Korruption
"Lieber wird ein Verkehrssünder verfolgt"
Jürgen Roth, Buchautor und Journalist, gehört zu Deutschlands bekanntesten Kennern organisierter Kriminalität. Sein Gastbeitrag für manager-magazin.de ist die gekürzte Fassung eines Kapitels aus dem neuen Sammelband "Korruption im Wirtschaftssystem Deutschland".
Die Bürger wünschen sich Schutz und Sicherheit und eine demokratisch strukturierte Gesellschaft. Es ist ein frommer Wunsch geworden.
Im Hinblick auf die zunehmende mafios-korrupte internationale Verflechtung von Politik und Wirtschaft und eine Glorifizierung des Geldes als alleinige ethische Klammer ist die Frage überhaupt nicht mehr zu stellen, ob Korruption noch wirklich bekämpft werden kann. Wie überall herrscht auch bei uns ein System mit dem Namen Nepotismus.
Dabei möchte ich auf eine Ebene hinweisen, die bislang im Schatten zu liegen scheint: Warum kann oder darf die Polizei nicht ihre primären Aufgaben wahrnehmen?
Da klagt der Chef einer Polizeigewerkschaft: "Es ist offensichtlich politisch nicht mehr gewollt, eine konsequente Strafverfolgung der wenigen Täter, deren die Polizei überhaupt noch habhaft werden kann, stattfinden zu lassen."
Tatsächlich gibt es - von Ausnahmen abgesehen - seit einiger Zeit überhaupt nicht mehr den Willen, bestimmte Kriminalitätsfelder aktiv zu bekämpfen. Im Gegenteil.
"Selbst Anzeigen über Fahrraddiebstähle oder Einbrüche legen wir in den Papierkorb", berichtet ein Kripobeamter aus Berlin. "Wir haben weder Zeit noch Mittel, hier für die Bürger noch etwas zu unternehmen." Ähnlich ist die Situation bei anderen Kriminalitätsformen wie Wirtschaftskriminalität oder organisierter Kriminalität.
Einer der größten Kokainhändler, der die Route Kolumbien-Frankfurt-Belgrad bedient, muss zum Beispiel nichts mehr befürchten. Weil das Geld (100.000 Euro) für einen V-Mann fehlte, wurde das Verfahren wegen internationalen Drogenhandels Ende 2002 eingestellt.
"Finanzielle Ressourcen gekappt"
Dabei ist er ein Ex-General des Kriegsverbrechers Arkan und hat bereits Anfang der 1990er Jahre mit dem Drogenhandel den Krieg im Kosovo mitfinanziert. Vergangenheit?
Die gleichen Strukturen funktionieren bis zum heutigen Tag. Beispielsweise in Hamburg. Dort beherrscht ein Pate aus dem Kosovo, der einst mit Drogengeschäften den "Unabhängigkeitskrieg" der UCK mitfinanzierte, berüchtigt als "Felix der Glückliche", das Rotlichtgewerbe. In diesem verfangen sich zwangsläufig nicht nur hohe, sondern sogar höchste Politiker, und wurden ebenso zwangsläufig erpressbar. In den letzten Jahren war genau das die Trumpfkarte für den kriminellen Klan.
Manchmal wird massiver Druck ausgeübt, Verfahren nicht zu eröffnen und Ermittlungen einzustellen, wenn politische und wirtschaftliche Würdenträger involviert sind. Der Trick dabei: Finanzielle Ressourcen, die notwendig sind, um entsprechende Verfahren führen zu können, werden gekappt.
Genannt wird das offiziell "Projektmanagement". Wenn bei einem Ermittlungsverfahren die Erfolgsaussicht unter 50 Prozent liegt, werden in einigen Bundesländern, bedingt durch die knappen finanziellen Ressourcen, überhaupt keine Ermittlungen mehr geführt.
Fakt ist: Es wird - von Ausnahmen abgesehen - alles getan, damit die kriminalistische Arbeit zur rein administrativen Verwaltungstätigkeit verkommt. Das führt inzwischen zur flächendeckenden Frustration und inneren Emigration vieler engagierter Polizeibeamten.
Gefragt sind fragwürdige Managementmethoden in der Ermittlungsarbeit, "Projektmanagement" genannt, wie "Wirkungsanalyse", "Effizienzanalyse" und "Zielerreichungsanalyse". Das hört sich nach Fortschritt an, ist jedoch nichts Anderes als die bewusste Blockade jeder innovativen und kreativen kriminalpolizeilichen Arbeit.
"Kriminalität nicht mehr bekämpft"
Damit ist zementiert, dass Kriminalität nicht mehr bekämpft, sondern allenfalls noch verwaltet wird. Immer neue Organisationsreformen im Polizeiapparat zerreißen zudem gewachsene Strukturen.
Das Wissen erfahrener Ermittler wird in bürokratischen Zwangsjacken erstickt. "Ich komme mir vor wie in einer Gummizelle", beschreibt ein Beamter des Bundeskriminalamts (BKA) die Situation in seinem Amt.
Ein weiteres Indiz für die politisch motivierte Strategie in Deutschland, Kriminalität nicht mehr zu bekämpfen, ist die Budgetierung. Das bedeutet, dass den einzelnen Kriminalabteilungen nur ein bestimmtes Budget zur Verfügung steht, das einmal im Jahr festgelegt wird.
Ist das Budget aufgebraucht, gibt es keine weiteren Finanzmittel mehr - das Verfahren muss zwangsläufig beendet werden.
Doch der Justiz, insbesondere der Staatsanwaltschaft, geht es ja auch nicht viel besser. Die Rede ist vom "Gesetzes-Ungehorsam" der Justiz.
