Lamborghini Durch Wüsten und Eis
Sant'Agata - Georgio Sanna sitzt täglich hinter dem Steuer von Sportwagen, die andere Menschen höchstens einmal auf einer Autoshow zu Gesicht bekommen - und das schon seit sieben Jahren. Denn der smarte Italiener mit dem Drei-Tage-Bart einer von zwei Profi-Piloten bei der Audi-Tochter Lamborghini.
Was man für diesen Job braucht? "Man muss einfach verdammt gut Autofahren können", sagt Sanna, der seine Qualifikation zuvor als Rennfahrer eines italienischen Werksteams von Audi nachgewiesen hat. Weil kaum einer schneller mit dem RS4 unterwegs war und Sanna sich zudem professionell und präzise mit den Ingenieuren unterhalten konnte, wechselte er schon im Alter von 25 Jahren das Steuer und heuerte bei Lamborghini an.
Jetzt sitzt er mehr als hundert Tage im Jahr in einem Gallardo oder Murciélago und bringt den störrischen Stieren aus Sant'Agata Manieren bei: Auf Rennstrecken, bei Belastungstests im skandinavischen Eis oder in der kalifornischen Wüste prüft er Fahrwerk und Antrieb der Spitzensportler.
Unterwegs mit der schwarzen Flunder
Oft ist er bei diesen Abstimmungsfahrten mit einem Prototypen, einem so genannten Erlkönig unterwegs. "Mehr als 100.000 Kilometer im Jahr", schätzt Sanna, kämen auf diese Weise zusammen. An den Wochenenden gibt der Testfahrer weiter Gas: Dann gurtet er sich in den Schalensitz seines Rennwagens und dreht privat schnelle Runden. "Nimmt man alles zusammen, fahre ich sicher 200.000 Kilometer im Jahr."
Obwohl Lamborghini nur zwei Modellreihen im Programm hat, ist Sannas Kalender gut gefüllt. Schließlich wollen auch Kleinserien, wie der eben erst vorgestellte Reventón, ausgiebig getestet sein , bevor sie zum Kunden kommen. "Zwar ist die Technik des Autos nahezu identisch mit dem Murciélago. Doch das neue Design hat die Aerodynamik verändert", erläutert Sanna.
"Also musste das Auto in den Windkanal. Und danach haben wir in der Praxis getestet, ob die Theorie auch stimmt." Vier Wochen war das Testteam mit der schwarzen Flunder unterwegs. Wie viele Kilometer er dabei abgespult hat? "Das weiß ich nicht mehr genau", sagt Sanna. "Doch wenn man den ganzen Tag mit 300 Sachen im Kreis fährt, kommt Einiges zusammen."
Traumjob für Vollgasfanatiker
Traumjob für Vollgasfanatiker
Sanna ist außerdem Cheftrainer für Manager und Vertriebsleute bei Lamborghini. Schließlich sollen auch sie ordentlich mit den eigenen Produkten umgehen können. Außerdem fungiert Sanna bei Fahrkursen für Kunden, der so genannten Lamborghini Academy, als Instruktor am Steuer oder auf dem Beifahrersitz.
Die Antwort auf die Frage, was seine Arbeit bei Lamborghini von der anderer Testfahrer unterscheide, fällt Sanna leicht: die Größe des Teams. "Wir haben in der gesamten Entwicklung nur 180 Mitarbeiter. So viele haben andere Firmen allein als Fahrer", sagt er. Während es bei Volkswagen Spezialisten für Handling, Performance oder Reifen gebe, seien es bei Lamborghini nur zwei Fahrer, bei denen alle Fäden zusammenlaufen.
Sie kennen nicht nur jede Rille und jeden Buckel auf den Straßen um Sant'Agata, sondern sie beherrschen auch die Autos aus dem Effeff. Und anders als bei großen Unternehmen "haben wir einen direkten Draht in die Entwicklung", glaubt Sanna.
Stundenlange Bremsversuche
Klingt nach einem Traumjob für Vollgas-Fanatiker. "Und die Bezahlung ist auch nicht schlecht", sagt Sanna. Doch nicht nur, weil er die Hälfte des Jahres aus dem Koffer lebt und nur selten zu Hause bei der Familie ist, hat die Faszination Grenzen. "Es ist eine Ehre und eine Auszeichnung, hier zu arbeiten", sagt er artig, "doch es ist und bleibt eine Arbeit."
Und die ist nicht immer so vergnüglich, wie es den Anschein hat. Über Rennstrecken zu rasen oder im Tiefflug über die linke Spur zu jagen, das ist nur die eine Seite der Medaille. Viele Dutzend identische Fahrmanöver für die ESP-Abstimmung oder stundenlange Bremsversuche auf Prüfständen und Passstraßen bedeuten Eintönigkeit und Routine - auch in einem Lamborghini.
Außerdem fährt Sanna stets mit hohem Risiko. "Die Autos werden später oft im Grenzbereich bewegt. Also müssen wir immer wieder über diesen Grenzbereich hinausgehen, um sie bis dahin sauber und sicher abzustimmen", sagt der Testfahrer und wirkt dabei alles andere als draufgängerisch. Diese Extremsituationen sind vielleicht die Momente, in denen sich Sanna manchmal nach einem Schreibtisch sehnt.
Fotostrecke: 343 km/h mit dem Lamborghini Reventón