der Männerwelt komme."
Die größten Probleme hatte Griffin bei der ersten Anprobe: "Das Model war zu schön, an ihr sah alles toll aus." In den vergangenen Jahren war seine Expertise auch für Produkte jenseits der Modewelt gefragt. Für Fahrradbauer Charge gestaltete er eine limitierte Auflage mit Tarnfarbensattel, für Kenzo konzipierte er ein Parfum: "Sie wollten einen japanisch inspirierten Duft, der irgendwie nach Yoga riecht."
Im "Loveland" zwischen Devon und Cornwall
Nach Yoga riecht es auf seiner Farm nicht gerade. Vor vier Jahren kaufte Jeff Griffin zwei Wasserbüffel, drei Schweine, 15 Hühner und neun Enten und zog mit seiner Frau Karina sowie den Söhnen Elvis, Parka und Casper von London auf eine Farm im Südwesten Englands. Das Anwesen an der Grenze zwischen Devon und Cornwall, nahe der Atlantikküste, trägt den Hippieträumerle-Namen "Loveland".
Vom Landleben hatte er keine Ahnung, als er hier ankam, erzählt er bei einem Spaziergang über seinen Hof. "Wir hatten immerhin einen Wurstkurs gemacht", sagt er, als er die orangefarbenen Schweine mit den schwarzen Flecken herzt - Oxford Sandy and Black, eine fast ausgestorbene Rasse. Drumherum Beerenbüsche, Kräuterbeete, Kartoffelacker. "Als Jugendlicher wollte ich unbedingt weg vom Land. Selbst Mailand war mir später zu klein", sagt Griffin und amüsiert sich über die aufgescheuchten Laufenten, die wie empörte kleine Herren durch ihr Gehege tappen.
Seit er die Farm besitzt, rechnet der Designer in einer neuen Währung: Als er mit dem italienischen Modeunternehmen WP Lavori in Corso über eine mögliche Zusammenarbeit verhandelte und nach seinem Preis gefragt wurde, sagte er: "Ein Traktor." Und meinte es ernst.
"Alle haben gelacht. Aber kurz darauf rief die Assistentin an und sagte: ,Der Chef will wissen, wie viel ein Traktor kostet.'" Bei den nächsten Preisverhandlungen wird er einen neuen Zahn verlangen, sagt er und zeigt eine beachtliche Lücke im Gebiss: Den Beißer hat er sich bei Zaunausbesserungsarbeiten ausgeschlagen, als die Pflöcke mehr Widerstand leisteten als gedacht.
Mission: Neue Klassiker schaffen
Für Baracuta, den Hersteller der ikonischen Harringtonjacke "G9" mit dem roten Tartanfutter, hat Griffin gerade die Rolle des Chefdesigners übernommen. Unter dem exklusiven Blue Label der Marke, die wie Woolrich zum WP-Lavori-Portfolio gehört, soll er neue Klassiker schaffen und die G9-Jacke modernisieren.
Ein britisches Traditionsstück in italienischen Händen, das gegen den Strich gebürstet werden soll - niemand käme eher für diesen Job infrage als Griffin. Nach seiner Ausbildung am renommierten Central Saints Martins College in London ging er nach Mailand, weil seine Frau Karina, ebenfalls Designerin, dort einen Job bei Missoni bekommen hatte. "In England schwächelte die Branche gerade, doch Italien explodierte mit Valentino und Armani."
In Mailand arbeitete er erst als Assistent des Designers Gian Marco Venturi, später für Valentino und Gianfranco Ferré. Die Wohnung teilte er sich mit einem anderen Exilbriten: Alexander McQueen, der später einer der bedeutendsten Designer werden und an seinem Genius zerbrechen sollte.
