VoIP Das Ende der Nebenstelle
Hamburg - VoIP überall. Kaum eine Computerzeitschrift, auf deren Cover derzeit nicht dieses Kürzel prangt. Es steht für Voice over IP, Telefonieren per Internettechnik.
Für den Privatnutzer bis vor kurzem noch eine Spielerei, mausert sich VoIP zum beliebten Sparmodell. Immer mehr Surfer, die ohnehin per Flatrate rund um die Uhr mit dem Internet verbunden sind, schicken auch ihre Telefongespräche durch das World Wide Web.
Doch der Nutzen für Private bleibt eingeschränkt, solange VoIP über eine DSL-Leitung läuft, die nebenher einen Telefonanschluss bietet. Richtig lohnend sind höchstens Gespräche in das Ausland, bei denen sich die Preise stark von Festnetzangeboten unterscheiden, oder Gespräche zu anderen VoIP-Anschlüssen, die in vielen Fällen kostenlos sind.
So kommt es, dass der Trend zur privaten Internettelefonie bislang nur eine Begleiterscheinung des DSL-Booms ist. Die allerdings ist nicht zu unterschätzen. Laut einer Marktschätzung hat sich die Zahl der weltweiten VoIP-Nutzer in den vergangenen neun Monaten auf elf Millionen verdoppelt. Laut dem Jahresbericht der Regulierungsbehörde telefonieren in Deutschland rund 500.000 Nutzer mit dieser Technik.
Ganz anders der Trend bei Geschäftskunden. "Wir bekommen praktisch keine Ausschreibung mehr von Unternehmen in die Finger, ohne dass VoIP ein Hauptwunsch der Kunden ist", berichtet Boris Kaapke, Pressesprecher bei British Telecom Deutschland mit Sitz in München. Eine Studie der kalifornischen Radicati Group geht gar davon aus, dass schon in zweieinhalb Jahren 44 Prozent der Unternehmen weltweit VoIP nutzen werden.
Das ist sehr hoch gegriffen. Doch manche Vorteile liegen auf der Hand: Kostenersparnis, Flexibilität und die Auslagerung der meisten technischen Wartungsarbeiten. Auf der anderen Seite stehen Bedenken, die viele aus ihren ersten Erfahrungen mit privater Internettelefonie mitbringen: Oft ist die Sprachqualität schlecht, die Verbindung unzuverlässig oder gleich gar nicht möglich.
Völlig egal, wo der Mitarbeiter ist
Völlig egal, wo der Mitarbeiter ist
Um zu verstehen, wie IP-Telefonie für Unternehmen funktioniert, muss ein wichtiger Unterschied erklärt werden, nämlich der zwischen Internettelefonie und VoIP. Beide Begriffe werden oft synonym verwendet, meinen aber nicht das gleiche. VoIP beschreibt lediglich das Verfahren, mit dem Sprache in Datenpaketen durch beliebige Netze geschickt wird, nämlich per Internetprotokoll (IP).
Das hat gegenüber herkömmlicher Telefonie den Vorteil, dass mehr als ein Gespräch pro Leitung transportiert werden kann. Internettelefonie bezeichnet nur einen möglichen Übertragungsweg für diese Datenpäckchen, das öffentliche Internet. Daneben gibt es geschlossene Netze, wie sie viele Unternehmen intern betreiben.
Diese geschlossenen Netze (Virtuelle private Netzwerke, VPN) dienen bisher dazu, alle Arbeitsplätze mit Internet zu versorgen. Mit VoIP öffnen sie sich für die IP-gepackten Telefongespräche. Im einfachsten Fall wird ein VoIP-fähiges Telefon an die entsprechende Netzbuchse angeschlossen. Betreiber wie Arcor, Telefónica, BT , QSC , Claranet, Colt Telecom oder Broadnet sowie zahlreiche Stadtnetzbetreiber wie Hansenet haben in manchen Regionen ein eigenes Glasfasernetz, an das ihre Kunden angeschlossen sind. Wo die Grenzen ihres Netzes erreicht sind, greifen Verträge mit anderen Anbietern zur Signalweiterleitung.
