Gesundheit Rot für die Ampel

Die Ampel wird nicht kommen: Jetzt müssen Verbraucher selbst entscheiden, ob eine Tüte Chips oder ein Apfel gesünder ist
Foto: Rainer Jensen/ dpaHamburg - Vor Kurzem hat das EU-Parlament entschieden, dass verpackte Lebensmittel keine generelle "Ampel"-Kennzeichnung tragen müssen. Ein in sattem Rot, Gelb oder Grün aufgedruckter Punkt sollte den Käufern von Schokoriegeln und Pizzaschachteln auf den ersten Blick signalisieren: "Stopp, Finger weg! Wer das isst, wird fett und krank".
Bei Müslitüten und Rhabarbersaftflaschen hätte die Botschaft gelautet: "Greif zu, so unterstützt du deine Gesundheit!" Bei Raviolidosen: "Dies hier solltest du dir allenfalls gelegentlich gönnen." Zum Glück haben die Abgeordneten diesen Vorschlag von Verbraucherschutzverbänden und anderen Industriekritikern verworfen: Statt eines Ampelaufdrucks müssen verpackte Lebensmittel ihren Nährstoffgehalt wie bisher in Zahlen auflisten, nur deutlicher hervorgehoben und etwas besser lesbar.
Die Entscheidung der Abgeordneten ist richtig, weil sie einen naiven Irrglauben zumindest nicht weiter verbreitet: Jene Hoffnung, dass sich Krankheit, Elend und Tod vermeiden ließen durch "richtiges Essen". Und weil sie jener eindimensionalen Vorstellung entgegentritt, die Bürger der EU könnten fortan schlanker, fitter und gesünder durchs Leben kommen, wenn sie sich nur an jene Ampelurteile wohlmeinender Ökotrophologen hielten.
Denn die so schön klingenden Ideen sind leider Humbug. Wer sie propagiert, verspricht falsche Sicherheiten zu gleich zwei essenziellen Themen: der individuellen und der kollektiven ("Volks")Gesundheit.
Wen könnten die Ampelpunkte überhaupt noch aufklären?
Schon die Frage nach den Adressaten der Botschaft führt in eine Sackgasse: Wen sollten, wen könnten die Ampelpunkte auf den Lebensmittelpackungen noch aufklären oder gar vor Unheil bewahren? Tatsächlich weiß doch inzwischen jeder, der am Fernseher nur den Einschaltknopf bedienen kann, dass sein Körpergewicht zulegen wird, sobald er sich ausschließlich von Kartoffelchips und Dosenbier, wahlweise auch von Fischstäbchen und Cola oder von Cheeseburger und Alkopops ernährt.
Aussicht auf zeitweiligen Ausnahmestatus von dieser Regel haben allenfalls Jugendliche während ihrer Phase des Längenwachstums, Teilnehmer der Tour de France und Holzfäller, die im sibirischen Winter ohne Motorsäge im Akkord arbeiten müssen. Zumindest die beiden letztgenannten Gruppen kämen nie auf den Gedanken, solche Diäten auch nur in Betracht zu ziehen.
Doch damit sind die Gewissheiten zum magischen Dreieck von Ernährung, Körpermasse und Gesundheit schon aufgebraucht. Vor allem die einstmals so sicher geglaubten Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Übergewicht und Krankheitsrisiko verdunsten ohne Rand im Licht neuer, kritischer Studien.
Zweifelsfrei: Wer 1,70 Meter groß ist und 185 Kilo wiegt (in den USA leider keine ungewöhnliche Kombination), der ruiniert mit jedem Schritt seine Knie, weil dort der Knorpel von der untragbaren Last zermalmt wird. Indessen wiegt nur die Hälfte aller Herzinfarktopfer mehr als die Normwerttabellen der Mediziner für ihre Körpergröße vorsehen. Die andere Hälfte blickt rank und schlank dem Tod ins Auge.
Entspannt bleiben! Alles andere klappt sowieso nicht
Auch bei übrigen Volkskrankheiten wie Bluthochdruck oder Schlaganfall ist das Übergewicht bei Weitem kein so klarer Risikofaktor wie noch vor wenigen Jahren vermutet. Einzig bei Diabetes erscheinen die Zusammenhänge noch einigermaßen klar. Was kein Wunder ist: Die Zuckerkrankheit gehört zu den Stoffwechselstörungen. Und bei 130 Kilo Körperfett, fünf- bis zehnmal mehr als normal, geht auch dem robustesten Stoffwechsel die Puste aus.
Umgekehrt wurden auch vielen einst positiv besetzten Nahrungsmitteln und Ernährungstipps entzaubert. So galt bis vor wenigen Wochen die "Take 5"-Regel als Schutz vor Krebs: Wer täglich fünf Portionen Obst oder Gemüse isst, so die Empfehlung, der beugt dadurch bösartigen Tumoren vor. Leider, so hat sich herausgestellt, war auch hier offenbar nur der Wunsch Vater des Gedankens. Bei genauer Auswertung jüngster Statistiken hatten die Bohnen- und Bananenesser nicht seltener Krebs als jene, die einen Bogen um Fartfood machen.
Insgesamt lässt sich nicht mehr zweifelsfrei bestimmen, der wievielte Döner nun tatsächlich und endgültig krankmacht. Und wer wie viele Portionen Rapunzelsalat braucht, um seiner Gesundheit womöglich doch zu nutzen. Was also tun? Zum einen: Entspannt bleiben! Alles andere klappt sowieso nicht. Nicht jeder ist geboren, um auch noch nach 30 Jahren im Bürojob eine Modelfigur oder einen Adonisleib vorweisen zu können. Und nicht jedes Kilo mehr ist eines zu viel.
Zweitens: Weniger futtern, mehr genießen. Erst essen, wenn man wirklich hungrig ist. Und aufhören, sobald sich Sättigung einstellt. Wer bewusst isst statt einfach nur reinzuschaufeln, was sich im Kühlschrank oder im Discounter-Regal noch auftreiben lässt, der macht auch dann keinen Fehler, wenn er sich mal eine knusprige Haxe oder ein Stück Sahnetorte gönnt. Hier gilt, wie bei allem, was wir unserem Körper zuführen: Die Dosis macht's! Im Übermaß genossen kann selbst das harmloseste und köstlichste Lebensmittel als tödliches Gift wirken: klares, kühles Trinkwasser.
Schließlich: Auf den eigenen Körper hören, den eigenen Bedürfnissen vertrauen. Wer weiß, dass er tags darauf auch mal mit einem kleinen Becher Joghurt zum Frühstück zufrieden sein kann, der darf beim Grillfest auch getrost mal eine Bratwurst mehr essen als sonst. Und braucht dabei nicht auf die Ampel zu schielen, die dirigistische Verbraucherschützer am liebsten auf jedem Esstisch aufleuchten lassen würden.