
Sternekoch Kevin Fehling Missgeschicke? "Einmal ist eine Pinzette heruntergefallen"
Früher Nachmittag im Drei-Sterne-Restaurant "The Table" in Hamburg. Zwischen den hohen grauen Betonwänden plätschert leise Loungemusik, die Köche bereiten ruhig und konzentriert das Menu für den Abend vor. Chef Kevin Fehling (39) ist Deutschlands jüngster Drei-Sterne-Koch, sein Konzept eines einzigen, sich an der offenen Küche entlangschlängelnden Tisches für alle Gäste geht auf: Das Restaurant, vor acht Monaten eröffnet, ist auf Monate im Voraus ausgebucht.
manager-magazin.de: Herr Fehling, warum duzen Sie Ihre Mitarbeiter, die aber siezen Sie?
Fehling: Das hat sich über die Jahre entwickelt. Oft werde ich auch "Chef" genannt, das kommt aus der französischen Küchenkultur. Wir kommunizieren sehr ruhig miteinander. Wir reden meist ohnehin nicht viel, jeder hier weiß, was er zu tun hat. Von meiner Seite aus ist das "Du" einfach freundlicher. Ein bisschen lockerer.
mm: Das "Sie" für den Chef wirkt nicht ganz so locker.
Fehling: Es funktioniert gut. Die direkte Anrede "Chef" ist auch sehr informell, irgendwo in der Mitte zwischen Du und Sie.
mm: Wie klappt es, dass es so leise ist in Ihrer Küche?
Fehling: Alles, was ich meinen Mitarbeitern cholerisch ins Ohr brülle, kommt ohnehin nicht dauerhaft an. Aber bei mir im Herzen bleibt es hängen. Negative Energie bleibt immer bei einem selbst und belastet einen. Wir versuchen, in ruhigem Dialog zu bleiben. Küchenchefs, die heute noch herumbrüllen, haben extreme Personalprobleme. Für mich ist es sehr wichtig, dass ich ein langes und erfülltes Leben habe. Ich habe als Koch relativ schlechte Arbeitszeiten. Evolutionär gesehen ist es ungesund und lebensverkürzend, abends und nachts zu arbeiten. Da muss man sich und dem Team nicht noch zusätzlich Stress machen.
mm: Wie tragen Sie und Ihre Mitarbeiter Konflikte aus?
Fehling: Ich versuche, schon im Vorstellungsgespräch herauszufinden, ob emotionale Intelligenz da ist. Ob die Menschen sich selbst im Team denken. Das Wichtigste ist, dass wir eine familiäre Atmosphäre haben, dass jeder gerne zur Arbeit geht. Denn wir arbeiten hier nicht nur für zwei freie Tage in der Woche. Arbeitszeit ist Lebenszeit! Nur zwei Tage in der Woche richtig zu leben, wäre mir zu wenig - deshalb bin ich in den meisten Sternerestaurants auch relativ schnell wieder gegangen, manchmal war ich weniger als ein Jahr dort, weil zwar die Ergebnisse perfekt waren, aber die Arbeitsatmosphäre nicht gut genug.
mm: Wonach fragen Sie denn im Vorstellungsgespräch?
Fehling: Ich versuche, das Gespräch in eine private Richtung zu drehen. Herauszufinden, ob sich jemand selbst kennt. Es geht manchmal um Astronomie, manchmal um das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit. Ein ruhiges, interessantes Gespräch.
"Es ist noch nie ein Teller zu Boden gegangen"
mm: Sie ziehen als Spitzenkoch in Ihrer Küche Ihre eigene Konkurrenz heran. Wer bei Ihnen arbeiten will, hat ja doch einigen Ehrgeiz. Ist das nicht beunruhigend, manchmal?
Fehling: Interessanterweise wollen viele meiner Mitarbeiter zwar gerne in einem Sternerestaurant arbeiten, können sich selbst aber nicht vorstellen, Küchenchef zu werden.
mm: Vielleicht sortieren Sie die ja schon im Vorstellungsgespräch aus.
Fehling: Nein. Wir brauchen hier ja viele gute Techniker, die auf unserem Niveau arbeiten können. Aber Leute wie meinen Souschef Dennis Illies plane ich langfristig auch für ein eigenes Unternehmen ein. Vielleicht für ein neues Restaurant, das ich eröffne, wo er dann als Küchenchef arbeiten kann.
mm: Wie gehen Sie mit Missgeschicken um?