Die Vorteile für den so vernetzten Betrieb: Die Durchwahl eines Mitarbeiters ist nicht mehr - wie bei herkömmlichen Telekommunikationsanlagen - an die Buchse gebunden, in die das Telefon gestöpselt wird. Dem VoIP-Telefon selbst ist die Durchwahl zugeordnet. Zieht ein Mitarbeiter ins Nachbarbüro, müssen nicht mehr neue Kabel verlegt werden: Stecker raus, Stecker rein, das war's.
Das funktioniert auch dann, wenn der Kollege vom Hauptsitz in eine Zweigstelle wechselt. Das Lager im Industriegebiet vor der Stadt wird mit dem gleichen technischen Aufwand angebunden wie das Büro in Buenos Aires. Auch auf einem Messestand sind Mitarbeiter unter der gewohnten Nummer erreichbar. Innerhalb der Firma wird gebührenfrei telefoniert, selbst wenn das Gespräch den Globus umspannt, denn das virtuelle interne Telefonnetz wird dabei nicht verlassen.
Dschungel der Technikwörter
Im Dschungel der Technikwörter
Gemanagt wir dies alles beim Netzprovider, nach dem Centrex-Prinzip. Das beschreibt die Auslagerung der Nebenstellenanlage, die nun beim Betreiber - noch so ein Technikwort - gehostet wird. Neue Kabel sind dank der Leistungsfähigkeit der bestehenden Glasfasernetze und der kanalsparenden VoIP-Technik nicht notwendig.
Dafür verschwinden die klimatisierten Schaltkästen für herkömmliche Telefonanlagen aus den Büroetagen. Benötigt wird lediglich noch der Server für die Internetanbindung. Das Freischalten von Durchwahlen, die Vermittlung der Gespräche, deren Umleitung an andere Anschlüsse oder Mailboxen und überhaupt die Wartung der Technik, all das übernimmt der Betreiber.
Will der Kunde die Zahl seiner Mitarbeiter erhöhen, sind in kürzester Zeit und mit minimalem Handwerkereinsatz neue Arbeitsplätze geschaffen. Aber auch die Auslagerung ganzer Unternehmensteile ins Ausland wird erleichtert. An welchem Standort ein Telefon klingelt, ist dem Centrex-Server egal. Je nach Szenario versprechen die Betreiber Einsparpotenziale von zwanzig bis dreißig Prozent gegenüber alten Systemen.
Für sich selbst rechnen sie mit hohen Wachstumsraten - allerdings nicht mit einer Explosion der Kundenzahlen. Zwar sind die meisten Unternehmen an VoIP-Lösungen interessiert, die langen Abschreibungs- und Investitionslaufzeiten bei Telekommunikationsanlagen verhindern aber den schnellen Wechsel, wie BT-Mann Kaapke erläutert.
Neben der kompletten Neuinstallation bietet BT daher - wie viele Konkurrenten auch - eine so genannte sanfte Migration an, bei der nur die Teile der Telefonanlage auf die neue Technik umgestellt werden, die bereits abgeschrieben sind oder ohnehin ersetzt werden müssen. Entsprechende Adapter erlauben den Anschluss herkömmlicher Telefone oder ganzer Schalteinheiten, die dann Schritt für Schritt ersetzt werden.
Ersparnisse und Lockangebote
Ersparnisse und Lockangebote
Solche Geräte kommen zunächst deutlich billiger, als für einen ganzen Konzern auf einen Schlag 9500 neue IP-Telefone zu kaufen. Ein drastischer Schritt, den die britische Abbey Bank wagte. Sie hatte allerdings noch ein anderes Ziel, nämlich den vorher herrschenden "wilden Mix von Technologien" abzuschaffen.
