Weinhandel Kunstwein im Regal
Bonn/Hamburg - "Im Wein liegt Wahrheit" - das Sprichwort wird künftig wohl noch weniger zutreffen als bisher. Mit Wasser und Aromastoffen angereicherte Weine aus Übersee dürfen nach der Unterzeichnung des Weinabkommens zwischen der EU und den USA bald auch in Deutschland verkauft werden. Von einer "Niederlage für die europäischen Winzer und Verbraucher" spricht der Deutsche Weinbauverband (DWV) in Bonn. Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer forderte gar ein Reinheitsgebot für Wein. Andere Experten warnen dagegen vor einer pauschalen Verurteilung der US-Weine.
Eine Ursache für den Konflikt ist nach Ansicht des DWV-Generalsekretärs Rudolf Nickenig eine völlig unterschiedliche Auffassung von Wein. In Amerika gelte er als Industrieware: "Man hat die Traube und setzt alle Mittel ein, um aus ihr ein gutes Produkt zu machen." Tatsächlich ist es in den USA erlaubt, die langwierige Lagerung im Eichenfass zu umgehen und stattdessen Holzchips in die Stahltanks zu werfen - eine Praxis, die laut Nickenig in Ländern wie Australien oder Chile ebenfalls üblich ist.
Auch darf US-Weinen Wasser zugesetzt werden, um den Alkoholgehalt zu verringern. Als größtes Übel gilt dem Weinbauverband aber die "Schleuderkegelkolonne" - eine Maschine, die den Wein in seine Bestandteile zerlegt. Sie löst Alkohol und Aromen heraus und ermöglicht es, völlig neue Weine zusammenzusetzen.
"In Amerika stehen mehrere hundert dieser Anlagen", sagt Nickenig. Schon bisher sei die Gefahr groß gewesen, dass so erzeugter Wein nach Europa gelangt. Europäischer Wein dagegen ist laut Nickenig ein "wertvolles Kulturgut und ein landwirtschaftliches Erzeugnis, das durch Boden, Klima und die Arbeit des Winzers im Weinberg geprägt wird". Der Einsatz von Technologie sei höchstens zulässig, um diese Qualität zu erhalten.
Diesen Gegensatz will der Weinkenner und Fachjournalist Mario Scheuermann aus Hamburg nicht gelten lassen. "Die Europäer sitzen in diesem Fall im Glashaus", sagt der Betreiber der Webseite "Weinreporter.de". Enzyme oder Aromahefe, die den Wein beispielsweise nach Aprikose duften lässt, seien für viele Hersteller ganz normale Helfer geworden. Dies gelte gerade für deutsche Winzer: "Viele verwenden in gewaltigem Ausmaß Süßreserven." Dabei wird dem Wein Traubenmost zugesetzt, um ihn lieblicher zu machen. "Und mancher kauft Traubenmostkonzentrat in Italien und gibt es hier in den Wein."
Schließlich sei auch die europäische Weinindustrie nicht über einen Kamm zu scheren. Nicht ohne Grund hätten die EU-Großproduzenten Italien, Frankreich und Spanien für die Verordnung gestimmt: "Die gesamte EU hat 2004 Wein für 2,3 Milliarden Dollar (1,95 Milliarden Euro) in die USA exportiert, aber nur Wein für 487 Millionen Dollar (412 Millionen Euro) importiert." Deutschland mit Weinexporten im Wert von 75 Millionen Euro in die USA und US-Importen von 60 Millionen Euro sei dagegen "ein ganz kleiner Fisch".
Eine kleine Orientierungshilfe
Eine kleine Orientierungshilfe
Auch der Verband der Prädikatsweingüter (VDP) in Bad Kreuznach sieht Europas Erzeuger nicht in einem Boot. Bei der "europäischen Groß-Weinindustrie" sei zu erwarten, dass die Industrialisierung fortschreite. Die von Italien bei der EU beantragte und schon in Kürze zu erwartende Zulassung von Barrel-Chips sei nur ein Anfang. Nötig sei daher ein "Reinheitsgebot" für den Wein, fordert der Verband, der an seine Mitglieder strenge Qualitätsmaßstäbe anlegt.
Weintrinker werden es ohne ein solches Gütesiegel künftig noch schwerer haben, sich zu orientieren. Nach dem Abkommen zwischen EU und USA darf nicht verlangt werden, dass Verfahren, die in Europa nicht zugelassen sind, auf dem Etikett erwähnt werden. Der DWV setzt seine Hoffnungen daher auf Nachverhandlungen - und auf eine Reform des europäischen Weinrechts, die laut Nickenig 2006 ansteht. "Wir müssen Regelungen finden und die dann aufs Etikett bringen." Wird keine Einigung gefunden, müsse es zumindest eine "Ermächtigung für eine nationale Regelung" geben.
Bis es soweit ist, müssen Weintrinker sich also auf anderem Wege informieren. "Da hilft nur eins: Nach dem Namen des Erzeugers kaufen", rät Weinexperte Scheuermann. Wer sich wirklich für Wein interessiert, dem sei auch zuzutrauen, sich etwa über das Internet zu informieren. Den anderen sei auch egal, wie der Wein hergestellt wird: "Die wollen 2,50 Euro ausgeben und dafür etwas bekommen, was ihnen schmeckt."
Auch Nickenig rät trotz aller Kritik am Abkommen dazu, die Kirche im Dorf zu lassen: In naher Zukunft sei nicht mit einer Flut amerikanischer Billigweine zu rechnen. Das Abkommen trete zwar zum Januar 2006 in Kraft - doch erst, wenn auch die Amerikaner ihren Teil der Vereinbarung erfüllt haben. Die besteht darin, 17 europäische Weinnamen und Ursprungsbezeichnungen zu schützen. "Theoretisch können die Amerikaner sich damit fünf Jahre Zeit lassen", sagt Nickenig.
Von Thomas Kärst, dpa