
London Die schönsten Gourmetmärkte
London - Einmal im Monat Markt muss sein, finden Sally, Ann und Roberta. Mindestens. Die ehemaligen Schulfreundinnen treffen sich am liebsten freitags, am frühen Nachmittag, unter den Eisenbahnpfeilern der Bahnstation "London Bridge". Dann erreicht der Trubel auf dem "Borough Market " seinen Höhepunkt, es wird eng zwischen den Ständen, durch die Luft schwirren die Stimmen der Händler und der Duft von Gebratenem oder Gegrilltem breitet sich aus.
Meistens kaufen die Mittdreißigerinnen ein wenig Gemüse, Serrano-Schinken oder ein Gläschen Konfitüre. Hauptsächlich aber kommen sie wegen der geschäftigen Atmosphäre und der hervorragenden Essensstände auf dem Herzstück des Marktes, dem "Middle Market". Ein Teller mit Jakobsmuscheln und Wok-Gemüse sind dort für fünf Pfund zu haben, ein riesiges, himmlisch saftiges Entensandwich kostet das Gleiche.
Es gibt wenig Orte in London, an denen man so gut und so günstig essen kann wie auf dem legendären Markt im Stadtteil Southwark südlich der Themse. An dem einen Stand lockt englischer Käse, am nächsten frisch gepresste Fruchtsäfte, an einem dritten geräucherter Fisch aus Irland. Und deshalb kommen sie alle: Die Geschäftsleute, die Hausfrauen, die Köche und die Touristen. Sie alle gucken, kosten, palavern, futtern - und fotografieren. Besonders beliebte Motive sind frisch erlegte Fasane, die über der Theke mit dem Wildfleisch baumeln, und die präparierten Kugelfische, die den Weg zum Fischhändler weisen.
Jakobsmuscheln vom Grill
Von Hand beschriebene Tafeln und Zettel weisen an allen Ständen auf das aktuelle Angebot hin, Plakate oder gar Plastikschilder sieht man auf dem "Borough Market" kaum. Man könnte das alles als Marktfolklore abtun - doch die Qualität der angebotenen Waren ist hervorragend, der Umgang mit Lebensmitteln liebevoll und professionell.
Da ist zum Beispiel Darren Brown, der den Stand "Shellseeker's Fish & Game" auf dem "Middle Market" betreibt. Der Platz hinter der Theke ist eng, alles wirkt improvisiert. Mayonnaise und Chilisauce werden in Plastikflaschen gereicht, die Griffe der Kellen und Messer der Köche sind von der Hitze des Grills verschmort.
Darren und sein Assistent legen mit bloßen Fingern Jakobsmuscheln und das Fleisch für die Hirschburger auf den Gas-Grill. Nachdem die Burger ein paar Minuten auf dem Grill gebrutzelt haben, misst Darrens Assistent die Kerntemperatur mehrfach mit einem digitalen Thermometer. Die Burger sind fertig, wenn die Käsescheibe ihre Form verliert und das Fleisch außen kross und innen saftig ist. Das Brötchen dazu ist frisch und fluffig, der Salat knackig. Die saftige Köstlichkeit macht ordentlich satt, danach hat man sich ein Glas Pimm's verdient. Der britische Kräuterlikör wird zwar in schnöden Plastikbechern ausgeschenkt, aber stilecht mit Apfel-, Zitronen-, Orangen- und Salatgurken-Scheiben getrunken.
Auf ein Schwätzchen mit den Händlern
Etwas ruhiger geht es auf dem Marktteil nebenan zu, der sich "Jubilee Market" nennt. Die Händler und Manufakturen bieten hier selbstgemachte und importierte Waren aus allen Teilen der Welt. Marmeladen und Chutneys von der Isle of Wright kann man hier kaufen, Rauchsalz aus Devon, französische Pasteten, Feigenbrot aus Kroatien, Paprikagelee aus der Karibik, Schweizer Käsespezialitäten wie "Belper Knolle" und das schärfste Chilipulver der Welt.
Viele Waren darf man vorab probieren. Da hier weniger Andrang als auf dem "Middle Market" herrscht, haben die Händler Zeit für ein Schwätzchen, das immer nach demselben Muster abläuft. Die Händler stellen ihre Produkte vor und betonen stets, möglichst mit nur regionaler Ware oder Bioprodukten zu arbeiten. Und natürlich kennen sie alle Lieferanten persönlich.
Der "Borough Market" ist einer der ältesten Lebensmittelmärkte Großbritanniens, seine Ursprünge lassen sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Der wöchentliche Markttrubel in der Art-Deco-Halle jedoch hat erst wenig Historie, bis Mitte der 90er Jahre war der "Borough Market" ein Großhandel. Erst vor gut zehn Jahren wurde er nach einer umfassenden Sanierung auch für Einzelhändler und damit auch dem breiten Publikum zugänglich.