Auf sanfte Migration hat sich QSC spezialisiert, weil sich nur wenige einen Paukenschlag wie bei Abbey leisten können. Der Kölner Anbieter lockt gerade auch kleine Unternehmen mit Einführungspreisen von 199 Euro für die Vor-Ort-Installation und monatlichen Grundgebühren ab 79 Euro pro Multiplexanschluss. Mit inzwischen fast bundesweit ausgebautem Netz hat sich QSC namhafte Kunden gesichert, darunter die HypoVereinsbank , Tchibo oder die Bahn.
Colt Telecom dagegen will den Komplettumstieg schmackhaft machen. Das britische Unternehmen startete 1996 in Frankfurt das erste Stadtnetz, doch VPN-basierte VoIP-Lösungen bietet Colt erst seit diesem Frühjahr hier zu Lande an, mit eigenem Netz in 13 europäischen Ländern. Den Abschied von der alten Anlage will man den Kunden mit "besonderen finanziellen Anreizen" erleichtern, sagt Pressesprecher Jörg Wassink, zum Beispiel mit einer Flatrate zum Kampfpreis von 24,50 Euro pro Arbeitsplatz.
"Die Gesprächskosten alleine rechtfertigen den Einsatz von VoIP vielleicht noch nicht", wird in einer Broschüre von Colt unumwunden zugegeben. Vielmehr will man die potenzielle Kundschaft von der Ersparnis überzeugen, die sich aus der Flexibilität ergibt. Wenn bei Umzügen keine neuen Leitungen verlegt werden und die Wartung der Anlage wegfällt, wirke sich das langfristig auf die Gesamtkosten aus. Die Einsparung konkret zu beziffern fällt allerdings schwer: Beispiele von Totalumstellungen sind bisher rar, die Ausgangssituationen zu unterschiedlich.
Wie groß überdies Nachlässe für Großkunden sein können, ist von Fall zu Fall verschieden. Das ist typisch für die Branche. Selbstverständlich gibt es Preislisten, aber welche Rabatte - gerade bei größeren Aufträgen - möglich sind, ändert sich laufend. Ein neuer Markt eben, der mit harten Bandagen umkämpft wird.
Risiko bei Serverausfall bleibt
Risiko bei Serverausfall bleibt
Bleiben die Vorbehalte wegen möglicher Pannen. Jeder hat schon mal einen Serverausfall des firmeneigenen Internets erlebt. Was, wenn man dann auch nicht mehr telefonieren kann? In einer Analyse vom vergangenen Jahr schätzt Deloitte & Touche die Risiken noch immer als hoch ein.
Sicherheit und Qualität bessern sich ständig, halten dieser Einschätzung die Betreiber entgegen. So sei es etwa für die meisten Nutzer nicht mehr an der Tonqualität zu erkennen, dass mittels VoIP kommuniziert werde.
Überdies seien die Risiken innerhalb eines gehosteten Netzes, für dessen Funktion ein Dienstleister geradesteht, nicht vergleichbar mit der einfachen Internettelefonie, bei der niemand vorher sagen kann, welchen Weg die Datenpäckchen durch das World Wide Web nehmen.
Sorgen machen muss sich vor allem die Deutsche Telekom, deren Hauptgeschäft sich nach wie vor im klassischen Festnetz abspielt. Sie hat bisher auffallend zögerlich auf das Thema reagiert. Die Kundschaft rechnet schließlich mit Ersparnissen gegenüber normalen Festnetzpreisen, eigene VoIP-Angebote wären Konkurrenz im eigenen Haus.
Jeder voipt - unbemerkt
Doch der einstige Monopolist wird diesen Markt nicht kampflos anderen überlassen. VoIP nutzt er längst und meist unbemerkt, um normale Festnetzgespräche effizient weiterzuleiten. Bis 2012 soll das gesamte Netz umgestellt sein.
VPN-Lösungen auf dieser Basis werden von der Telekom auch schon installiert, nur noch nicht offensiv beworben, wie Jochen Nölle vom Spezialisten VoIP-Info weiß. Damit steht fest: Der Abschied von der alten Nebenstellenanlage hat schon begonnen.