1994 ging Griffin zurück nach London, um sein eigenes Label Griffin Laundry zu gründen. Schnell wurden schroffe, kompromisslose Stücke sein Markenzeichen, Camouflageprints und Hybridhosen zwischen edlem Sportsgeist und militärischer Zackigkeit. Dazu Over-the-top-Stücke wie sein Sleeping Bag Coat, ein dicker Plustermantel, den man leichthändig zum Schlafsack umfunktionieren kann.
Perfekt für Kreative, aber schlecht fürs Geschäft
In seinem ersten Laden, den er 2001 an der Portobello Road eröffnete, hingen Künstler und politisch Engagierte herum, vor allem während des Irakkriegs . "Die Lage war perfekt für Kreative, aber nicht gerade gut fürs Geschäft", sagt Griffin. Den Laden schmiss für ihn Remi Kabaka, der schon für die Rolling Stones getrommelt hatte und eine der Stimmen in der Comic-Band Gorillaz war. Graffiti-Künstler Banksy sprühte Kunst an die Wände, mit dem politischen Collagenkünstler Peter Kennard arbeitete Griffin ebenso zusammen wie mit Hackern und Technoheads. "Wir waren wahrscheinlich das erste Modelabel im Internet", sagt der Designer. "Und zwar noch bevor es dort Bilder gab."
Nebenher arbeitete er bereits früh als Berater und freier Designer für große Labels - manchmal rasselten dabei Lebensstile und Philosophien aneinander. Wie bei einem Projekt für Mandarina Duck, deren Bekleidungslinie er überarbeiten sollte. "Bei der Modenschau standen da all die Italiener mit aufgerissenen Augen und pressten ihre Taschen an die Körper, als meine Freunde einliefen", amüsiert sich Griffin: Kate Moss, McQueen, Massive Attack, die ganze wilde Brit-Brat-Bande.
Für den Unterschied zwischen italienischer und englischer Mode hat Griffin ein schönes Bild: "Wirft man einen italienischen Mantel auf den Boden, liegt er flach da wie eine schlafende Katze. Eine Barbour-Jacke oder ein Mackintosh-Mantel bleiben steif und unnachgiebig. Italien ist weich, England ist hart." Für sein eigenes Label pickt er sich gerne das Beste aus beiden Welten heraus. So lässt er etwa seine Stücke in Italien produzieren: "Ich brauche Hightech-Maschinen und eine Luxus-Attitüde, die meinen britischen Style abrundet."
Der ungestüme Künstlergeist der Anfangszeit
Sein Studio auf der Loveland Farm bewahrt den ungestümen Künstlergeist der Anfangszeit: eine halboffene Scheune, in der ein Militärzelt aufgebaut ist, darin eine Feuerstelle und direkter Zugang zur Viehweide, von wo aus Shaggy, der Büffel, mit unbewegter Miene über den Zaun auf den Designtisch schaut.
Griffin geht zu einem großen Wellblech-Container an der Wand. "Mein Archiv", sagt er und führt ins Dunkle: alte Fallschirmspringeranzüge, Uniformjacken von 1905, Schneekampfanzüge, alle Schattierungen seines geliebten Camouflagemusters von bleichem Wüstenbeige zu dumpfem Schlammgrün. Aus dem Stand kann Jeff Griffin einen kurzweiligen Vortrag über die landesspezifischen Unterschiede in Farbig- und Fleckigkeit halten.
Von einer Kleiderstange nimmt er ein Herzstück seiner Herbst/Winter-Kollektion für Baracuta herunter: eine G9-Jacke, zumindest der Form nach. Neu erfunden aus klassisch fein kariertem schottischem Harris-Tweed, mit roten Ärmeln und Camouflagefutter - oder umgekehrt: Die Jacke lässt sich auch gewendet tragen. Schon vor einigen Jahren hat Griffin mit Baracuta gearbeitet, er kennt und schätzt die Marke. Die britischen Mods und Skinheads trugen sie ebenso wie Elvis, Steve McQueen oder Frank Sinatra. In den USA wird sie nicht als Code für Rebellion gelesen, sondern als Schniekblouson, den man auch gut zum Golfspielen tragen kann.
