Rolls-Royce Phantom Coupé Feudale Fahrfreude
Montagmorgen ist vor dem Bahnhof von Weimar nicht viel los. Doch selbst bei dichtem Getümmel wäre es kein Problem, diesen Testwagen zu entdecken. Auf dem Vorplatz parkt nicht irgendein Auto, sondern für eine Tour durch den Harz hat sich quasi ein Phantom materialisiert: Sonst nur eine schemenhafte Randerscheinung in der Kraftfahrzeug-Zulassungsstatistik, steht hier die Coupé-Version der aktuell einzigen Rolls-Royce-Baureihe: 5,61 Meter lang, mehr als 2,6 Tonnen schwer, so teuer wie ein Eigenheim und beinahe mannshoch. Ein Monolith des Luxuslebens auf Rädern.
Wer hier einsteigt, steht automatisch im Rampenlicht. Passanten bleiben irritiert stehen, und gucken zweimal hin, ob da nicht doch irgendein Prominenter aus dem Auto oder in das Auto steigt. Fehlanzeige. Stattdessen entern offenbar ganz normale Bürger den luxuriösen Wagen; und die scheinen sich nur für das Auto zu interessieren - und gar nicht für die Furore, die es schon im Stillstand macht.
Doch Schluss mit der immobilen Schwärmerei. Der Rolls-Royce kostet zwar so viel wie ein Eigenheim, ist aber das genaue Gegenteil: Er verlangt nach Bewegung, Mobilität, Geschwindigkeit. Immerhin sitzt unter der Motorhaube, die Rolls-Royce für 9000 Euro Aufpreis - "netto natürlich" - auch in blank poliertem Edelstahl ausliefert, ein feudaler Zwölfzylindermotor mit 6,75 Litern Hubraum, der ohne einen Hauch von Anstrengung 460 PS und 720 Nm mobilisiert.
Mit dem Brummer auf den Brocken
Mit einem sanften Druck auf den porzellanweißen Startknopf erweckt man das Kraftwerk zum Leben. Es kann losgehen. Erst einmal Richtung Brocken: der Name der höchsten Harzerhebung passt gut zum imposanten Auto, und zudem umgibt ja auch den Berg etwas ähnlich mysthisch-geheimnisvolles wie den Rolls-Royce. Außerdem sind die Kurven hier phantastisch.
Natürlich ist das Coupé, auf das etwa ein Viertel der Jahresproduktion von insgesamt 1200 Fahrzeugen in Goodwood entfällt, kein Sportwagen, sondern ein Luxusdampfer, der eine breite Fahrrinne und einen eher geraden Kurs bevorzugt. Andererseits versichert der Hersteller, das Coupé sei die agilste Variante im Angebot. Fahrwerk und Lenkung seien neu abgestimmt, das Automatikgetriebe knackiger programmiert und der sonst filigrane Lenkradkranz ist hier ein wenig dicker gepolstert.
Also pfeilt die Wuchtbrumme nun durch die mitteldeutsche Provinz, bügelt knöcheltiefe Schlaglöcher so glatt als wären sie nur die Schatten einer düsteren Vergangenheit, und erklimmt tapfer Serpentinen, während man auf dem Fahrersitz damit ausgelastet ist, den Rechtslenker auf einem passablen Kurs zu halten. Doch wenn Leistung im Überfluss vorhanden ist und statt eines Drehzahlmessers eine Anzeige die Kraftreserven des Motors veranschaulicht, ist Emotion keine Frage der Eile.
Ein Radstand, länger als mancher Kleinwagen
Für die Statistiker: Das Phantom Coupé schafft es in 5,6 Sekunden auf Tempo 100 und wird bei 250 km/h abgeregelt. In der Praxis wird das ebenso nebensächlich wie der Normverbrauch von 15,7 Litern. Hier geht es um das Fahrgefühl nach Art eines fliegenden Teppichs.
Leider ist von dem sonst bestimmt eindrucksvollen Panorama vor der riesigen Frontscheibe heute wenig zu sehen. Die Picknickbank, die in der Klappe zum lediglich 395 Liter fassenden Kofferraum integriert ist, bleibt deshalb geschlossen. Stattdessen zieht man beim Zwischenstopp lieber die Regenschirme aus ihren Höhlen in den Türen. Wie praktisch die Entwickler von Luxusautos denken!
Bei einem Radstand, der mit 3,32 Metern länger ist als mancher Kleinwagen insgesamt, bleibt innen viel Raum für Gemütlichkeit. Während der Blick über edle Hölzer streift, die Schuhe im weichen Teppich versinken, die Hände über samtiges Leder streichen, die Klimaanlage durch Ausströmer, die an frisch polierte Blasinstrumente erinnern, einen warmen Hauch fächelt, fühlt man sich bestens geborgen. Das liegt auch am Klang der Türen, die mit der Entschlossenheit einer Tresorklappe ins Schloss fallen und jedes Geräusch aussperren.
Schick sind auch die in den Dachhimmel individuell eingearbeiteten 1600 LED-Lämpchen, die einen Sternenhimmel über den Insassen funkeln lassen. Dieses Auto ist übrigens das erste Coupé, in dem derlei Aufwand tatsächlich von vier Erwachsenen würdevoll genossen werden kann. Denn das Lounge-Sofa im Fond des Wagen bietet weitaus mehr Platz als zahlreiche Mittelklasse-Limousinen in der ersten Reihe.
Doch leider gibt der Phantom diesmal nur ein kurzes Gastspiel in der Realität: 300 Kilometer quer durch den Harz, dann löst sich das Traumbild wieder auf. War da was? Kaum hat man sich weggedreht, entschwindet das Auto mit dem poetischen Namen schon im Nebel eines Frühlingsregens - zurück bleibt nur die Erinnerung an das leise Singen des Zwölfzylinders.
Fotostrecke: Unterwegs im Rolls-Royce Phantom Coupé