
Mille Miglia Faszination Oldtimer
Brescia/Rom: Das ist die klassische Strecke der Mille Miglia, der tausend Meilen quer durch Italien. Seit der Wiederaufnahme des Rennens 1977 (die klassischen Vollgasveranstaltungen auf normalen Straßen wurden zwischen 1927 und 1957 gestartet) ist es eine Gleichmäßigkeits- und Orientierungsfahrt für Oldtimer. Doch im autoverliebten Italien, wo die Schulkinder in den Dörfern entlang der Strecke vom Unterricht befreit sind, sobald der Edelmetall-Konvoi naht, und Nonnen, Gemüsehändler, Hausfrauen und Polizisten die Straßenränder säumen, fühlen sich die Oldie-Lenker offenbar zu forscher Fahrweise animiert. Schon am Stadtrand von Brescia ignorieren die Piloten Ampeln, und es zählt nur noch die Stoppuhr, nicht mehr der Tacho.
Wer hier antritt, hat ein großes Vorbild: Stirling Moss. Der legte die Strecke 1955 in einer Fabelzeit von zehn Stunden, sieben Minuten und 48 Sekunden zurück und stellte damit einen Rekord für die Ewigkeit auf. Moss' Durchschnittstempo von 157,62 Stundenkilometern hat bis zum offiziellen Ende des Rennens 1957 niemand mehr erreicht.
Obwohl die Autos, ausnahmslos aus Baujahren bis 1957 stammen und viele Modelle extrem selten und wertvoll sind, werden sie nicht geschont. "Hier fährt man meistens Vollgas", sagte zum Beispiel Michael Plag, der für Mercedes als Mechaniker mit von der Partie war. Dabei gibt es gewaltige Unterschiede. Einerseits die filigranen und zierlichen Vorkriegswagen wie der Bugatti Type 37, der Fiat 509 oder der La Salle 303, andererseits die schon muskulöseren Nachkriegsrennwagen wie der Mercedes 300 SL, der Porsche 356 oder der Maserati 150S. Dazwischen elegante Sportwagen wie ein Ferrari 250 GT, ein Lancia Aurelia oder ein Ford Thunderbird oder Prunkautos wie der Mercedes 710 SS. Und dann gibt es die Typen, denen man eigentlich kein Rennen zugetraut hätte - VW Käfer, Mercedes 180 D, Citroën 2CV, DKW Monza oder Citroën DS.
Ringsherum tummelte sich dann alles andere, was die Autoindustrie in den letzten 75 Jahren zu bieten hatte. Denn viele Sportwagen und Oldtimer irgendwo zwischen London, Stockholm und Brindisi klinkten sich am vergangenen Wochenende in den Trubel um die Mille Miglia ein. So wurde selbst der Tross neben dem Rennen eine Schau. Wo sonst sieht man ein halbes Dutzend Mercedes SLR Stirling Moss auf einem Fleck, ebenso viele TVR oder De Tomaso und mehr als 200 Ferrari-Modelle, die zum Teil sogar aus China, Südafrika, Russland oder Australien eingeflogen wurden, nur um der Mille Miglia vorauszufahren.
Treffen der Formel-1-Veteranen
Besonders große Aufmerksamkeit galt in diesem Jahr einem vergleichsweise zierlichen Sportwagen aus München: dem BMW 328. Das Auto gewann mit der windschnittigen Aluhaut der Carozzeria Touring einst die Wettfahrt und feiert zugleich in diesem Jahr 75. Geburtstag. "Die Mille Miglia ist das Rennen, das den Ruf des BMW 328 bis heute bestimmt", sagte BMW Classic-Chef Karl Baumer. "Deshalb sind wir mit einem Dutzend 328er-Modellen nach Italien gekommen." Mit von der Partie war auch der Siegerwagen von 1940.
Während die Fans um die glänzenden Autos flanierten, stieg bei den Fahrern das Rennfieber. Viele blätterten im Roadbook, rechneten und puzzelten in Vorbereitung auf die Sonderprüfungen, machten sich Notizen oder programmierten die nachgerüsteten Bordcomputer. Dann kam der Moment, in dem die Motoren angelassen wurden und sich der Konvoi in Richtung Altstadt in Bewegung setzte. Die Rennkommissare pappten den offiziellen Aufkleber hinter die Scheibe - und es ging über eine kleine Rampe zum Nacht-Prolog nach Bologna. Für viele begann damit ein Traum - für den sie immerhin rund 6000 Euro Teilnahmegebühr gezahlt hatten.
Nicht alle im Fahrerlager waren nervös und angespannt. Viel ruhiger sind die PS-Profis, die am Ende ihrer aktiven Laufbahn von diversen Herstellern immer wieder für derartige Oldie-Events engagiert werden. Formel-1-Veteran Mika Häkkinen ist ebenso Stammgast wie Jochen Maas, Klaus Ludwig oder Bernd Schneider. In diesem Jahr war zudem ein Fahrer anwesend, dessen Name noch heute nicht nur in seinem Heimatland Ehrfurcht gebietet: Juan Manuel Fangio. Nein, nicht der argentinische Vollgas-Heroe, der in diesem Jahr 100. Geburtstag feiern würde. Sondern der Neffe des fünfmaligen Formel-1-Weltmeisters, der ebenfalls Rennfahrer ist. Bei der Mille Miglia pilotierte er, gemeinsam mit Mika Häkkinen, einen Mercedes 300 SLR. Fangio sagte: "Ein schöneres und wichtigeres Rennen gibt es für mich nicht."