Extremfahrräder Highspeed mit Haube
Hamburg - Aerodynamisch gesehen ist der Mensch eine Fehlkonstruktion. Wir laufen aufrecht, als wollten wir mit unserem breiten Oberkörper den Wind einfangen. Auf dem Fahrrad sieht es nicht viel besser aus. Besitzer eines Hollandrades können den Begriff Cw-Wert kaum buchstabieren. Rennradfahrer schon eher, aber wer will schon den ganzen Tag in geduckter Haltung fahren?
Für Radfahrer gibt es immerhin eine Lösung: Sie müssen unter die Haube. Velomobil heißen die windschlüpfigen Gefährte, die meist über drei Räder verfügen, damit sie nicht so leicht umkippen. Velomobile sind nichts anderes als Liegeräder mit einer möglichst leichten Karosserie.
Auf die Spitze treibt es dabei der Slowene Damjan Zabovnik. Um dem Wind möglichst wenig Widerstand zu bieten, fährt er flach auf dem Rücken liegend - und dann auch noch rückwärts. Sein Gefährt Eivie II hat nur zwei Räder - das vermindert den Rollwiderstand.
Die Eivie-Kabine ist nichts für Klaustrophobiker: Ein Sarg ist geräumiger, es gibt nur ein Mini-Fenster oberhalb des Gesichts. Allein dank eines Spiegels kann er den Asphalt erspähen. Zum Losfahren benötigt er Hilfe: Er liegt rücklings in seinem Rad, zwei Mechaniker setzen den Deckel drauf und befestigen ihn mit Klebeband. Stützräder verhindern, dass die rollende Zigarre beim Anfahren umkippt.
Freude am Fahren ist etwas anderes - aber der Slowene schwitzt nicht zum Spaß in seinem Extrem-Velo. Er ist auf der Jagd nach Rekorden - und dabei sehr erfolgreich. Am 12. Juli 2008 fuhr er auf dem Dekra-Testoval bei Dresden in einer Stunde 87,1 Kilometer weit - der neue offizielle Weltrekord der International Human Powered Vehicle Association ( IHPVA) im Stundenfahren.
Ein Jahr später, am 19. Juli 2009, schaffte Sam Whittingham auf einer Ford-Teststrecke in den USA in 60 Minuten sogar über 90 Kilometer. Varna Tempest heißt das Mobil des Kanadiers, das dank kleiner Glaskuppel immerhin einen direkten Blick auf die Straße erlaubt. Whittingham hält mit 133 km/h auch den absoluten Geschwindigkeitsrekord für muskelgetriebene Fahrzeuge auf ebener Strecke.
Die Strapazen in den windschnittigen Rädern sind enorm: Nach einer Rekordfahrt stolpern die Fahrer entkräftet durch die Gegend, als wären sie gerade von einer dreiwöchigen Reise aus dem Weltall zurückgekehrt. Für die tägliche Fahrt ins Büro sind Varna Tempest und Eivie II völlig ungeeignet - da empfiehlt sich schon eher ein komfortables Dreirad mit gut belüfteter Kabine. Solche Velomobile werden meist in Kleinserie gebaut und sind deshalb auch deutlich teurer als ein City-Rad.
Alu-Zigarre zum Selbermontieren
5500 Euro kostet beispielsweise das Go-One Evolution, das die Sechs-Mann-Firma Beyss Leichtfahrzeuge in Straelen am Niederrhein herstellt. "Zwei gelenkte 20-Zoll-Räder vorn - ein angetriebenes 26-Zoll-Rad hinten - das ist eine bewährte Konstruktion", sagt Firmenchef Andreas Beyss. Wegen des Gewichts von 32 Kilogramm ist man beim Anfahren nicht sehr schnell, erklärt er. "Aber wenn man erst mal ordentlich Schwung hat, hängt man alle ab - auch Rennradfahrer."
Die Vollverkleidung sorgt nicht nur für eine sehr gute Aerodynamik, sie schützt auch vor Wind und Wetter. "Die meisten nutzen unsere Velomobile für die täglichen Fahrten zur Arbeit", sagt Beyss. 30 Kilometer und mehr für die einfache Strecke seien nicht außergewöhnlich, sondern eher die Regel. Dabei ist man fast so schnell wie ein Auto unterwegs: "Richtige Cracks fahren 50, 60 Sachen, und zwar stundenlang."
Plötzlich umkippen kann das schnittige Dreirad laut Beyss nicht. Es sei wegen des tief liegenden Schwerpunkts auch bei starkem Seitenwind sehr stabil. "Sie sitzen 15 Zentimeter über dem Boden." Im Straßenverkehr hat der Konstrukteur sehr gute Erfahrungen mit seinem Velomobil gemacht: "Sie werden von Autofahrern besser wahrgenommen und nicht so knapp überholt wie normale Radler."
Nicht ganz so teuer wie das Go-One Evolution ist das in Holland entwickelte Alleweder. Das Design erinnert an die legendären Mercedes Silberpfeile aus den dreißiger Jahren. Das Dreirad hat eine genietete Aluminiumverkleidung, aus der der Kopf des Fahrers herausragt. Als Bausatz kostet das Modell Alleweder 4 weniger als 3000 Euro, fertig montiert fast 4000. Die Firma Akkurad aus Hennef bietet auch eine Version mit Elektroantrieb an (knapp 6000 Euro).
Sicherer als auf einem klassischen Rad
Nicht jeder, der sich für ein Velomobil entscheidet, denkt dabei an den besseren Cw-Wert. Daniel Habegger, der als Techniker am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln arbeitet, ging es vor allem um die Stabilität eines Dreirads. Er war mit seinem normalen Rad, die Tochter hinter sich im Kindersitz, auf einem laubbedeckten Weg ausgerutscht. Weil ihm Kinderanhänger nicht zusagten, besorgte er sich einen Alleweder-Bausatz.
40 Stunden dauerte die Montage, für seine Tochter baute Habegger zusätzlich einen Kindersitz ein (siehe Fotostrecke). Mit dem zweisitzigen Alumobil fährt er nun täglich die 7,5 Kilometer zu Arbeit und fühlt sich dabei wesentlich sicherer als auf einem klassischen Rad.
Geschwindigkeitsrekorde können sich Alleweder-Fahrer abschminken, die erlauben das nostalgische Design und das Gewicht von rund 40 Kilogramm nicht. "85 km/h ist das schnellste, was ich gefahren bin", sagt Habegger. "Es ging bergab, und ich musste sogar bremsen." Die Selbstmontage kann er allen empfehlen, die genug handwerkliches Geschick mitbringen. Sehr viel Hilfe habe er im Internet in einschlägigen Foren bekommen.
Eine Straßenzulassung brauchen Velomobilbesitzer übrigens nicht. In eine juristische Grauzone geraten sie allerdings, wenn sie sich Blinker an ihr Dreirad schrauben. Laut Straßenverkehrsulassungsordnung dürfen Fahrräder nämlich keine Blinker haben. Go-One-Konstrukteur Andreas Beyss sieht die Sache pragmatisch: "Wie soll ich sonst in einem geschlossenen Mobil die Fahrtrichtung anzeigen?"
Velomobile: Radeln in der Kabine