
Automesse Shanghai: Neuheiten, Kopien und Kuriositäten
Motorshow Shanghai Groß in Fahrt
Shanghai - Nur selten liegen Fluch und Segen so dicht beieinander: Während in dem knappen Dutzend Hallen der Motorshow in Shanghai die internationalen Autobosse das Hohelied der Massenmobilität singen und Manager wie VW-Chef Martin Winterkorn China als neues Gravitationszentrum der Autowelt feiern, kann man draußen vor den Hallen sehen, wohin mehr als elf Millionen Neuzulassungen im Jahr führen - zu verpesteter Luft, endlosen Staus und bisweilen absoluten Stillstand.
Doch Shanghai ist nicht China. Hier ist die Mittelschicht so schnell gewachsen, dass man die Zulassung für sein Auto genau wie in Peking mittlerweile nur noch im Losverfahren bekommt. Doch in den noch jungen Metropolen und erst recht auf dem Land gibt es Millionen Menschen, die ihre ersten Erfahrungen mit der individuellen Mobilität auf vier Rädern noch machen wollen. Das führt zu einer Dynamik, die ihres Gleichen sucht: Schon jetzt liegt China mit der größten Autonation Amerika gleichauf und in manchen Statistiken sogar vorn, und für die Zukunft versprechen die Analysten noch für viele Jahre zweistellige Wachstumsraten.
Darauf spekulieren vor allem die deutschen Hersteller, die in China unter den Ausländern den Ton angeben. Nicht umsonst verbeugt sich VW-Chef Winterkorn gen Osten und betont, dass 20 Prozent aller Investitionen im chinesischen Automobilsektor an seinem Konzern hängen und er bis 2015 weitere zehn Milliarden Euro im Reich der Mitte investieren will. Und Daimlerchef Dieter Zetsche lobt brav: "Es gibt derzeit keinen schöneren Platz auf der Welt, um neue Autos zu präsentieren."
Deutsche zeigen Premieren in China
Das meint die versammelte Auto-Elite aus Deutschland wörtlich und enthüllt die Premieren bei einem gewaltigen Spektakel beinahe im Minutentakt: Mercedes gibt sich und der nächsten A-Klasse mit dem Concept A einen besonders jugendlichen Anstrich und modernisiert dafür sogar nach mehr als 40 Jahren den alten Janis-Joplin-Song "Oh Lord". Ihn haben die jungen Lifestyle-Musiker Estelle, David Banner und Daley eigens für Shanghai neu interpretiert. VW schreibt nach Winterkorns Worten mit dem neuen Beetle "das nächste Kapitel einer weltweiten Erfolgsgeschichte", und Audi zeigt in China zum ersten Mal den neuen Q3, der bei uns im Sommer in den Handel kommt.
Aber es sind nicht nur vergleichsweise junge, kleine und bezahlbare Autos, die die Deutschen den Chinesen schmackhaft machen wollen. Weil in China mittlerweile mehr Luxuslimousinen verkauft werden als irgendwo sonst auf der Welt und trotz eines Tempolimits von 120 km/h die Lust an der Leistung fröhliche Urständ feiert, ist auch die Vollgas- und All-Inclusive-Fraktion aus Deutschland breit vertreten: BMW zeigt hier zum ersten mal den seriennahen Nachfolger des M5, Mini einen von Rolls-Royce veredelten Kleinwagen für fast 47.000 Euro und Porsche die neue Topversion des Panamera: Mit 550 PS rennt der große Schwabe 306 km/h und wird so zur schnellsten Luxuslimousine eines Serienherstellers.
Aber nicht nur die große Anzahl der Präsentationen macht es einem schwer, die Übersicht zu behalten. Es ist vor allem der übermäßig laute und schrille Auftritt der Aussteller, der einem jede Konzentration raubt. Wo man in der alten Welt höflich Rücksicht auf den Standnachbarn nimmt und bei den Reden der anderen die eigene Musik etwas leiser stellt, versuchen sich die über 100 Fahrzeughersteller von Shanghai gegenseitig niederzubrüllen. So entsteht eine automobile Kakophonie, die selbst den Frankfurter Hauptbahnhof zur Rushhour als Oase der Ruhe erscheinen lässt.
Dazu gibt es mehr oder minder spektakuläre Shows zwischen Folkolore und Futurismus, hilflose Hostessen, die zwar charmant lächeln aber eigentlich nur Chinesisch sprechen. Und selbst die spärlich bekleideten Modells, die bei den US-Messen gar nicht mehr und in Europa eigentlich nur noch auf den Ständen des Fiat-Konzerns das schmückende Beiwerk bilden, sind hier wieder zu Hunderten im Einsatz - viele von ihnen werden wegen ihrer exotischen Gesichtszüge eigens aus (Ost)-Europa eingeflogen.
