Auto der Zukunft
Der Fahrer legt die Hände in den Schoß
Zündung, Abgas, Klimaanlage - schon jetzt kontrollieren Mikrochips das Innenleben der Autos. Bald werden sie dem Fahrer selbst helfen, beim Abstandhalten, beim Einparken, beim Vollbremsen. manager-magazin.de hatte Gelegenheit, in den Prototypen von Bosch die neue Technik zu testen.
Stuttgart - "Jetzt beschleunigen Sie auf 40 km/h, halten auf das Hindernis zu und verkneifen sich die Bremsung!" Leichter gesagt als getan. Der Motor des A8 röhrt kurz auf, der kleine weiße Block auf der Strecke wird immer größer, die Finger krallen sich ins Lenkrad, der rechte Fuß steht tapfer auf dem Gas. Plötzlich zerrt die Bremsanlage mit aller Macht an den kreischenden Rädern, der Audi geht in die Knie, während seine Insassen von den Gurtstraffern mit sanfter Gewalt ins Leder gedrückt werden.
Was die Entwickler noch im Köcher haben: Bosch arbeitet bereits an Nachtsichtbildern, die in die Windschutzscheibe eingeblendet werden, und an der automatischen Verkehrszeichenerkennung
Womit das Auto sieht: Kleine Videokameras erhöhen unter anderem die Zuverlässigkeit der Messungen von Ultraschall- und Radarsensoren
Wie der Rechner die Umgebung abtastet: Die Daten verschiedener Sensoren werden miteinander verrechnet
Wie sich die Fähigkeiten der Systeme steigern sollen: Den Anfang macht das Anlegen der Bremsbacken an die Bremsscheiben, noch bevor der Fahrer auf die Bremse tritt. Außerdem wird der Bremskraftverstärker in Sekundenbruchteilen empfindlicher eingestellt (PSS 1). Bei PSS 2 macht ein Bremsruck auf Gefahren aufmerksam, bei PSS 3 löst das Steuergerät eine Vollbremsung aus
Wie die Tester unterwegs sind: Bosch verwendet 7,3 Prozent des Umsatzes für Forschung und Entwicklung
Wie bullig ein Testwagen sein kann: Auf der Werksstrecke in Stuttgart-Schwieberdingen nimmt der A8 das ein oder andere Hindernis mit, eine Gummischürze schützt vor Schäden. Solange, bis die Sensoren - einer ist im zweiten Audi-Ring zu erkennen - richtig eingestellt sind
Foto: Matthias Kaufmann
Wie die Technik nach und nach versteckt wird: Links und rechts in der Frontschürze sind die Sensoren zu erkennen - doch der in der Mitte ist schon wie am Serienmodell versteckt und praktisch gar nicht zu erkennen
Foto: Matthias Kaqufmann
Wie Radar am Auto aussieht: Die kleine schwarze Kugel kann Abstände sehr genau erfassen. Die Größe der Hindernisse muss allerdings die Videotechnik erkennen
Foto: Matthias Kaufmann
Wie ein Schreibtisch für Testfahrer: Am Zusatzmonitor kann der Techniker den gesamten Softwarecode nachverfolgen
Foto: Matthias Kaufmann
Wie die Vorstufe des Systems aussieht: Schon bald soll ACC-FSR angeboten werden, das immer den korrekten Abstand zum Vordermann herstellt. Der kleine Monitor zeigt eine Designmöglichkeit der Armaturen
Foto: Matthias Kaufmann
Wie einfach Stop-and-go sein kann: Der Vordermann bremst? Das eigene Auto tut es auch
Foto: Matthias Kaufmann
Was der Fahrer kontrollieren kann: Unten im Tacho zeigt das System an, dass es aktiviert wurde. Zwischen Tacho und Drehzahlmesser erkennt man den voreingestellten Abstand
Foto: Matthias Kaufmann
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Nicht der Fahrer ist in die Eisen gestiegen, auch nicht Peter Knoll, Entwicklungsleiter für neue Assistenzsysteme bei Bosch, der bei dieser Testfahrt auf der Rückbank Platz genommen hat. Gebremst hat Kollege Computer, ein kleines Steuergerät, das sich irgendwo unter der Motorhaube verbirgt. Es wertet laufend die Daten mehrerer Ultraschall- und Radarsensoren an Front und Heck sowie einer Videokamera aus und entscheidet, wann die Bremsung nötig wird. Bosch, einer der größten Autozulieferer der Welt, führt damit für manager-magazin.de den perfekten Beifahrer vor: aufmerksam, reaktionsschnell und in aller Regel schweigsam.
