Schirmgeschäft Immer wenn es regnet
Hamburg - Es sieht chaotisch aus in dem kleinen Laden in der Hamburger Innenstadt. Blaue und grüne Stoffreste liegen über den abgewetzten grauen Boden verstreut. Auf dem schmalen Tisch in der Mitte des Raums stapeln sich neben einem halb aufgerollten Stoffballen Pakete und Briefe.
Drumherum - an den Wänden aufgereiht, in Kisten und Kästen, in Ständern und kopfüber von der Decke hängen, stehen, stecken und liegen Hunderte Schirme. Damenregenschirme, Taschenschirme, Golfschirme, Gästeschirme, Herrenschirme, Kinderschirme. Geblümt oder uni, schlicht oder mit Spitze, rund oder oval, aus Baumwolle, Seide oder teflonbeschichteter Kunstfaser.
Es ist das Reich von Carola Vertein. Die 40-Jährige ist eine der letzten Schirmmacherinnen Deutschlands. "Eigentlich müssten wir unter Artenschutz stehen", meint die burschikose kleine Frau mit Hamburger Slang. Ihr Handwerk, das in ihrer Familie mehr als 130 Jahre Tradition hat, ist vom Aussterben bedroht. Und das, obwohl im vergangenen Jahr etwa 25 Millionen Schirme in Deutschland über die Ladentheken gingen. Aber davon stammen gerade mal 50.000 noch aus heimischer Produktion.
Das Geschäft mit dem Nässeschutz ist mittlerweile so globalisiert wie der Rest der Welt. "98 Prozent der Schirme, die in Deutschland verkauft werden, kommen aus chinesischer Produktion", sagt Willy Schüffler, Leiter des Interessenverbands der Schirmfachhändler, der in Essen selbst einen Laden für Schirme und Stöcke führt. Echte Schirmmacher wie Vertein sterben aus. Zum Meister wird heute keiner mehr ausgebildet, erzählt Vertein. "Die Innung hat dichtgemacht."
Aber auch die echten Schirmfachgeschäfte sind rar geworden. Die meisten Exemplare gehen im Vorbeigehen, in der Drogerie oder im Baumarkt über den Ladentisch. Und so zählt der Händlerverband nur noch rund siebzig Mitglieder in ganz Deutschland und Österreich.
Die Inhaber der übrig gebliebenen Geschäfte haben es denkbar schwer. Auch Carola Vertein. Anfang der 90er musste ihre Familie, die seit 1876 mit "Schirm Eggers" eine echte Hamburger Institution mit zeitweise elf Filialen betrieb, aufgeben. Doch die Schirmmacherin gab nicht klein bei - und gründete wenige Monate später mit "Schirm und Co." in der Hamburger Rosenstraße einen eigenen Laden.
Billigware aus Fernost
Billigware aus Fernost
Der Regenschirm ist zum Bedarfsartikel geworden, wie Papiertaschentücher oder Handcreme. Früher aber war er ein Herrscherprivileg, ein Zeichen für Macht und Würde. Vorläufer soll es angeblich schon vor 5000 Jahren gegeben haben.
Seinen Siegeszug als Gebrauchsgegenstand trat der Schirm in Europa Ende des 18. Jahrhunderts an. Weil er einen hohen Nutzwert hatte - und weil er schön aussah. Aus den Bildern der Impressionisten ist er als Accessoire kaum wegzudenken.
Technisch wurde er mit den Jahren immer komplexer. Aus rund 200 bis 300 Einzelteilen - vom Gelenk über die Feder bis zur Speiche - besteht ein moderner Schirm heute. Und die müssen alle präzise funktionieren.
Kaum zu glauben also, dass der Durchschnittspreis mittlerweile unter die Fünf-Euro-Marke gefallen ist - die vielen Werbegeschenke mit eingerechnet, die allein 30 Prozent des Schirmmarktes ausmachen.
