
Weintipp: 22 sehr gute Winzerchampagner
Winzerchampagner Klein ist fein
Hamburg - Champagnermarken wie Dom Pérignon, Pommery, Veuve Clicquot, Moet & Chandon, Mercier, Mumm, Perrier-Jouët, Roederer oder Taittinger finden sich auf fast allen Weinkarten dieser Welt, in den Duty Free Geschäften der Airports und werden auch gerne verschenkt, weil Prestige-Marken dem Empfänger etwas Besonderes suggerieren. Dabei kommen diese Champagner jedes Jahr in Auflagen von mehreren hunderttausend oder Millionen Flaschen auf den Markt.
Von diesen Weinen, deren Standard-Cuvées ohne Jahrgang zwischen dreissig und fünfzig Euro kosten, ist hier zur Abwechslung einmal nicht die Rede, auch nicht noch von den Prestigecuvées mit Jahrgang, deren Preise deutlich über hundert Euro pro Flasche liegen. Hier geht es um Champagner, die keine funkelnden, international bekannte Marken sind, sondern noch schlichte Familiennamen wie Prévost, Clouet, Selosse, Egly-Ouriet, Laval, Paul Bara oder Diebolt-Vallois tragen. Um Champagner, die aus kleinen Familienbetrieben kommen und ausschliesslich eigene Trauben verarbeiten.
Die jährliche Produktion eines solchen Betriebs liegt bei wenigen tausend bis hunderttausend Flaschen oder mehr - je nach Anzahl der im Familienbesitz befindlichen Hektaren bestockter Fläche. Die rund 15.000 Weinbauern hatten während vieler Jahren die grossen Häuser mit ihren Trauben beliefert. Der Aufwand, eigenen Champagner zu produzieren, war zu gross, die Logistik fehlte und meistens auch das Kapital. 1935 wagte es als einer der ersten Gaston Chiquet, seine besten Trauben selbst zu verarbeiten. Als Weingärtner wusste er am besten, wie es um seine Trauben bestellt war und konnte ihre Stärken individuell herausarbeiten - beim grossen Champagnerhaus wären sie zusammen mit dem Saft von andern Trauben in einen grossen Tank gekommen.
Sind Winzerchampagner anderes als die grossen Marken? Ja und Nein. Wie bei den Stillweinen aus aller Welt hat man auch in der Champagne in den letzten Jahren bei der Weinverarbeitung so grosse Fortschritte gemacht, dass es schon fast nicht mehr möglich ist, einen schlechten Wein herzustellen: Die Pressen arbeiten viel sanfter, der Umgang mit Sauerstoff und Hefen wurde verbessert, die Gärtemperaturen werden kontrolliert und gesteuert, die Maischestandzeiten optimiert, das Umpumpen und Filtrieren schonender gestaltet - um nur einige der Massnahmen zu nennen.
Die Restsüße nimmt diskret zu
Die großen Marken waren schon immer darauf bedacht, ihren Weinen jedes Jahr den charakteristischen Goût und Stil mitzugeben. Erreicht wurde dies mit einer meist großen Kollektion von Grundweinen (auch aus früheren Jahren) und einer für das Haus typischen Dosage. Es ist kein Geheimnis, dass mit der Dosage auch Unzulänglichkeiten oder mangelnde Qualität der Grundweine ausgeglichen oder übertönt werden können - aufmerksame Beobachter registrieren deshalb bei vielen Markenchampagnern eine immer die letzten Jahre diskret zunehmende Restsüße, die gleichzeitig auch dem sich verändernden durchschnittlichen Konsumentengeschmack entgegenkommt.
Anders die Winzerchampagner: Dank des Familienbesitzes stehen meistens erstklassige Lagen vom Typ Grand- oder Premier Cru zur Verfügung und um die brutal hohen Traubenpreise (2011 kostete das Kilo Champagnertrauben über 5 Euro) muss man sich keine Gedanken machen. Es ist ebenfalls kein Geheimnis, dass umso weniger Dosage gebraucht wird, je besser die Qualität der Grundweine ist.
In den Chamapagnermanufakturen entstanden Weine mit keinerlei Dosage: Zéro Dosage, Brut Integral oder Sauvage. Keine oder minimale Dosage, aber trotzdem intensiv, aromatisch, füllig mit natürlicher Ausgewogenheit von Säure und Süße. Die Trauben von den über 50 jährigen Rebstöcken werden zum optimalen Zeitpunkt gelesen und sind reif. Integrierte Produktion ist längst selbstverständlich, biologische oder biodynamische Produktion immer häufiger.
