VW-Truck-Chef Renschler "Wir entwickeln für alle. Für MAN. Für Scania. Und für Navistar."

"Wir dürfen nicht mehr in Marken denken": Im Gespräch mit manager -magazin.de erläutert VW-Truck-Vorstand Andreas Renschler seine Sicht auf den weltweiten Lkw-Markt und die Bedeutung der Beteiligung am US-Hersteller Navistar für Volkswagen
Foto: DPAmm.de: Herr Renschler, Daimler hat gerade Martin Daum zum neuen Truckchef berufen. Sie haben den Job fast neun Jahre gemacht. Hätten Sie ihn gern zurück gehabt?
Andreas Renschler: Nein, warum fragen Sie?
mm.de: Sie wollen mit Volkswagen Truck & Bus "Global Champion" werden. Die Rückkehr zu Daimler wäre vermutlich der schnellste Weg an die Spitze gewesen.
Renschler: Das haben wir dort doch schon in meiner Zeit erreicht. Ich habe Daimler 2014 bewusst verlassen.
mm.de: Bei Daimler hatten Sie ein anderes, viel konkreteres Ziel ausgegeben: "Beat Volvo!" Die Schweden waren damals die Besten der Branche. Reichen da jetzt der Begriff "Global Champion" und ein paar Schlagworte wie Innovation, Mitarbeiterzufriedenheit und Profitabilität? Entfacht man so den Kampfgeist der Organisation?
Renschler: Mit Sicherheit, ja. Global Champion bedeutet, dass wir die Besten und nicht unbedingt die Größten sein wollen; und es bedeutet natürlich auch, dass wir der profitabelste Truckhersteller sein wollen. Das ist gesetzt, das ist sehr anspruchsvoll und noch ein gutes Stück Weg. Bedenken Sie: Wir haben bei Volkswagen erst vor einem Jahr so richtig damit begonnen, im Truckbereich gemeinsam zu arbeiten.
mm.de: Daimler hat dafür 20 Jahre gebraucht.
Renschler: Bei Daimler waren die Truckmarken Mercedes-Benz, Freightliner und Fuso lange komplett getrennt unterwegs. Erst Eckhard Cordes hat als Truckchef 2002 oder 2003 begonnen, wirklich übergreifend zu arbeiten. In meiner Zeit haben wir das mit einer Matrixorganisation weiterentwickelt. Bei uns wird das alles schneller gehen.
mm.de: Ihre Marken Scania und MAN waren sich lange spinnefeind, jetzt kommt der Sanierungsfall Navistar aus den USA dazu. An den Amerikanern sind Sie noch dazu nur beteiligt. Sie können dort nicht durchregieren. Das sind nicht gerade die idealen Bedingungen zum Aufbau eines Champions.
Renschler: Klar, das ist eine Herausforderung. Das beginnt damit, dass wir mit Scania und MAN zwei Marken haben, die beide vor allem in Europa stark sind. Scania hat über viele Jahre einen tollen Job gemacht. Denen ist über die Jahre eingebläut worden, "wir brauchen niemanden!"
mm.de: Sagen die jetzt nicht, "Renschler, was wollen Sie eigentlich? Wir sind doch die Besten!"?
Renschler: Dann sage ich: "Stimmt, heute und nur in Europa!" Allein hat Scania nicht das Potenzial, ein Global Champion zu werden und die Innovationen schnell auf den Markt zu bringen, die wir in Zukunft alle brauchen. Das wissen die Schweden auch. Bei MAN haben wir eine Marke, die zwischendurch ein tiefes Tal durchschreiten musste. Aber selbstbewusst sind die Münchener auch.
"Amerikaner sind pragmatisch. Amerikanische Trucker sind noch pragmatischer."

mm.de: Diese Unternehmen haben gemeinsame Projekte lange konsequent blockiert. Dann kommt Andreas Renschler, und zwei Jahre später haben sich alle lieb?
Renschler: Die müssen sich nicht gleich liebhaben. Aber ein Großteil der Organisation beginnt, an das Gesamte zu denken. Ein neuer Motor zum Beispiel kostet mehrere hundert Millionen Euro, und das ist nur die Entwicklung. Da macht es schon einen Unterschied, ob ich diesen Motor für eine Marke entwickle oder dreimal. Das sind die Argumente, mit denen Sie die Teams überzeugen und die aus dem MAN- und dem Scania-Engineering das Global Engineering machen.
mm.de: Jetzt arbeiten MAN und Scania also an einem gemeinsamen Antriebsstrang...
Renschler: ...und decken damit gut 60 Prozent der Kosten eines Lkws ab, nicht zu vergessen. Volkswagen hat die Synergien lange bei den Pkw-Themen gesucht: gleiche Spiegel, Bleche, Scheinwerfer, Sitzgestelle etc. Das bringt bei Trucks nur Kleingeld. Damit kommen Sie nicht allzu weit.
mm.de: Sie sind jetzt einen Schritt weitergekommen. Aber kommt bei den selbstbewussten Scania- und MAN-Ingenieuren wirklich Begeisterung auf, wenn sie nun auch noch den neuen amerikanischen Partnern bei Navistar helfen müssen?