Der Einstieg war das ABS
Ein Blick in die Zukunft des Autos, denn nach einem beispiellosen Siegeszug in den vergangenen zwei Jahrzehnten wird die Elektronik weiter eine wachsende Zahl von Funktionen kontrollieren. Experten rechnen damit, dass der Elektronikanteil an der Wertschöpfung von Automobilen bis 2010 von heute 25 auf 40 Prozent steigen wird. Und Bosch kalkuliert, dass das Marktvolumen für seine so genannten Assistenzsysteme dann eine Milliarde Euro übertreffen könne.
Das schwäbische Unternehmen hat schon die Antiblockierbremse ABS und das Fahrstabilitätsprogramm ESP entwickelt. Dennoch wird es nicht leicht sein, die Spitzenposition zu halten. Die Konkurrenz ist groß, andere Schwergewichte wie die amerikanischen Delphi und Visteon oder die Toyota-Ausgründung Denso arbeiten an entsprechenden Konzepten. Der erste serienmäßige Assistent, der Alarm schlägt, wenn ein eingenickter Fahrer von der Spur abkommt, steckt im Citroën C4 und stammt vom französischen Zulieferer Valéo.
Einparken wie von Geisterhand
Einparken wie von Geisterhand
Um nicht zurückzufallen, steckt Bosch 7,3 Prozent des Umsatzes (2003) in Forschung und Entwicklung und meldet an jedem Arbeitstag durchschnittlich zwölf Patente an. Allein an den Fahrassistenzsystemen arbeiten derzeit 300 Entwickler.
Zwei von ihnen haben sichtlich Spaß am verblüfften Gesicht eines Fahrers, wenn er zum ersten Mal, nun ja: eingeparkt wird. Alles, was er dazu tun muss, ist, gemächlich an einer Parklücke vorbeizufahren, damit das Testfahrzeug, ein VW Touran, sie vermessen kann. Auf Knopfdruck wird aus der Familienkutsche der Wunder-Käfer Herbie, der sich mit eifrig rotierendem Volanten selbst zwischen die beiden parkenden Autos bugsiert. Dem Fahrer fällt lediglich die Aufgabe zu, mit Gas und Bremse das Tempo der Aktion zu kontrollieren. Die Hände legt er in den Schoß, bis die Elektronik meldet: "Parkvorgang abgeschlossen".
Gimmicks versus Sicherheit
Die Parkautomatik ist derzeit die verspielteste Innovation der Bosch-Techniker. Für Gimmicks sei kein Platz, heißt es eigentlich, und Rainer Kallenbach, Mitglied des Bereichsvorstands im Geschäftsbereich Automobilelektronik, sagt: "All unsere Innovationen haben den Anspruch, rational und wertorientiert zu sein."
So stellt Bosch bei seinen Brems- und Abstandsassistenten die verbesserte Sicherheit in den Vordergrund, spricht von Unfallzahlen, vermeidbaren Opfern und auch dem volkswirtschaftlichen Schaden etwa von Auffahrcrashs. Bei knapp der Hälfte der Unfälle dieses Typs sind die Fahrer so abgelenkt, dass sie überhaupt nicht bremsen. Kameras, Radar- und Ultraschallsensoren dagegen "blicken" ununterbrochen nach vorne und werden niemals während der Fahrt versuchen, runtergefallene Zigaretten aus dem Beifahrerfußraum zu fischen.
Unbestreitbare Vorteile - von denen nicht sicher ist, ob die Autofahrer sie haben wollen. "Seit Jahren beobachten wir, dass fast alle Innovationen im Automobilbau auf Druck der Hersteller eingebaut werden, aber nicht auf Wunsch der Kunden", so Wolfgang Meinig von der Forschungsstelle Automobilwirtschaft der Universität Bamberg. Neue Funktionen würden zwar prinzipiell gerne angenommen, aber nicht gefordert.
Die Elektronik wird lebenswichtig
Die Elektronik wird lebenswichtig
Ob ABS oder der Duftspender in neuen Citroën-Modellen, entscheidend für die Akzeptanz technischer Neuerungen ist, dass sie funktionieren. In einer Studie der Uni Mainz vom vergangenen Frühjahr klagten 17 Prozent der Autofahrer über Probleme mit der Elektronik, bei den aufwändigeren Oberklassemodellen gar 26 Prozent. Und kürzlich geriet Bosch selbst in die Schlagzeilen, als die Produktion gleich mehrerer Dieselmodelle von BMW und Mercedes wegen fehlerhafter Einspritzpumpen tagelang gestoppt wurde.
Will man der Elektronik also lebenswichtige Aufgaben anvertrauen? Da ist es mit dem Verweis auf die niedrigen internen Fehlerquoten nicht getan. Die Ingenieure begegnen solcher Skepsis mit Zurückhaltung und behutsamer Heranführung.
Zurückhaltung insofern, dass der Computer dem Fahrer nicht die Verantwortung abnimmt: Der Parkassistent etwa ist jederzeit mit einem Griff ans Lenkrad zu stoppen. Behutsam schließlich wird die Öffentlichkeit mit verschiedenen Ausbaustufen der Systeme an die digitalen Beifahrer gewöhnt.