"So ein starkes Design muss man sorgsam modernisieren", beschreibt Griffin seine Aufgabe. Seine Taktik: Das Vorhandene mit neuen, unerwarteten Elementen mixen. "Ich habe mal die Theorie gehört, dass britische Modeschöpfer gut sind, weil sie mit Schuluniformen aufwachsen. Wer mit einem in solch engen Grenzen abgesteckten Look individuell aussehen will, muss ihn gut stylen, mit interessanten Dingen kombinieren."
Eine kühne Mischung aus Mod und Militär
Ergänzen, verbinden, aufrauen - genau das macht er mit klassischen Formen, die dabei immer noch durchscheinen. Zum Beispiel, wenn er die G9 mit einem zweiten ikonischen Jackenschnitt zusammenbringt, der amerikanischen Bomberjacke, Modell MA-1, deren charakteristische Nylonsteppung er übernimmt.
Seine Hauptinspiration für Baracutas Blue Label: eine kühne Mischung aus Mod und Militär. Fischschwanz-Parkas und solche, wie die US-Truppen sie in den 50er Jahren bei Arktis-Expeditionen trugen, dazu traditionelle englische Stoffe, die er den Baracuta-Leuten bei einem gemeinsamen Roadtrip von Stoffmühle zu Stoffmühle näherbrachte: Sie reisten zur schottischen Isle of Lewis, um Harris-Tweed zu fühlen, dann weiter nach Huddersfield in Yorkshire, wo die Stoffweber Butterworth & Roberts sitzen.
Das Camouflage-Tuch, das er für seine Baracuta-Entwürfe verwendete, ist übrigens die französische Farbvariante - das militärische Originalmuster aus der belgischen Stofffabrik Utexbel. Als Griffin den Stoff benötigte, wurde dort gerade eine größere Menge produziert, weil die französischen Truppen in Mali neue Wüstenkampfanzüge benötigten. Er konnte seine Bestellung an die ohnehin laufende Produktion anhängen. Natürlich sei er gegen Krieg und jede Form von Gewalt, sagt der Designer. Weshalb er hin und wieder bunte Punkte oder pinkfarbene Herzchen auf seine Tarnstoffe druckt, damit das auch jeder versteht.
Büffelmist statt Bullshit
Manchmal geht ihm sein Lieblingsmuster gewaltig auf die Nerven. Etwa, wenn Unternehmen sich eine Kollaboration mit ihm wünschen und dann einfach nur eine Camouflageversion ihres Produktes haben wollen: "Seit ich für Mackintosh einen Trenchcoat mit Tarnmuster gemacht habe, fragen sehr viele danach."
Draußen vor dem Studio zaust der Wind die Haare. Völlig klar, die stürmische Küste von Devon ist der perfekte Ort, um Outdoor-Kleidung zu designen, weil einem hier der Tauglichkeitstest täglich ins Gesicht bläst. Eine dauernde Rangelei zwischen triezendem Wetter und trotzender Kleidung. Griffin will an den Strand fahren, wo er die neueste Kampagne für sein eigenes Label fotografieren ließ. Der Porsche bleibt im Holzschuppen, hinein in den Geländewagen. Charlie und Luke, die beiden Deutsch-Stichelhaar-Hunde, springen dazu.
Raus an die Klippen, den steinigen Kieselstrand mit seinen schwarz zerfurchten Felsen, die aussehen, als hätte ein riesiges Krallentier Muster hineingekratzt.
Von einer Anhöhe schaut Griffin hinunter auf die weißsilbrigen Wellen, die sich an der Küste brechen, sehr Caspar-David-Friedrich-mäßig sieht das aus. Gemäldetitel: "Blähmantelmann über dem Sturmmeer". Denn inzwischen ist er in einen riesigen, voluminösen Mantel geschlüpft, seinen berühmten Sleeping Bag Coat aus britischer Wollware und japanischem Nylon, der sich im harschen Strandwind bauscht. Seine Entwürfe für das eigene Label sind wilder, kantiger als seine Auftragsarbeiten. Versuchsobjekte, an denen er mit neuen Ideen und Techniken experimentiert.