Zwischen den Kopien sind chinesische Autos mit eigenem Charakter zu sehen
So exotisch wie für den Chinesen die Models aus Russland oder dem Baltikum sind für die Langnasen noch immer viele Autos aus dem Reich der Mitte: Nach wie vor wirkt die Messe in China an vielen Ecken wie ein Copy-Shop, in dem man auf Schritt und Tritt sein Deja-Vu-Erlebnis hat: Bei Hawtai steht ein Geländewagen, der im Profil exakt dem ersten Porsche Cayenne gleicht, bei BAIC sieht man die chinesische Ausgabe der Mercedes B-Klasse und eine überraschend moderne Interpretation des Jeep Wrangler, Brilliance hat den VW Up geklont, bei Geely sieht man die Silhouette des Nissan 370Z und bei Great Wall hat man sich bereits des nagelneuen VW Amarok angenommen. Oft sind es sogar die eigenen Joint-Venture-Partner, zu deren Lasten die Plagiate gehen. "Aber was soll man machen", sagt ein deutscher Unternehmenssprecher: "Das steht zwar so nicht in den Kooperationsverträgen, aber so richtig auf den Tisch hauen können wir da halt nicht."
Aber zwischen all die dreisten Kopien und kuriosen Studien mischen sich in Shanghai immer mehr chinesische Autos, die einen eigenen Charakter haben. Natürlich müssen sich Westler an Gesichter wie die des Geely GX6 oder des Kleinstwagens Eljo2 erst noch gewöhnen, und auch das Sportcoupé FAW "GO", die Neuinterpretation des London Taxis als chinesische Familienkutsche beim Lizenzinhaber Geely oder die sportliche Kleinwagenstudie MG "S" würden bei uns wohl keinen Schönheitspreis gewinnen. Und von einem Shinkansen-Zug für die Straße, wie es uns der Flügeltüren-Bulli Voss von Changan vorgaukeln möchte, träumen in Europa nicht einmal Science-Fiction-Autoren. Doch - und das müssen auch wir Europäer anerkennen - auch andere Geschmäcker auf dieser Welt haben ihre Berechtigung.
Einfallsreichtum beweisen die Chinesischen Entwickler auch bei den Antriebstechnologien. Hybrid-Modelle sind auf der Messe so häufig als seien sie schon Standard, Elektroantriebe und Plug-In-Fahrzeuge stehen an jeder Ecke, und auch die Brennstoffzelle wirkt hier fast schon so, als wäre sie längst serienreif : "Die Chinesen wissen genau, dass sie mit dem Verbrennungsmotor keinen Blumentopf mehr gewinnen können", sagt Audi-Entwicklungsvorstand Michael Dick. "Deshalb stürzen sie sich mit vollem Elan auf die alternativen Antriebe. Da müssen wir gut aufpassen, dass wir die Nase vorn behalten."
Elektroroller von VW
Deshalb zeigt Dick die in Genf noch als 408 PS starker Benziner enthüllte Studie einer neuen A3 Limousine in Shanghai als eTron mit Plug-In-Hybrid, einem 27 PS starken Elektromotor als Unterstützung für den 211 PS-Benziner und einer elektrischen Reichweite von 54 Kilometern. Eine Halle weiter steht bei BMW ein ganz ähnlich gestrickter Fünfer, der gemeinsam mit dem Kooperationspartner Brilliance entwickelt wurde. Er hat gut 100 elektrische PS, kann 120 km/h fahren und kommt allein mit Strom 50 Kilometer weit - und vor allem soll er in Serie gehen, sagt Projektleiter Peter Ratz, allerdings mit einer Einschränkung, die die Bayern gleich an die Stellwand hinter dem Auto gepappt haben: "Aus China, für China". Der Export nach Europa ist fürs Erste nicht vorgesehen.
Das gilt auch für eine buchstäblich kleine Überraschung auf dem VW-Stand. Zwischen Beetle, Passat CC und Chinamodellen wie dem Magotan oder dem Sagitar steht dort ganz unauffällig ein kleines Zweirad, das verdächtig an die Elektro-Roller von Smart und Mini vom Pariser Salon 2010 erinnert. Allerdings gibt es hier einen kleinen aber feinen Unterschied: "Wir werden den E-Scooter zumindest für China in Serie bringen", sagt ein VW-Sprecher über den 1,67 Meter kurzen Zweisitzer, der nicht einmal ein PS hat aber 50 Kilometer weit durch die Stadt stromert.
Zwar freut sich die Autowelt am kaum gebremsten Wachstum im asiatischen Riesenreich. Doch zumindest die Regierung hat bereits die Notbremse gezogen und den Boom in vernünftige Bahnen gelenkt: "China will die grünste Autonation der Welt werden", sagt VW-Chef Winterkorn. Deshalb schraubt Peking Investitionen und Subventionen und mit ihnen den Anteil an Elektro- und Hybridfahrzeugen beständig in die Höhe.
Deshalb wirken die Öko-Autos aus dem Ausland fast verloren zwischen all den grünen Modellen auf den Ständen der Chinesen. Denn es gibt fast keinen lokalen Hersteller, der nicht mindestens ein, besser zwei oder drei Autos an irgendeine Ladesäule gerückt hat. Zwar ist die Dokumentation zu den Fahrzeugen noch immer so laienhaft. Doch anders als bei den vorangegangenen Messen sind bei diesen Fahrzeugen offenbar nicht nur die Aufkleber grün. Denn zumindest kann man jetzt vielfach schon mal unter die Hauben schauen und Kabel und Kästen sehen, die vielleicht sogar Batteriezellen enthalten könnten.
Am Ende eines Messetages in Shanghai klingen einem die Ohren, es schwirrt einem der Kopf und die Orientierung auf dem riesigen Markt fällt einem nicht eben leichter. Doch Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: 13 Hallen sind schon voll und die vier nächsten bereits im Bau.