Wird solcherart hervorragendes Traubenmaterial gepaart mit etwas Holz (Gärtanks aus Eiche statt Edelstahl, Barriques), das zurückhaltend und gekonnt ins Spiel gebracht wird, entstehen präzise, handgemachte Kunstwerke. Dass solche Weine auch ihren Preis haben, wird nicht verwundern. Weil die Mengen teilweise so klein sind und den Winzern schon von den Stammkunden aus der Hand gerissen werden und übrig gebliebene Flaschen spätestens von den aus dem Urlaub am Mittelmeer zurückkehrenden Kennern aus Paris oder Belgien im Vorbeigehen weggekauft werden, schaffen viele dieser Winzerchampagner den Weg ins Ausland gar nicht. Es sei denn, ein auf solche Weine spezialisierter Importeur hat vor Jahren entsprechende Beziehungen aufgebaut und kann sich jedes Jahr ein kleines Kontingent sichern.
Nach 255 Weinen stellte sich bei der Probe Ernüchterung ein
Der Begriff Winzerchampagner meint nicht, dass alle diese Weine in einer höheren Kategorie über den Markenchampagnern anzusiedeln wären. Ganz im Gegenteil: Weine aus der Produktion von kleinen Betrieben können auch sehr schlicht und banal sein. Das bestätigte eine mehrtägige Blinddegustation in diesem Frühjahr in den Räumen des Verbandes "Champagnes des Vignerons". Nach 255 Weinen stellte sich Ernüchterung ein und eine gewisse Enttäuschung: Die Hoffnung, auf diesem Weg einige neue Talente zu entdecken, wurde nicht erfüllt.
Neben den bekannten Namen, die sich bestätigten, waren zwar mehr oder weniger alle, bis auf einige Korkschmecker, trinkbar, aber intensivere Gefühle wollten sich nicht einstellen. Die Mehrzahl der Winzerchampagner sind ordentlich gemacht, unkompliziert und bieten mit Preisen ab Weingut zwischen 15 und 20 Euro ein gutes bis sehr gutes Preis-Leistungsverhältlnis. Die Spitze der Pyramide ist auch bei den Winzerchampagnern sehr schmal und wird von maximal zwei Dutzend Produzenten bestimmt. Ihre Weine kosten soviel wie sehr gute Markenchampagner oder wie eine Prestigecuvée mit Jahrgang. Aber sie sind anders, authentischer, handgemacht und es gibt sie nur in kleinen Stückzahlen.
Die Grenzen sind fließend
Ganz einfach sind die Grenzen zwischen Marken-Champagnerhaus und Winzerchampagner-Produzent nicht zu ziehen: Betriebe wachsen über die Jahre, kaufen schon mal Trauben zu oder es gibt den einen oder andern Sonderfall. Von den 320 Millionen Flaschen Champagner, die im vergangenen Jahr verkauft wurden, gehen mal grade drei Prozent auf das Konto der kleinen Produzenten. Von den 135 Millionen Flaschen, die in den Export, beziehungsweise den 13 Millionen Flaschen, die nach Deutschland gingen, waren das 2,6 Prozent oder 343.556 Flaschen Winzerchampagner.
In der Nomenklatur der Champagne, die vorschreibt, dass auf dem Etikett zu stehen hat, zu welcher Produzenten-Kategorie der Erzeuger gehört, sind lupenreine Winzerchampagner-Produzenten am Kürzel RM zu erkennen oder am RC. Wobei letztere zwar unter ihrem Namen verkaufen, aber ein kleines Fragezeichen erlaubt ist, ob das, was von der Genossenschaft mit ihrem Etikett versehen wird, auch wirklich vom eigenen Rebberg stammt.
Keine Regel ohne Ausnahmen: Sonderfälle bilden einige NMs, die eigene und die Weinberge von Familienangehörigen bewirtschaften (z.B. Billecart-Salmon) und einige wenige Winzer, die mehr als die gesetzlich erlaubten 5% zukaufen, dabei aber so qualitätsbewusst und kompromisslos vorgehen und nur Grand Cru und Premier Cru-Trauben einkaufen wie etwa Salon oder Jacquesson.