Zur Entspannung 2000 Bäume pflanzen
Seit seinem Umzug aufs Land bewegt sich Griffin in der Modeszene wie ein höflicher Besucher, der abreist, wenn ihm die Verwandtschaft zu anstrengend wird. "Ich gehe im selben Arbeitsoverall auf eine Modenschau in Tokio, in dem ich 48 Stunden zuvor im Büffelmist stand", sagt er. Neulich fand er bei dieser Gelegenheit noch etwas Stroh in der Hosentasche. Seine japanischen Bekannten gurrten vor Vergnügen.
Büffelmist statt Bullshit, so hat er sich entschieden. Zu krass sei die Modeszene in London gewesen, als er noch dort lebte. Einmal hätten seine Frau und er Sohn Elvis mit auf eine Prada-Party nehmen wollen, sagt er. Vier Jahre war der Junge alt, und der Türsteher sei ausgerastet: "You can't bring a baby into a Prada party!" Schließlich wollten da alle in Ruhe Drogen nehmen. "Life was just getting too mad", sagt Griffin.
Also aufs Land, erst in ein Häuschen nicht allzu weit entfernt von London. 2010 dann nach Devon, auf die eigene Farm. Neben ihrer Selbstversorger-Landwirtschaft haben die Griffins in den vergangenen Jahren einen kleinen Ökohotel-Betrieb aufgebaut: Sie vermieten ein riesiges Iglu aus Zeltstoff, mit Holzofen, Dielen, einem Bett und Kuhfellen, die Nacht zu 443 Pfund. Günstiger sind die Zeltplätze mit Dusche und Torf- WC, "Glamping", glamouröses Camping also, sei in England sehr beliebt, sagt er.
Wie hat das Leben auf der Farm seine Arbeit verändert? "In London bin ich nicht vor zehn Uhr aufgestanden, hier gehe ich schon um fünf Uhr morgens ins Studio", sagt er. "Dann habe ich Ruhe zum Designen, bis meine Mitarbeiter kommen, denen ich die neuen Entwürfe zum Reinzeichnen am Computer gebe." Er selbst geht derweil aufs Feld. Neulich habe er 2000 Bäume gepflanzt, ungemein entspannend.
"Manchmal fragen mich Freunde: Wirst du jetzt für immer hier bleiben, bis du stirbst? Kann sein, aber vielleicht gehe ich auch nach Schanghai oder Tokio, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Vielleicht fange ich mit 60 auch an zu rauchen. Wer weiß?" Das Leben auf dem Land birgt schließlich auch Gefahren, mit denen er täglich neu ringen muss: "In London waren wir wie Krieger, immer zornig, immer getrieben. Hier wurde ich plötzlich entspannt: 'Oh, schau nur, die schönen Blumen!'"
Gut fürs Gemüt, schlecht für den kreativen Output. Selbst sein Agent begann irgendwann zu quengeln, er, Griffin, sei zu zufrieden geworden. "Aber dann habe ich letztes Jahr Zuckermais gepflanzt, als der Boden noch zu kalt war, und ich habe eine neue Form der Frustration entdeckt", sagt der Designer mit der Zahnlücke und den Erdbröseln unter den Fingernägeln. "Ich war so angepisst! Fucking sweetcorn! Und dann sind auch noch die Büffel ausgerissen! Bloody buffalos!"
Die kreative Kraft, man darf beruhigt sein, wird auf der Loveland Farm so rasch nicht versiegen.
Infos: www.baracuta.com, www.griffin-studio.com, www.lovelandfarmcamping.co.uk