Renschler: Wieso sagen Sie "müssen"? Die strategische Allianz bringt Vorteile für alle. Wir dürfen nicht mehr in Marken denken. Egal, wer bei einer Komponente die Führung übernommen hat; es muss heißen: "Wir entwickeln den Motor. Aber wir entwickeln ihn für alle. Für MAN. Für Scania. Und jetzt auch für Navistar."
mm.de: Volkswagen ist mit 16,6 Prozent an Navistar beteiligt. Bestimmen können Sie da gar nichts. Sie müssen die amerikanischen Entwickler zunächst einmal überzeugen, dass Ihre Motoren besser sind als die von Navistar genutzten Aggregate des US-Anbieters Cummins.
Renschler: Das ist nicht schwierig. Navistar hat in den vergangenen Jahren trotz finanzieller Probleme viel in seine Produkte investiert. Das haben sie gut gemacht. Aber für zukunftssichere Motorentechnik fehlte das Geld.
mm.de: Bei Zulieferern einzukaufen muss nicht die schlechtere Lösung sein.
Renschler: In diesem Fall schon. Ein eigener Motor wird in unserem Geschäft immer wichtiger, schon wegen des lukrativen Service- und Ersatzteilgeschäfts. Das fehlt Navistar. Die Amerikaner brauchen einen eigenen Motor, und sie wollen ihn auch. Mit Navistar sind solche Gespräche naturgemäß einfacher als anfangs mit MAN und Scania. Die kommen von sich aus und sagen: "bitteschön, gebt uns die Motoren". Ähnlich war es auch mit "Rio" ...
mm.de: ... dem Digitalisierungssystem für Ihre Trucks ...
Renschler: ... darüber haben wir morgens bei einem Besuch in der Navistar-Zentrale kurz diskutiert, und es hieß: "mal schauen". Abends kamen die Vorstände schon zurück und haben sehr klares Interesse bekundet. Amerikaner sind pragmatisch. Amerikanische Trucker sind noch pragmatischer.
"Die Ergebnisse sind nach wie vor nicht gut. Das stimmt."

mm.de: Sie haben gerade erst, nach fünf Monaten Wartezeit, die Genehmigung für die Beteiligung erhalten. Was hat jetzt oberste Priorität?
Renschler: Wir starten sofort mit unserem Einkaufs-Joint-Venture. Navistar will durch die Partnerschaft bis 2021 auf 200 Millionen Dollar Einsparung jährlich kommen, der Einkauf ist da die schnellste und einfachste Möglichkeit. Aber auch beim Antriebsstrang legen wir direkt los.
mm.de: Wenn Navistar das Ergebnis durch die Kooperation um 200 Millionen Dollar verbessern will: wie viel ist dann für Volkswagen Truck & Bus drin?
Renschler: Das kann ich noch nicht sagen. Belassen wir es zunächst dabei, dass die Kooperation von MAN und Scania bis 2025 bis zu eine Milliarde Euro pro Jahr an Synergien bringen wird.
mm.de: Herr Renschler, Sie sitzen künftig gemeinsam mit Ihrem Finanzchef Matthias Gründler im Board of Directors von Navistar. Eigentlich müssten Sie auch jemanden ins Management entsenden. Navistar ist ein Sanierungsfall.
Renschler: Die Sanierung ist fast abgeschlossen. Vorstandschef Troy Clarke hat massiv gespart. Navistar hat die niedrigsten Overhead-Kosten der gesamten Branche.
mm.de: Geld verdient das Unternehmen trotzdem nicht.
Renschler: Die Ergebnisse sind nach wie vor nicht gut. Das stimmt. Aber immerhin weist Navistar ein positives Ebitda aus.
mm.de: Das Vorsteuerergebnis bleibt rot.
Renschler: Navistar hatte 2010 vor einer Verschärfung der Abgasrichtlinien auf die falsche Technik gesetzt. Jetzt müssen sie Zehntausende betroffene Trucks zurückkaufen. Diese Rückkäufe belasten das Ergebnis.
mm.de: Navistars Dieselgate, sozusagen; nur weniger skandalträchtig,...
Renschler: ...vielleicht; aber auf jeden Fall eine unternehmensgefährdende Fehlentscheidung - damals.
mm.de: Navistar-CEO Troy Clarke führt das Unternehmen seit vier Jahren. Die Sanierung hat er noch nicht geschafft. Werden Sie als Großaktionär an ihm festhalten?