Fehling: Einmal ist eine Pinzette heruntergefallen. Aber in den acht Monaten seit unserer Eröffnung ist noch nie ein Teller zu Boden gegangen. Wir müssen jeden Abend vor den Augen der Gäste die Perfektion auf den Tisch bringen. Manchmal ist es wichtig, den Mitarbeitern einfachste Dinge ins Ohr zu flüstern. Wenn zehn Portionen Gänseleber Nigiri auf einem Tablett sind, können wir die nicht ersetzen, wenn das herunterfällt.
mm: Sie könnten sagen: Sie ist leider heruntergefallen.
Fehling: Klar, und dann zehn Euro weniger buchen. Aber es ist dann halt für den Abend vorbei mit der Gänseleber. Das ist nicht akzeptabel. Deshalb flüstere ich meinen Mitarbeitern oft ins Ohr, bevor sie das Blech anfassen: "Halte das Blech gut fest." Das mag sich merkwürdig anhören, aber es funktioniert. Wie oft fällt etwas herunter, obwohl doch das Gehirn unsere Hand steuert! Man muss sich immer wieder bewusst machen, was man gerade tut. Ich sag immer "schön festhalten". Das hilft. Das ruft das Bewusstsein zurück.
mm: Was machen Sie, wenn Sie mal krank sind? Wer The Table besucht, will ja Sie bei der Arbeit sehen.
Fehling: In den vergangenen zwanzig Jahren war ich nie krankgeschrieben. Aber wenn es mal so sein sollte, würde mein stellvertretender Küchenchef mich wunderbar vertreten. Das wäre weniger dramatisch, als wenn hier ein Blech zu Boden ginge.
mm: Sie sagen, Sie empfinden auch als Drei-Sterne-Koch keinen Druck. Das ist doch Koketterie, oder?
Fehling: Nein, ist es nicht. Stress ist ja etwas Negatives. Was wir hier machen, ist etwas Positives. Das habe ich mir doch selbst ausgesucht: Mit der Selbständigkeit zu beweisen, dass es möglich ist, ein Drei-Sterne-Restaurant wirtschaftlich zu betreiben. Wir sind vier Monate im Voraus ausgebucht. Ich müsste schon verdammt viel verkehrt machen, damit es hier nicht mehr so gut angenommen würde.
mm: Wenn man mal grob überschlägt: Sie haben 20 Plätze, ein Menü mit Weinbegleitung kostet 290 Euro. Macht rund 6000 Euro am Abend plus das, was die Leute für Champagner und andere Extras ausgeben. Sie arbeiten mit zehn Leuten in Küche und Service, auch die Zutaten sind nicht billig. Wo kommt der Gewinn her?
Fehling: Das A und O ist: Das Restaurant muss jeden Abend ausgebucht sein. Essen muss Spaß machen, auch in der Sternegastronomie, dafür braucht es eine gewisse Lockerheit, die einladend wirkt. Und wir schmeißen keine Lebensmittel weg. Ich habe keine Kühltruhe. Wir kaufen täglich für 20 Personen ein, und wir kochen für 20 Personen. Wenn ein Küchenchef glaubt, man müsste einen Acht-Kilo-Steinbutt zum Kilopreis von 59 Euro kaufen und auf jede Portion davon noch eine Kaviarnocke setzen, dann kann das nicht funktionieren. Man kann auch eine wunderbare Makrele verarbeiten, die ein Viertel kostet, und daraus etwas entwickeln, das viel interessanter und kreativer ist. Wenn ich in jedem Gang einen Wareneinsatz von zehn Euro habe und mit den Amuses Gueules 14 oder 15 Gänge serviere, kann das wirtschaftlich nicht funktionieren.
"Es darf nichts weggeworfen werden"
mm: Wie haben Sie Ihr Restaurant finanziert?
Fehling: Das habe ich geschafft, indem ich mehr als sechs Jahre fleißig gespart habe. Meine Mutter kommt aus der Bank, die hat uns beigebracht, wie man vernünftig wirtschaftet. Ich bin dann zur Wirtschaftsförderungsbank gegangen, habe dort mein Konzept vorgestellt, die waren happy und haben mir einen guten Kredit gegeben. Natürlich, wir haben Werbeverträge und Kooperationen wie mit dem Rumhersteller Ron Zacapa oder mit Glenfiddich. Da verdient man auch Geld. Aber das ist nur ein nettes Extra, genau wie die Werbung auf dem Ärmel der Kochjacke. Die meisten Sternerestaurants sind nicht rentabel, weil sie schlicht nicht ausgebucht sind.
mm: Was ist ihr Ziel als Koch?