Beispiel Abstandsmessung: Bereits ist die so genannte Adaptive Cruise Control (ACC) für Oberklasseautos wie VW Phaeton und Mercedes S-Klasse zu haben. Dort beschränkt sich das System mit dem Namen eines Hustenlösers auf den Tempomat-Betrieb. Das heißt: Der Fahrer gibt am Tempomat die gewünschte Reisegeschwindigkeit ein. Reicht dafür die Distanz zum Vordermann nicht mehr aus, zum Beispiel, wenn ein Auto auf die eigene Spur einschert, bremst ACC ab. Ist die Bahn wieder frei, wird aufs Wunschtempo beschleunigt.
Drahtseilakt der Ingenieure
Bisher funktioniert das Spiel nur bei Geschwindigkeiten oberhalb von 30 km/h. Künftig wird die Elektronik zusätzlich das nervige Stop-and-go in einem Verkehrsstau beherrschen. Die Predictive Safety Systems (PSS) sagen als nächste Stufe Gefahren voraus und werden dezent, aber deutlich warnen.
Auf der Bosch-Teststrecke funktioniert das schon heute so: Nähert man sich einem Hindernis, geht plötzlich ein kleiner Bremsruck durch das Auto. Der Schreck ist groß, der Fuß blitzschnell auf dem Bremspedal. Sollte sich der Fahrer noch unsicher gewesen sein, hilft die Elektronik beim Bremsdruck nach.
Für die Ingenieure ist solch eine Einmischung ein Drahtseilakt. Entwicklungsleiter Knoll sieht ein kombiniertes System vor: Erst die Warnung, dann die Vollbremsung, wenn der Fahrer nicht reagiert. "Das Assistenz-System greift erst dann mit einer Notbremsung ein, wenn der Unfall nicht mehr zu vermeiden ist", erklärt er das Prinzip dahinter. Das heißt: Es kommt trotz automatischer Bremsung zum Crash, aber mit viel geringerer Geschwindigkeit.
Dem Elch sei Dank
Dem Elch sei Dank
Selbst im Ernstfall der automatischen Vollbremsung will man nicht durch zu viel Kontrolle verschrecken. "Die Verantwortung liegt beim Fahrer", erklärt Kallenbach. "Damit muss auch die letzte Entscheidung immer ihm vorbehalten bleiben." Sicher auch ein Problem der Produkthaftung, wenn das System doch irrt. Man denke nur an einen Auffahrunfall, der durch eine automatische Vollbremsung erst ausgelöst würde.
Die unfallvermeidende Vollbremsung bleibt so zunächst Zukunftsmusik, auch wenn sie technisch möglich ist. Schließlich gilt der Satz von Geschäftsführer Peter Marks auf einer Pressekonferenz im Oktober: "Der Kundennutzen will vermittelt sein."
Für den finden sich gute wie abschreckende Beispiele bei DaimlerChrysler. Gut: Nachdem die alte A-Klasse im Elchtest umgekippt war, half ihr das Stabilitätsprogramm ESP sicher auf die Räder. Zusätzlich wurde das System in alle Mercedes-Modelle eingebaut, die Unfälle mit der Marke gingen deutlich zurück. "Für diesen Sicherheitsbeleg sind wir Mercedes dankbar", bemerkt Peter Knoll.
Wunderbremse als abschreckendes Beispiel
Das abschreckende Beispiel heißt SBC, die elektronische "Wunderbremse" der neuen Mercedes-E-Klasse. Von ihr wird sich der Autohersteller in der nächsten Modellgeneration wohl verabschieden, weil Aufwand und Nutzen in keinem gesunden Verhältnis stehen. Die Erklärung eines Bosch-Sprechers: "Die konventionellen Bremssysteme haben aufgeholt. Infolge intensiver Weiterentwicklung können Sie künftig denselben Kundennutzen kostengünstiger erfüllen."
Autowirtschaftler Wolfgang Meinig hat trotz SBC und Dieselpumpen keine Zweifel, dass die Fahrerassistenzsysteme ein Erfolg werden. Einerseits habe Bosch das Potenzial, solche Techniken auf den Markt zu drücken: "Die verhandeln mit den Autokonzernen auf einer Augenhöhe."
Andererseits würden selbst Fehler wie bei den Dieselpumpen das Image von Bosch nicht nachhaltig schädigen. "Entgegen allen Annahmen zeigt die Erfahrung: Der Ruf solch etablierter Technikmarken ist nur schwer in den Keller zu kriegen", so Meinig.
Ein wichtiger Trumpf bleibt überdies die praktische Erfahrung. Wer sich einmal im Stau zurücklehnen konnte und das Stop-and-go dem Auto überlassen hat, wer einmal mit dem Bremsruck wachgerüttelt wurde, will darauf nur ungern verzichten.