Volvo XC 90 Schwedische Geländesänfte

Der skandinavische Konzern hat ein neues Topmodell entwickelt: ein Auto, das wie ein Geländewagen aussieht, aber unbedingt ein Pkw sein will. Das SUV (Sport Utility Vehicle) hat lediglich ein Problem: es nötigt den Eigner, regelmäßig Kontakt zur Tankstelle aufzunehmen.

"Ja, wir sind spät dran mit unserem SUV", räumt Stefan Müller, Chef von Volvo-Deutschland ein. Doch das sei kein Problem, im Gegenteil: So habe man von den anderen lernen können, erläutert der Automanager.

Die anderen, das sind zum Beispiel Autos wie der BMW X5, die ML-Klasse von Mercedes oder der Range Rover. Gelernt haben die Schweden von diesen Konkurrenten vor allem eins: "Sie werden zu mehr als 99 Prozent auf der Straße bewegt."

Als Konsequenz daraus verzichtet Volvo beim XC90 auf typische Geländewagen-Merkmale wie Offroad-Untersetzung, Differenzialsperre oder Bergabfahr-Kontrolle und verkneift sich Angaben über Rampen-, Böschungs- oder Kuppenwinkel. Bei hartgesottenen Offroad-Aktivisten ist der Wagen damit von vornherein durchgefallen. Das Gros der potenziellen Kundschaft jedoch wird nichts vermissen. Übrigens zu Recht, denn durch die meist während des kompletten Autolebens ungenutzten technischen Geländeextras werden die SUVs nur unnötig teuer und schwer.

Technisch und optisch: Die Softie-Masche

Nun ist der XC90 weder besonders leicht (Minimum zwei Tonnen), noch besonders billig (40.600 bis 53.800 Euro ohne Extras). Aber er verkneift sich die "So weit die Räder tragen"-Attitüde, und das ist angenehm. Technisch wie optisch setzen die Schweden auf die Softie-Masche. "Wir wollen ein optisch robustes Auto, aber auf keinen Fall eine aggressive Ausstrahlung", sagt Designer Andy Dale über die Karosserieform. Die "Nase" mit dem grob gerasterten Kühlergrill erinnert zwar an einen Lkw, doch die geschwungenen Scheinwerfer, die weich geformten Flanken und die intern cat-walk genannte, inzwischen Volvo-typische Schulterlinie unterhalb der Seitenfenster, lassen den Wagen durchaus elegant scheinen.

Wer, wie Volvo, als Nachzügler in ein Marktsegment vordringt und dort auf etablierte Konkurrenz und potente Neulinge wie die kommenden Porsche Cayenne und VW Touareg trifft, der muss sich etwas einfallen lassen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Die Schweden versuchen dies wie folgt: Der XC90 bietet als erster Luxus-SUV auf Wunsch eine dritte Sitzreihe und somit sieben Plätze, allesamt mit Dreipunktgurten und dazu mit Fensterairbags auf allen sechs äußeren Plätzen (Aufpreis Siebensitzer 1200 Euro). Den nötigen Raum dafür gewannen die Konstrukteure durch quer eingebaute Motoren, was eine Ausdehnung der Fahrgastzelle nach vorne ermöglichte.

Abheben soll sich der Neue auch durch seinen Haldex-Allradantrieb, bei dem die Kraft je nach Fahrsituation ohne jedes Zutun des Fahrers an die Räder verteilt wird; zwischen 5 und 65 Prozent des Drehmoments gelangen so zu den Hinterrädern.

Sicher - das "Roll Over Protection System"

Und schließlich die Sicherheit: Volvo betrachtet dieses Feld als sein Spezialgebiet und rüstete den XC90 entsprechend aus. Zum Beispiel mit ROPS, wie das "Roll Over Protection System" abgekürzt wird.

Es handelt sich um eine Kontrolleinrichtung, die den Neigungszustand des Autos überwacht und bei einem drohenden Überschlag das elektronische Fahrstabilitätssystem derart aktiviert, dass ein oder mehrere Räder abgebremst werden und zusätzlich die Motorleistung gedrosselt wird.

Außerdem bekam der XC90 einen speziellen Querträger an der Front, der bei einem Aufprall gegen einen normal hohen Pkw dessen Sicherheitssysteme ausnutzt. Bei Kollisionen zwischen Pkw und SUV werden nämlich in den meisten Fällen die Knautschzonen des Pkw nicht voll ausgenutzt, weil die SUV-Modelle einfach zu hoch in den Unfallgegner einschlagen. Volvo nennt, um die Neuerung bei der Unfall-Kompatibilität hervorzuheben, sein neues Auto deshalb einen "uneigennützigen SUV".

Ein leiser und kraftvoller Dieselmotor

Bei ersten Fahrten mit dem XC90 blieben diese innovativen Systeme glücklicherweise arbeitslos. Dafür ging der neue Dieselmotor, der erste von Volvo entwickelte Selbstzünder, ans Werk. Leise, kraftvoll und damit überzeugend. In Kombination mit der sehr leichtgängigen Lenkung und dem bei moderatem Tempo sehr Pkw-ähnlichen Fahrverhalten lässt sich der wuchtige Wagen überraschend lässig chauffieren.

Mit der Coolness im skandinavisch-eleganten Ambiente hinterm Lenkrad ist es jedoch vorbei, wenn der Fahrer den durchschnittlichen Verbrauchswert vom Bordcomputer abruft. 11,4 Liter meldet das Gerät, versprochen sind 9,2. Noch krasser war die Diskrepanz zwischen offiziellem Mittelwert und tatsächlichem Durchschnittsverbrauch bei den Benzinmodellen - 2,5-Liter-Fünftzylinder mit 210 PS (154 kW) und 3-Liter-Sechszylinder mit 272 PS (200 kW) - die nach Messungen des Bordcomputers weit über 15 Liter Kraftstoff schluckten.

Zeitgemäß ist das nicht, aber es verkauft sich trotzdem. Es gibt offenbar genug Kunden, in deren Ohren die Attribute trendy oder cool immer noch besser klingen als vernünftig und sinnvoll. Vor allem in den USA, wo Volvo nahezu zwei Drittel der XC90-Produktion absetzen möchte. Zweitstärkster Markt wird wohl Deutschland werden, wo die Schweden bis zu 4500 Modelle pro Jahr absetzen wollen. Ab November stehen die Fahrzeuge bei den Händlern - und kurz darauf an vielen Zapfsäulen.

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