Das genau war sogar das Thema einer Tagung des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Der schwere Vorwurf, mit vielen Beispielen aus Deutschland belegt: Justiz und Staatsanwaltschaft weigern sich, Kriminalität wirksam zu ahnden.
Ergebnis: Hochkarätige Verbrecher können ungehindert agieren, Wirtschaftskriminalität wird nicht mehr oder nur unzureichend verfolgt, kriminelle Größen werden nicht angetastet und es bilden sich in vielen Städten Parallelgesellschaften, gegen die die Sicherheitsbehörden vollkommen machtlos sind.
"Lieber wird bei uns ein Verkehrssünder verfolgt, den wir mit der vollen Härte des Gesetzes bestrafen, als ein Wirtschaftsverbrecher", klagt ein Darmstädter Staatsanwalt und spricht offen aus, was allgemeine Praxis bei vielen Staatsanwaltschaften in Deutschland geworden ist.
"Da gab es den Gerhard Glogowski"
An einem Beispiel sind die Verflechtungen besonders deutlich zu machen. Da gab es den niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Glogowski.
Der war nicht nur Politiker, sondern auch Mitglied des Aufsichtsrats der Braunschweigischen Kohlebergwerks AG und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Stadtwerke Braunschweig. Deshalb kam er jedoch nicht in die Schlagzeilen - sondern im Jahr 1999 wegen anderer "Lappalien".
Für seine Hochzeitsfeier lieferten die beiden Brauereien Wolters und Feldschlösschen das Bier, und eine andere Firma spendierte den Kaffee. Über den Vorstand des Reiseunternehmens Tui buchte Glogowski vom 31. März bis 14. April 1999 eine Hochzeitsreise in den Robinson-Club von Hurghada in Ägypten.
Die Rechnung für den Flug in Höhe von 1654 Mark bezahlte Glogowski erst nach einigen Wochen, nachdem bei ihm ein Kabinettsmitglied nachgefragt hatte. In Widersprüche verstrickte sich sein Regierungssprecher Jürgen Koerth zur Abrechnung des Besuchs auf Einladung des ägyptischen Tourismusministers vom 11. bis 13. Oktober 1999 in Kairo.
Höhepunkt war ein Besuch der Oper "Aida" an den Pyramiden. Den Flug hatte die Tui bezahlt und nicht in Rechnung gestellt.
Koerth beteuerte zwei Tage lang, man habe wiederholt Rechnungen angemahnt. Als Tui und deren Mutterkonzern Preussag entschieden dementierten, gab Glogowski die falschen Darstellungen zu. Die Flugkosten wurden erst später bezahlt.
Auch bei einer offiziellen Polenreise mit Unternehmern am 19. Juli 1999, die zunächst von der Norddeutschen Landesbank (NordLB) finanziert wurde, forderte die Staatskanzlei erst sehr viel später am 1. November eine Rechnung an.
Bei der Abrechnung eines Opernbesuches in Wien gab es nach internen Informationen ebenfalls Unregelmäßigkeiten. Die Eintrittskarten für Glogowski und Ehefrau und vier weitere Gäste hatte die Salzgitter AG besorgt.
"Eine positive Symbiose"
Die Teilrechnung an die Staatskanzlei vom 29. Oktober 1999 sollte nachträglich korrigiert werden. Das Reisebüro lehnte dies ab. Glogowski hatte nach dpa-Informationen von seinen VW-Aufsichtsratsbezügen für 1999 in Höhe von rund 97.500 Mark noch nichts an die Landeskasse abgeführt, obwohl er sie bereits im Juni 1998 erhalten hatte.
Jährlich standen einem Mitglied der Landesregierung nur 10.800 Mark an Geldern aus Aufsichtsräten zu, wenn die Mandate im Auftrag des Landes wahrgenommen wurden.
Seit März 1999 nutzten Glogowski und seine Frau eine Dienstwohnung im Gästehaus der Landesregierung in Hannover nach Abendterminen, ohne dafür zu zahlen. Die Miete in Höhe von rund 850 Mark wurde erst ab Anfang November 1999 gezahlt.
Glogowski hat nach dem Amtsantritt als Ministerpräsident trotz Empfehlung von ihm nahe stehenden SPD-Politikern seine zahlreichen Ämter in der Braunschweiger Region beibehalten. Die Bezüge aus dem Stadtratsmandat und den Aufsichtsratsposten bei den Braunschweiger Stadtwerken, der beiden Stadtwerke-Töchter Versorgungs- und Verkehrs AG und der Braunschweigischen Kohlenbergwerke (BKB) konnte er vollständig behalten.
Als Aufsichtsratschef der Stadtwerke wurde Glogowski auch für eine aufwändige "Edelsause" zum Abschied des bisherigen Stadtwerke-Chefs mit verantwortlich gemacht. Seine erste Reaktion auf die Kritik war, dass doch nichts dabei sei, wenn sich ein Ministerpräsident von guten Freunden etwas schenken lasse.
Weil er sein Land, seine Familie und seine Freunde schützen wolle, trat er dann, nach nur 13 Monaten, als Regierungschef im November 1999 von seinem Amt zurück. Als dann ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet wurde, um die Vorwürfe gegen den Ex-Ministerpräsidenten zu prüfen, wurde er von Anwalt Götz von Fromberg vertreten.
Nach seinen Worten vor dem Untersuchungsausschuss sind in seiner Braunschweiger Heimat in der Vergangenheit "Politik und Vereine eine positive Symbiose" eingegangen.