Doch selbst bei solchen Preisen lässt sich noch etwas verdienen, weiß Schirmhändler Schüffler. "Wenn ein Stück für 4,50 Euro verkauft wird, verdient der Händler in einer Größenordnung von 2,20 Euro."
Dass die Hersteller bei solchen Preisen oft nicht nur am Material, sondern auch an den sozialen Standards sparen, ist in der Branche kein Geheimnis. "Man muss sich halt bewusst sein, dass wahrscheinlich ein Achtjähriger daran gearbeitet hat", sagt Vertein und spannt einen Billigschirm aus ihrem Sortiment auf. Gern verkaufe sie solche Schirme nicht, sagt sie. Doch die Nachfrage ist da.
Ihr Hauptgeschäft macht Vertein allerdings mit ihren hochwertigen Schirmen. Qualitätsprodukte, die nicht gleich beim ersten Windstoß einknicken und auch mal den ein oder anderen Starkregenguss vertragen - unter rund 40 Euro ist so ein Exemplar aber kaum zu haben.
1000 Euro für einen Brigg
1000 Euro für einen Brigg
Der teuerste Schirm, den die Hamburgerin je verkauft hat, kostete knapp 1000 Euro. Das war ein Brigg aus London "quasi der Mercedes unter den Schirmen". Verkauft habe sie ihn an einen Lottomillionär. "Der ist reingekommen und hat gesagt, er wollte den teuersten Schirm den es gibt. Beim Preis hat er erst einmal geschluckt - aber er hat ihn genommen."
Mehr als auf die Parapluies des 1836 gegründeten Londoner Traditionshauses, das auch die Royals vor meteorologischen Widrigkeiten bewahrt und den Markt mit skurrilen Spezialanfertigungen - wie etwa Schirmen mit im Stock versenkbarer Whisky-Flasche versorgt, hält die 40-Jährige mittlerweile aber von den Produkten der Mailänder Manufaktur Francesco Maglia. Die fertigen seit mehr als 150 Jahren bis heute in Handarbeit Meisterstücke der Schirmmacherkunst in Topqualität.
Auf Wunsch ihrer Kunden stellt Vertein auch eigene Schirme her. Selbst für einen Altkanzler hat sie schon gearbeitet. Etwa 150 Stück verlassen ihre Werkstatt jedes Jahr, sagt Vertein, während sie mit routinierten Handgriffen kleine Metallspitzen, sogenannte Kugelspitzen, an die Enden eines Schirmbezugs näht.
Das Zuschneiden, Nähen, Heften und Fräsen erledigt sie direkt im Laden, an ihrer von feinem Holzstaub, diversen Zangen, Bindfäden und Drähten übersäten Werkbank neben dem Verkaufstresen. Etwa eineinhalb Stunden braucht sie im Durchschnitt pro Schirm.
Der Löwenanteil - etwa die Hälfte ihrer Arbeit - geht jedoch für Reparaturen drauf. Im Jahr sicher mehrere Tausend Fälle. Verteins Kunden werfen nicht gern weg.
"Einmal hab ich einen Schirm von Sissi bezogen - nicht der aus dem Film, der echten", erzählt sie mit leuchtenden Augen vom Auftrag eines Antiquitätenbesitzers. "Der war vollkommen marode. Mit einem neuen Bezug aus Krawattenseide sah er wieder richtig edel aus."
Neugeburt eines Klassikers
Wiedergeburt eines Klassikers
Es ist ein bunt gemischtes Völkchen, das den Laden frequentiert: Vom Geschäftsmann, der seinen Ebenholzgehstock wieder auf Vordermann bringen lassen will, bis zum Rentner-Ehepaar, das seinen altgedienten Knirps neu bespannen lässt.
Die Firma aus Solingen, deren Knirps wie Tempo oder Tesa sogar als Synonym für das Produkt verwandt wird, ist eine der wenigen Traditionsmarken, die überlebt haben. Überlebt? Wahrscheinlich trifft es "auferstanden" besser.
