Autositz Mercedes und die Komfortprognose

Sportlich soll der neue Wagen sein, elegant und schnell. Doch Vorsicht, so mancher Modetrend ist der Gesundheit nicht zuträglich. Wenn zum Beispiel die Federwege verkürzt werden und an den Stoßdämpfern gespart wird, kann das dem Rücken schaden. Abhilfe verspricht dann der richtige Autositz. Worauf man beim Kauf achten sollte.

Selsingen/München - Manche Modetrends der Autobranche erscheinen auf den ersten Blick paradox. Da trimmen die Hersteller ihre Autos auf sportlich, indem sie ihnen tiefer gelegte Fahrwerke mit kürzeren Federwegen und strafferen Dämpfern verpassen.

Dabei klagen immer mehr Menschen über Rückenprobleme: Nach Angaben der Aktion Gesunder Rücken (AGR) sind Rückenschmerzen längst der häufigste Grund für einen Arztbesuch. Ein bretthartes Sportfahrwerk, bei dem jede kleine Fahrbahnunebenheit ins Kreuz durchschlägt, ist daher für den Rücken nicht unbedingt von Vorteil, warnen Mediziner.

Laut AGR-Sprecher Detlef Detjen in Selsingen (Niedersachsen) ist die Fahrwerksabstimmung für Rückenprobleme ein "ergänzender Faktor" zum Sitz, der aus orthopädischer Sicht bei vielen Autos auch nicht gerade ideal ist: "Wenn Sie ein sehr sportliches Fahrwerk haben, das viele Stöße an den Fahrer weitergibt, ist das sicherlich nicht förderlich", sagt Detjen. Die Erschütterungen, die beim Fahren auf die Wirbelsäule ausgeübt werden, sollten so gering wie möglich sein - "gerade bei Leuten, die ohnehin einen angeknacksten Rücken haben."

Rückenschmerzen könnten sonst schneller auftreten, erklärt Christian Schneider, leitender Arzt der Privat-Ambulanz am Orthozentrum München: "Ein schlechter Fahrersitz und ein straff gefedertes Fahrwerk führen zur direkteren Übertragung von äußeren Stoßbelastungen auf die Wirbelsäule und damit auf die Bandscheiben."

Dabei ist der Rücken beim Autofahren ohnehin schon stark belastet. Langes Sitzen führt laut Schneider zu Verspannungen der Muskulatur. Durch die gleichförmige Haltung werde der die Bandscheibe ernährende Wechsel aus Be- und Entlastung gestört.

Dadurch entstehe in der Bandscheibe ein Ernährungs- und Wassermangel. Bei zusätzlichen Stoßbelastungen etwa durch ein straffes Fahrwerk könne dieser Zustand schneller erreicht werden. "Muskuläre Verspannungen und Blockierungen der Wirbelgelenke können als Ausgleichsversuch eher auftreten. Dies alles führt schneller zum Rückenschmerz", sagt Schneider.

Wider den Karosserieschwingungen

Wider den Karosserieschwingungen

Nach Angaben von Audi-Sprecher Josef Schloßmacher versuchen die Entwickler, diese gesundheitlichen Aspekte bereits bei der Konstruktion eines Autos zu berücksichtigen.

"Eine sportliche Fahrwerksabstimmung bedeutet nicht automatisch eine größere Belastung für die Insassen. Im Gegenteil: Ein sportliches Fahrzeug weist unter anderem eine stärkere Aufbaudämpfung auf." Dadurch schwinge etwa die Karosserie beim Überfahren von Bodenunebenheiten weniger stark nach.

Diese Schwingungen sind im Prinzip Nick- und Wankbewegungen, die über das Fahrwerk, die Karosserie und den Sitz an die Insassen übertragen werden, erläutert Vasilios Orizaris, bei Mercedes für "Konzeptentwicklung Komfortsysteme und Sitzergonomie" zuständig.

Den Kompromiss zwischen einem sportlichen Fahrwerk und genügend Insassenkomfort können die Entwickler laut Audi-Sprecher Schloßmacher zum Beispiel dadurch realisieren, dass sie möglichst wenig dieser Schwingungen in die Karosserie gelangen lassen. Audi habe dafür Grenzwerte festgelegt, die auf dem Prüfstand und auf unterschiedlich beschaffenen Teststrecken kontrolliert werden.

Nach Ansicht von Hubert Paulus, Experte am ADAC-Technikzentrum in Landsberg (Bayern), dürfte eine straffe Federung für den Rücken zumindest dann kein Problem sein, "wenn der Sitz vernünftig gestaltet ist." Das ist nach Auffassung der AGR jedoch meistens nicht der Fall: "95 Prozent aller Sitze sind nicht so konstruiert, dass sie den Menschen wirklich unterstützen", sagt AGR-Sprecher Detjen.

Ideal wäre laut AGR ein Sitz, der sich individuell dem Körper des Fahrers in seiner jeweiligen Sitzposition anpassen lässt. Er sollte über eine feste Grundstruktur, eine wirbelsäulengerechte Ausformung der Schaumteile und eine ausreichend hohe Rückenlehne verfügen. Dazu empfiehlt die AGR Seitenführungen am Sitzkissen, um dem Fahrer in Kurven besseren Seitenhalt zu geben. Um die Lendenwirbelsäule abzustützen, sei zudem eine so genannte Lordosenstütze sinnvoll.

Ein Massagesitz im Auto

Ein Massagesitz im Auto

Um die Verbreitung rückengerechter Autositze zu fördern, vergibt die AGR ein Gütesiegel für vorbildliche Sitzentwicklungen. Unter anderem wurden bereits Audi für den A4-Sportsitz und Mercedes für den Multikontursitz der S-Klasse ausgezeichnet. Beide Hersteller arbeiten mit Orthopäden, Bewegungstherapeuten, Ergonomen und anderen Medizinern zusammen, um rückengerechte Sitze zu entwickeln.

So wird etwa bei Mercedes schon nach den ersten Designskizzen eines neuen Sitzes eine "Komfortprognose" gemacht, erläutert Vasilios Orizaris. Dabei werden Faktoren wie Sitzdruckverteilung, Körperabstützung, Sitzklima und Bedienbarkeit berücksichtigt.

Zudem wird der Sitz auf das Fahrzeug abgestimmt. Das ist deshalb wichtig, weil jede Karosserie ihr eigenes Schwingungsverhalten besitzt. "Durch eine geeignete Sitzkonstruktion werden die Schwingungen abgedämpft", erklärt der Entwickler. "Wir haben dazu eine Art Federbein im Sitz." Entscheidend sei dabei die Sitzübertragungsgröße: Sie besagt, wie viele Karosserieschwingungen im Sitz "getilgt" werden.

Rückengerechte Sitze werden nach Orizaris' Einschätzung in Zukunft an Bedeutung zunehmen. Extras wie Lendenwirbelsäulenstütze oder Massagefunktion würden daher in immer mehr Modellen Einzug halten.

Bis rückengerechte Sitze Serienstandard sind, dürfte jedoch noch einige Zeit vergehen. ADAC-Experte Paulus rät daher vor allem Vielfahrern, nicht am Sitz zu sparen. Statt eines unergonomischen Seriensitzes sollten sie ihrem Rücken zuliebe einen optionalen Sportsitz einbauen lassen, der über eine Lendenwirbelsäulenstütze und umfangreiche Einstellmöglichkeiten verfügt.

Felix Rehwald, dpa

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