Fehling: Ziel sollte immer sein, kopiert zu werden. Dann hat man es geschafft. Man braucht die Technik, man braucht das Wissen, und ab da ist es Arbeit. Wir haben mehr Ideen, als wir umsetzen können. Das Schwierigste ist, die einzelnen Rezepte zu erarbeiten. Das kann eine Inspiration sein. Marc Jacobs zum Beispiel. Meine kleine Tochter hat einmal beinahe einen Marc-Jacobs-Flacon heruntergeworfen. Daraus entstand die Idee, ein Dessert zu kreieren mit den Aromen, die in dem Parfum vorkommen, und in der Architektur des Gerichtes visuell den Flakon zu zitieren. Das funktioniert. Man kann aber auch ein Gericht weiterentwickeln: Wir hatten ein thailändisches Dessert mit Thaicurrycreme, mit außergewöhnlicher Schärfe, und entwickeln das weiter in Richtung indische Küche - jetzt haben wir eine Tandoori-Creme im Dessert. Das gab es auch noch nicht.
mm: Was bedeutet Ihnen Geld?
Fehling: Sicherheit. Man hat es im Leben geschafft, wenn man sich dessen bewusst ist, dass es nur Papier ist. Aber so weit bin ich noch nicht. Klar freue ich mich, wenn wir nicht zu viert in einer 60-Quadratmeter-Wohnung leben müssen und wenn wir ein Auto haben, das meiner Familie Sicherheit gibt. Ich möchte aber kein Millionär werden.
mm: Verstehe ich nicht. Was spricht denn dagegen?
Fehling: Gar nichts. Ich glaube nur, dass ich mit weniger auch klarkommen kann. Es ist so schon schwierig genug, sich darüber bewusst zu sein, dass wir hier mit edlen Produkten und teuren Weinen arbeiten, aber dass es auf der anderen Seite des Planeten Leute gibt, die gar nichts haben. Die Verteilung ist ungerecht. Aber jeder muss für sich selbst entscheiden, wie weit man gehen kann, um positiv zu leben.
mm: Zu Hause kochen Sie nicht aufwendig, sondern ganz schlicht, oder?
Fehling: Genau. Gestern habe ich ein schönes Tandoori mit Naan-Brot gemacht. Gläschen Rotwein dazu, meine Frau passt auf die Kinder auf, das ist entspannt und macht wirklich Freude. Oder ein Risotto mit einem tollen Fisch. So komplexe Gerichte wie hier kann ich alleine gar nicht produzieren, das würde mir auch keinen Spaß machen, das funktioniert nur mit mehreren Mitarbeitern.
mm: Was gibt es im The Table als Personalessen?
Fehling: Wir schreiben jede Woche einen Essensplan und planen da schon ein, was hier von den Menüs als Rest bei der Produktion übrig bleiben wird. Wir haben derzeit einen Lammrücken, daraus kann ich circa 13 Portionen gewinnen. Zwischen den Knochen ist aber auch noch gutes Fleisch, aus dem machen wir super Lammfrikadellen für uns. Jeden Tag gibt es Gemüseabschnitte, weil wir viel ausstechen - die Reste schneiden wir in feine Julienne-Streifen und machen frischen Salat daraus. Wenn wir Mango rund ausstechen und eine Scheibe schneiden, bleibt ein Abschnitt übrig - daraus bereiten wir Smoothies. Das Wichtigste ist der Respekt vor den Lebensmitteln. Es darf nichts weggeworfen werden.
mm: Wovor haben Sie Angst, Herr Fehling?
Fehling: Vor dem Tod.
mm: Wie gehen Sie damit um?
Fehling: Wie jeder Mensch. Ich verdränge das. Oder man wird religiös. Wir sollten alle ehrlicher damit umgehen. Steve Jobs hat mal sinngemäß gesagt: Das Bewusstsein unserer Endlichkeit kann uns Kraft geben, Außergewöhnliches zu schaffen. Ich möchte mir selbst und meinen Eltern, Freunden und Angehörigen beweisen, dass es sich gelohnt hat, den kleinen Kevin auf die Welt zu bringen. Ich habe Kinder, die meinem Leben Sinn geben. Und ich will den Erfolg haben, den ich mir selbst als Ziel gesetzt habe. Ich bin mir dessen sehr bewusst, dass es irgendwann vorbei ist.