
Porzellan Das Geschirr der Spitzenköche
Berlin - Das Ziel war hoch gesteckt. Nicht weniger als "Porzellan für das 21. Jahrhundert" wollte Stefanie Hering mit ihrer Partnerin Wiebke Lehmann schaffen, als sie sich vor gut 20 Jahren gemeinsam selbstständig machten. Bis dahin hatten die beiden Frauen für renommierte Porzellanhersteller gearbeitet. "Geschirr, das einer modernen Tischkultur entsprach, gab es damals einfach nicht", sagt sie. Auch die Zielgruppe hatten sie fest im Blick: Menschen sollten es sein, die gerne gut aßen, sich genauso gerne mit schönen Dingen umgaben - und natürlich bereit waren, dafür auch Geld auszugeben.
Und so entwarfen und produzierten sie ihre ersten Kollektionen: Elegante Teller und Schalen aus unglasiertem, zarten Biskuitporzellan, bei denen eindeutig die Form im Vordergrund stand. Ein in sich abgeschlossenes Service gab es nicht mehr, sondern Einzelteile, von schlichter Eleganz, die sich miteinander kombinieren lassen. Einige von ihnen werden bis heute produziert.
Doch zunächst erreichte das Porzellan die anvisierte Kundschaft kaum. Bekannt wurde das Unternehmen erst, als einer der Vertriebsmitarbeiter an Sterneköche und Hoteliers heran trat. "Von dieser Seite wurde sofort Interesse bekundetet. Das hat uns sehr überrascht, weil wir an die Gastronomie ursprünglich gar nicht gedacht hatten", berichtet Stefanie Hering. "Wir hatten angenommen, dass unsere Produkte zu teuer für Restaurants sind."
Präsentation der Speisen wird immer wichtiger
Mittlerweile umfasst das Sortiment der Manufaktur "Hering Berlin" knapp 1000 Einzelteile von der Speiseplatte bis zum Leuchter. 13 Mitarbeiter arbeiten am Standort am Rande Berlins, gefertigt wird im thüringischen Reichenbach. Neben Privatleuten gehören Restaurants weltweit zu den Kunden der Manufaktur.
"In den vergangnen Jahren hat sich die Spitzengastronomie in eine Richtung entwickelt, in der die Präsentation der Speisen immer wichtiger geworden ist. Deshalb ist hat die Rolle des Geschirrs enorm an Bedeutung gewonnen", sagt Tim Raue, Zwei-Sterne-Koch aus Berlin. "Es gibt einen Hype um hochwertiges Geschirr - und er wird eindeutig von den Köchen vorangetrieben." Früher habe er verschiedene Designlinien und Geschirrsorten miteinander gemischt, heute setzt er auf schlichte Teller, ohne Logo, ohne Dekor: "Nichts darf von dem Essen ablenken!"
Neue Teller für neue Speisen
Teller, Dessertschalen und Suppentassen, aber auch Besteck und Gläser sind keine Gebrauchsgegenstände mehr, sondern Teil einer aufwändigen Inszenierung. Im Zentrum stehen dabei immer die Teller, die den Blick des Gastes auf das Essen lenken. "Ein Teller ist für den Koch so etwas wie die Leinwand für den Maler", findet Tim Raue.
Thomas Bühner, mit drei Michelin-Sternen dekorierter Koch aus dem "La Vie" in Osnabrück, bekennt, dass er immer wieder auf der Suche nach neuem Geschirr ist. "Es kam schon vor, dass wir eine neue Speise entwickelt haben, und extra dafür neue Teller oder Platten angeschafft haben", berichtet er. So wurde zum Beispiel das Sortiment des Hauses vor kurzem um rechteckige Teller erweitert, auf dem die sieben Komponenten einer Vorspeise hübsch nebeneinander drapiert werden konnten. Und wenn man die Häppchen einfach im Kreis angerichtet hätte? "In diesem Fall ging es auch darum, dass man die Speisen in einer bestimmten Reihenfolge isst", sagt der Küchenchef, der es ohne diese Liebe und Hingabe zum Detail vermutlich kaum in die Liga der zehn besten Spitzenköche Deutschlands geschafft hätte.