Renschler: Ganz sicher, Troy Clarke hat gute Arbeit für Navistar geleistet. Er ist als Feuerwehrmann geholt worden. Den Brand haben andere gelegt. Die Senkung der Kosten hat schon eine Menge gebracht. 2012 hat Navistar fast drei Milliarden Dollar Verlust geschrieben. Eine so angeschlagene Gesellschaft können Sie nicht in kurzer Zeit drehen.
"Unsere Priorität liegt ganz klar in Asien"
mm.de: Im vergangenen Jahr hat Navistar 20 Prozent Umsatz verloren. Das ist nicht gerade ein Beleg für einen Umschwung.
Renschler: Der US-Markt war letztes Jahr für alle schwer. In der Truckbranche sind Sie viel stärker vom Markt abhängig als im Pkw-Geschäft. Und sowohl in Nord- als auch in Südamerika ist die Nachfrage 2016 teils deutlich gesunken. Aber es geht langsam wieder aufwärts. Die Navistar-Kunden haben auch die Volkswagen-Beteiligung registriert und sehen, dass damit bald wieder bessere Technik verfügbar sein wird. Dieses Vertrauen werden wir nach und nach untermauern.
mm.de: Bedeutet das, zusammengefasst, dass Sie komplett auf Management-Unterstützung aus Deutschland und Schweden verzichten?
Renschler: Nein, das Thema wird irgendwann anstehen. Wenn passende Positionen frei werden, werden Matthias Gründler und ich das im Board adressieren. Wir werden dann schauen, ob wir jemanden für die Aufgabe haben. Aber da stehen wir nicht unter Zeitdruck. Wir trauen dem aktuellen Management einiges zu.
mm.de: Navistar mag ein weiterer kleiner Schritt auf dem Weg zu einem globalen Truckkonzern sein. Aber ursprünglich wollten Sie einmal Truckhersteller komplett übernehmen, in den USA und in Asien. Das ist angesichts der Milliardenstrafen für den Konzern nicht mehr möglich. Wann können Sie wirklich Global Champion werden, die Nummer eins der Lkw-Welt?
Renschler: Wir müssen uns den Bedingungen anpassen: wenn ein Weg versperrt ist, muss man eben einen anderen, smarten Weg finden. Auch für unser Ziel haben wir uns kein bestimmtes Datum vorgenommen. Wir wollen es im nächsten Jahrzehnt schaffen; und natürlich lieber früher als später.
mm.de: Und wo stehen Sie mit Volkswagen Truck & Bus im Branchenvergleich?
Renschler: Machen wir es uns einfach und nehmen nur die Profitabilität. Ganz vorne steht wahrscheinlich Paccar; und wir stehen aktuell wohl auf Platz drei oder vier.
mm.de: Im ersten Halbjahr lagen Sie bei einer operativen Umsatzrendite von etwa 7 Prozent.
Renschler: Damit sind wir auf einem guten Weg. Mittelfristig wollen wir eine operative Rendite von durchschnittlich 9 Prozent erreichen.
mm.de: Sie müssen sich vor allem international verbessern. Wie wollen Sie das finanzieren? Ein Börsengang scheint aufgrund der dann drohenden Abschreibungen nicht wirklich attraktiv. Und wenn er es wäre, bräuchte der Konzern das Geld wahrscheinlich dringender als die Truck & Bus GmbH.
Renschler: Man muss nicht immer ganze Unternehmen kaufen, das haben wir mit Navistar gezeigt. Und es gibt auch andere Finanzierungsmöglichkeiten als den Verkauf von Aktien. Wir müssen das globale Geschäft intelligent ausbauen. In Brasilien bauen wir Trucks, die hervorragend für den Export geeignet sind. Wir verkaufen diese Lkws zum Beispiel nach Südafrika, Nigeria und Mexiko. Und es gibt viele weitere Möglichkeiten.
mm.de: Das allein reicht nicht, um den Konzern wirklich zu globalisieren.
Renschler: Richtig, unsere Priorität liegt auch ganz klar in Asien. Das ist mit Abstand der größte Markt, und ausländische Truckbauer spielen dort bislang keine wirkliche Rolle.
mm.de: Sie haben dort bereits einen Partner. MAN hält 25,1 Prozent an dem chinesischen Lkw-Hersteller Sinotruk.
Renschler: Diese Partnerschaft existiert bereits seit einer gefühlten Ewigkeit, mit wenig Auf und viel Ab. Da überlegen wir natürlich, wie wir uns in China besser aufstellen können. Zum Beispiel könnten wir eine erweiterte Partnerschaft auch untermauern, indem wir einige Leute ins Management entsenden.
mm.de: Im Volkswagen-Konzern gibt es weitere Joint Venture in China. Wäre ein zweites Gemeinschaftsunternehmen dort eine Option?
Renschler: Auch das wäre ein Modell.
mm.de: Vielleicht mit FAW? Das Unternehmen ist mit Volkswagen verbandelt, vor allem mit Audi.
Renschler: Die sind stark im Truckgeschäft, keine Frage.