Knirps ist zwar Deutschlands bekanntester Schirmname, nach eigenen Angaben Marktführer bei Taschenschirmen. Aber seit der Möbelfabrikant Bremshey, der als Erster die Schirmpatente des Erfinders Hans Haupt verwertete, die Marke 1982 nach Solingen verkaufte, gab es gleich mehrere Insolvenzen. Schließlich landete Knirps beim österreichischen Unternehmen Doppler.
Die Österreicher aus Braunau sind in Europa die Nummer Eins bei Schirmen und decken praktisch das gesamte Spektrum des Geschäfts ab. "Auch wir importieren zwischen 90 und 95 Prozent unserer Schirme", sagt Michael Lackner, Managing Director von Knirps und Vorstandsmitglied bei Doppler. "Daneben fertigen wir an unseren österreichischen Standorten auch in Handarbeit", erklärt Lackner. Für einen solchen Schirm müssen Kunden zwischen 90 und 100 Euro hinlegen.
Doppler hat 2007 43 Millionen Euro in Deutschland umgesetzt, davon den größten Teil mit Gartenbedarf. 13 Millionen spülten die Regenschirme in die Kasse. Und Knirps, der sieche Klassiker? "Da sprechen wir inzwischen von einer geglückten Markensanierung", sagt Lackner.
Die Absätze steigen. 440.000 Stück wurden im vergangenen Jahr in Deutschland verkauft. Eine Million weltweit. Das Erfolgsrezept lautet Hightech und Design. So gibt es Knirpse aus Leichtbaumaterialien und mit Aluminiumhülle, weil's schicker aussieht.
Der perfekte Schirm
Der perfekte Schirm
Die Fertigung ist aber ebenfalls längst nach Fernost verlagert. Die 200 Doppler-Mitarbeiter in Braunau arbeiten für die ganz edlen Produkte. Ein kleines Team kümmert sich um Technik und Gestaltung der Knirps-Schirme und um die Lizenzierung der gut eingeführten Marke.
Die Unternehmen in Deutschland lassen sich an einer Hand abzählen: Dr. Neuser - passenderweise in Regensburg - mit Eigenmarken wie Cabrio oder Splash; Happy Rain im bayerischen Simbach, mit Modemarken wie Esprit, Benetton oder Pierre Cardin; der Aachener Emil Brauer mit einer Vorliebe für B-Marken wie Bernd Berger oder Bugatti; und Fare in Remscheid, spezialisiert auf Schirme mit Werbung.
Die Auswahl an Schirmen ist enorm. Rund 3000 hat allein Vertein ständig auf Lager. Dabei "wollen alle eigentlich denselben Schirm", meint sie. "Er soll winzig sein, federleicht, und wenn er aufgespannt ist riesengroß und stabil. Das Ganze hat nur einen Haken: So einen Schirm gibt es nicht. Aber es gibt immer einen Kompromiss."
Am wichtigsten ist, "dass der Schirm zum Menschen passt", ist die Hamburgerin überzeugt. "Wenn man mal den richtigen Schirm für sich gefunden hat, will man ihn nicht wieder hergeben, Und dann verliert man ihn auch nicht." Und ein guter Schirm hält in der Regel ein paar Jahrzehnte, wenn nicht ein ganzes Leben. Vorausgesetzt, er wird gut behandelt und nicht nass zusammengelegt und vergessen.
Wer weniger kompromissbereit ist, schafft sich gleich eine ganze Reihe an, wie Vertein selbst, die elf Schirme ihr Eigen nennt. Für sie ist ein Schirm auch heute noch Modeaccessoire und die Wahl eine Frage des Stils. "Man kann vom Pappteller essen - oder von edlem Porzellan. Jeder, wie er mag."
Knirps & Co.: Schirmgeschichte in Bildern