Jeder Koch hat eine eigene Handschrift
Seit einigen Monaten serviert er einen Teil seiner Speisen auf dem Porzellan des Belgiers Pieter Stockmans, der auch internationale Spitzenköche wie Alain Ducasse und Sergio Herman mit seinen ungewöhnlichen Geschirr beliefert. Die neuen Teller Im "La Vie" sind hellgrau und mit einen hohen Rand ausgestattet. "Sie haben eine wunderbare, samtige Oberfläche", schwärmt der Chefkoch. Vor kurzem entdeckte er Platten in der Form eines Din-A-4-Blatts, edel und durchaus überzeugend in der Form. Gekauft hat er sie trotzdem nicht. "Die Platten waren zu flach", sagt er. "Unser Servicepersonal würde Schwierigkeiten bekommen, mit ihnen zu servieren. Nicht nur die Ästhetik ist wichtig, das Geschirr muss auch funktionieren."
Um diese Funktionstüchtigkeit in der Spitzengastronomie zu garantieren, arbeiten Hersteller wie die Manufaktur Fürstenberg eng mit Sterneköchen wie Nils Henkel, Sven Elverfeld und Tim Raue zusammen. "Jeder Koch hat eine eigene Handschrift, einen anderen Stil, wie er sein Essen anrichtet", erklärt Stephanie Saalfeld, Geschäftsführerin von Fürstenberg. Damit dieser Stil zur Geltung kommt, wird Dekor sparsam eingesetzt.
Gefragt sind derzeit meist Teller mit relativ großem Radius und großer Auflagefläche, die den einzelnen Bausteinen eines Gangs genug Raum geben, um auch optisch zu wirken. Die Oberfläche darf nicht zu glatt sein, sonst würden die Saucen und Reduktionen zu schnell verlaufen. Damit Flüssigkeit lange heiß bleiben, werden tiefe Suppenteller verwendet. Und die so genannte "Cloches", die Glocken, die zum Warmhalten und für den beliebten Ah-und-Oh-Effekt am Tische sorgen, müssen stapelbar sein. Schmale Silikonringe sorgen dafür, dass sie beim Servieren weder klappern noch verrutschen.
Länger als zwei Jahre hält kaum ein Teller
"Neuentwicklungen im Bereich Porzellan sind sehr aufwändig und auch teuer", sagt Stephanie Saalfeld. Die Kunst der Produktgestaltung besteht darin, der weichen Porzellanmasse die richtigen Proportionen zu geben. Gebrannt wird bei 1400 Grad, das Feuer nimmt den Objekten während diesem Prozess etwa 14 Prozent seiner ursprünglichen Größe. Edles Porzellan war schon immer dünn, daran hat sich in den letzten Jahrhunderten wenig geändert. Doch je dünner die Porzellanmasse ausfällt, desto größer ist die Gefahr, dass Verformungen entstehen.
Gute Ware hat seinen Preis. "Ein Teller, der 80 Euro kostet, ist ein betriebswirtschaftlicher Faktor. Seit ich nicht nur Koch, sondern auch Unternehmer bin, habe ich einen anderen Blick auf die Kosten", sagt Tim Raue, der sich vor zweieinhalb Jahren mit einem eigenen Restaurant selbstständig machte. "Länger als zwei Jahre hält kaum ein Teller, hinzu kommt, dass sich im Schnitt vielleicht einer 500 Gästen lobend oder anerkennend über das Geschirr äußert." X-beliebige Einheitsteller kämen ihm trotzdem niemals auf den Tisch, es wäre so etwas wie ein ästhetischer Offenbarungseid: "Hochwertiges Geschirr hat die Kraft, ein Essen zum Strahlen zu bringen."