Mittlerweile werden Stimmen laut, die beklagen, dass der Markt zu sauber sei, zu chic und zu touristisch. Doch die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. In den nächsten Jahren wird es vermutlich auf dem Markt noch rummeliger zugehen, denn in wenigen Monaten eröffnet in unmittelbarer Nähe des Marktes "The Shard". Das höchste Gebäude Europas wird ein Hotel der Shangri-La-Gruppe beherbergen, auch das sich im Bau befindliche Einkaufszentrum nebenan dürfte für weitere Besucherströme sorgen.
Mit Liebe zum Essen
Und so haben sich einige der Marktfans der letzten Jahre bereits verzogen - zum Beispiel zum "Ropewalk", der seit gut einem Jahr in der Maltby Street nahe der London Bridge die so genannte Foodie-Szene anzieht. Das Angebot ist noch überschaubar, aber exquisit. Alte S-Bahn-Bögen bieten den oftmals jungen und stets engagierten Händlern Schutz vor dem gefürchteten Nieselregen.
Eine Händlerin offeriert Arganöl in zwei verschiedenen Größen, die spärliche Ware hat sie großzügig auf einem bunten Tuch ausgebreitet. Nebenan werden hausgemachte Nusstrüffel und Lachs aus Norwegen feilgeboten. Einer der heimlichen Stars des Marktes, ist Keith Bagley mit seinem Stand "Market Gourmet". Dort gibt es Hummer, Schnittchen mit Krebsfleisch aus Dorset und Foie Gras, zu der ein kuchenähnliches Ingwerbrot gereicht wird.
Bagley, dem seine Liebe zum Essen anzusehen ist, zerschneidet behutsam die Gänseleberpastete, drapiert sie liebevoll auf einem Pappteller und rückt immer wieder seine Auslagen zurecht. Das Reden überlässt er lieber seinem Assistenten Mickey. "Unsere Idee ist es, die Produkte und die Zubereitungsmethoden aus der Gourmetküche, dem Marktpublikum zugänglich zu machen", sagt er und deutet auf die Hummer und eingeschweißte Fleischstücke, die vakuumiert bei niedriger Temperatur gegart wurden.
Neue Märkte mit familiärer Atmosphäre
"Im Moment entstehen überall in London neue Märkte. Das Bewusstsein für gutes Essen sind enorm gewachsen", sagt der britische Food-Experte Adrian Bevan. Vor gut zehn Jahren eröffneten in London die ersten "Farmer Markets", auf denen Bauern aus dem Umland ihre Waren verkaufen. Mittlerweile existieren 20 dieser Märkte im Stadtgebiet. Doch die Vorgaben sind streng: Alle Produkte müssen aus einem Umkreis von 50 Meilen stammen. Olivenöl aus Kreta oder spanische Chorizo und andere ausländische Produkte, die längst feste Bestandteile auf den Speiseplänen der Briten sind, dürfen auf den Bauernmärkten nicht verkauft werden. "Diese Beschränkungen entsprechen nicht mehr dem Lebensgefühl junger Menschen", sagt Adrian Bevan. "Deshalb werden jetzt Märkte gegründet, in denen die Freude am Produkt im Vordergrund stehen."
Einer der jüngsten dieser Märkte ist der "Brockley Market" im verschlafenen Vorort St. John. "Ich war absolut frustriert von dem Essensangebot hier in der Gegend", berichtet Toby Allen. Und so begann der 37-Jährige, der hauptberuflich als Fotograf arbeitet, Londoner Märkte abzuklappern und nach Händlern zu suchen. Seit gut einem Jahr findet sein Markt jetzt immer samstags statt. Es gibt dort Fleisch von einer Farm, die nach Rudolf Steiners Grundsätzen bewirtschaftet wird, italienische Salami, einen Barista und diverse Imbissstände, vor denen sich mitunter fast so lange Schlangen wie im "Borough Market "bilden. Die Atmosphäre ist familiär, Händler und Kunden scheinen sich gut zu kennen. Bei mildem Herbstwetter findet man in dieser Londoner Ecke ein Ambiente wie aus dem Bilderbuch.
Toby Allen läuft zufrieden zwischen den Ständen umher, kauft ein und hält ein Pläuschchen. Unwillkürlich fragt man sich, was passiert, wenn hier der gefürchtete britische Nieselregen einsetzt. "Kein Problem", versichert der Marktgründer. "An bislang 54 Markttagen hatten wir nur zweimal Regen!" Und selbst wenn das nicht stimmen sollte: Die Liebe der Londoner zum Marktleben lässt sich ohnehin nicht durch Banalitäten wie das Wetter erschüttern.