Siemens kauft Dresser-Rand Kaesers teurer Durchmarsch

Siemens-Chef Joe Kaeser: Gut ein Jahr nach seinem Start als Siemens-Chef baut Kaeser ein weitgehend neues Geschäftsfeld auf: Doch der Schritt zum "Weltklasse-Anbieter für die Öl- und Gasmärkte" hat seinen Preis
Foto: Sean Gallup/ Getty Images for Siemens AGEs hätte das Zeug zum Duell des Jahres gehabt. Doch bevor der Bieterkampf um den umworbenen texanischen Gas- und Öltechnikanbieter Dresser-Rand so richtig begonnen hat, ist er entschieden. Siemens-Chef Joe Kaeser legt 7,6 Milliarden Dollar (5,8 Milliarden Euro) auf den Tisch. Das ist soviel, dass sein Vorgänger und nun Counterpart beim Schweizer Sulzer-Konzern, Verwaltungsratspräsident Peter Löscher, sofort die Waffen streckt.
Damit kann Kaeser kaum noch etwas dazwischen kommen beim langjährigen Traumziel der Münchner, das schon sein Vorvorvorgänger Heinrich von Pierer gerne gekauft hätte. Angesichts des stattlichen Preises dürften auch andere Kaufinteressenten abwinken, zumal Kaeser die widerspenstige Dresser-Führung ins Boot bekommen hat.
Dresser-Chef Vincent Volpe wollte lange nichts von Siemens wissen, empfiehlt seinen Aktionären aber jetzt, Kaesers Gebot anzunehmen. Damit hat Siemens die Hürden für mögliche Rivalen, die doch noch einen Bieterkampf anzetteln wollen, sehr hoch gezogen.
Sulzer streckt die Waffen - und GE ist mit Alstom ausgelastet
Die Gerüchte um ein mögliches Gebot von General Electric dürften ohnehin eher in die Rubrik PR-Gag fallen. GE würde damit massive Kartellprobleme riskieren, hat sich Siemens' amerikanischer Erzrivale doch in den vergangenen Jahren bei Ausrüstungen für das Öl- und Gasgeschäft in den USA schon massiv verstärkt. Zudem ist GE's Management mit der Integration des Energietechnikgeschäfts der französischen Alstom - der größte Zukauf der GE-Geschichte - auf Jahre gut ausgelastet.
Beim Ringen um Alstom zog Kaeser erwartungsgemäß - manche sagen auch: zum Glück - den Kürzeren. Bei Dresser-Rand kann der frühere Finanzvorstand in seiner einstigen Lieblingsdisziplin, den Deals, endlich punkten.
Und er profiliert sich als Stratege. Gut ein Jahr nach seinem Start als Siemens-Chef baut Kaeser ein weitgehend neues Geschäftsfeld auf: Ausrüstungen zum Fördern, zur Weiterverarbeitung, Verflüssigung und für den Transport von Gas und Öl. Siemens schaffe einen "Weltklasse-Anbieter für die wachsenden Öl- und Gasmärkte", schwärmt der Vorstandschef.
Die Übernahme birgt beträchtliche Risiken
Bisher hatte Siemens dafür nur einzelne Komponenten im Angebot - doch die Öl- und Gasmultis überall auf der Welt beauftragen in der Regel lieber Komplettlieferanten. Nach dem Kauf der Rolls-Royce-Gasturbinen sowie von Dresser-Rand für insgesamt fast sieben Milliarden Euro wird Siemens über eine weitgehend komplette Produktpalette verfügen und kann damit GE auch in dieser Disziplin Paroli bieten.
Vorbereitet worden war dies zwar schon unter Löscher und bis zu dessen Ausscheiden im Mai von Energievorstand Michael Süß. Den Schritt wirklich gewagt hat nun Kaeser.
Doch die Übernahme birgt auch beträchtliche Risiken: Der Boom von unkonventionell gefördertem Öl und Gas (Fracking) in den USA könnte bereits nahe dem Höhepunkt sein. Die große Frage ist, ob Siemens nicht zu spät kommt. Und entsprechend zuviel bezahlt: Siemens' Gebot bewertet Dresser-Rand ungefähr mit dem 2,5-Fachen des Umsatzes und dem 16-Fachen des operativen Jahresgewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda). GE zahlte für seine jüngsten Akquisitionen im Öl- und Gasgeschäft das 11- bis 14-fache Ebitda.
Sollte der Dresser-Kauf dem seit Jahren stagnierenden Konzern neue Wachstumspotenziale eröffnen, mag der hohe Preis dennoch gerechtfertigt sein. Zumal Kaeser endlich den 50-Prozent-Anteil an Bosch-Siemens-Hausgeräte (BSH) an Bosch verkauft und dabei einen deutlichen Buchgewinn einstreichen dürfte.
Integration als anspruchsvolle Aufgabe für Siemens-Vorstand Lisa Davis
Es kommt also darauf an, wie gut die Integration gelingt. Diesbezüglich ist Siemens' Erfolgsbilanz ziemlich gemischt: Als der Konzern vor knapp zehn Jahren durch drei milliardenschwere Akquisitionen eine Diagnostik-Sparte aufbaute, fiel wenig später eine Milliardenabschreibung an. Ob die Strategie damals richtig war, daran scheiden sich noch heute die Geister.
Ob die Integration nun ausgerechnet bei Dresser-Rand besser klappt? Die Führung dabei überträgt Kaeser den Texanern, die Siemens-Produkte und Dienstleistungen werden bei Dresser-Rand eingebracht - vermutlich ein Zugeständnis an den eigenwilligen Dresser-Chef Volpe.
In der Vergangenheit krankten US-Zukäufe der Münchner meist daran, dass sie über Jahre ein Eigenleben führten und nie so recht integriert wurden. Dass dies nicht wieder passiert, wird in erster Linie Sache der neuen Energie-Vorstandsfrau Lisa Davis sein.
Die Amerikanerin, zuletzt bei Shell Strategiechefin für das Geschäft mit weiterverarbeitetem Öl (Downstream), hat am 1. August bei Siemens angefangen. Und muss nun - ohne jede Erfahrung im Ausrüstungsgeschäft - die Integration des britischen Gasturbinenherstellers und des texanischen Kompressorenbauers in Deutschlands komplexesten Industriekonzern vorantreiben. Das klingt nach einem interessanten Experiment.