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Im Sog der Märkte: Manager, die den Kick suchen

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Selbstcheck Börsensucht "Die wollen den Ritt auf dem Tiger"

Exzessives Zocken an der Börse birgt gerade für Erfolgsmenschen Suchtgefahren, wie der Fall Uli Hoeneß zeigt. Wie es dazu kommen kann, sagt Suchtexperte Werner Gross. In seinem Selbstcheck können Sie prüfen, wie gefährdet Sie sind.

mm: Unterscheidet sich die "Börsensucht" von anderen Süchten? Oder passiert da im Grunde das Gleiche, wie wenn einer am Spielautomaten daddelt?

Gross: Gemeinsam ist beiden Gruppen, dass sie davon träumen, ohne große Anstrengung viel Geld zu machen. Es sind Glücksritter. Aber es sind zwei getrennte Szenen mit einem ganz anderen Umfeld. Bei der Börsensucht geht es nicht um ein paar Groschen, sondern mitunter um ganze Existenzen. Und die Süchtigen haben meist einen anderen beruflichen Hintergrund.

mm: Wer ist denn besonders gefährdet?

Gross: Oft beruflich durchaus erfolgreiche Leute. Die meisten davon Männer - Fälle von Frauen sind mir nicht bekannt. Diese Gier nach Risiko ist bei Männern wohl in viel höherem Maße da. Richtig Börsensüchtige sind abgestürzte Helden. Es gibt junge Leute, die fangen mit Anfang 20, vielleicht schon zu Beginn des Studiums, mit dem Zocken an - das sind Reizsucher, die den Informations-Overflow genießen und rauschhaft erleben. Ich hatte aber auch schon Leute in Behandlung, die über 60 Jahre alt waren.

mm: Ab wann kann man überhaupt von Sucht sprechen?

Gross: Die Menge des Geldes ist nicht entscheidend. Das ist ja alles immer relativ - wenn jemand fünf Millionen Euro hat, muss es nicht Sucht sein, wenn er mit 100.000 davon spielt. Entscheidend sind der Kontrollverlust und die Steuerungsunfähigkeit: Ich will eigentlich nur mal rasch die Charts angucken und sitze nach zwei Stunden immer noch vor der Kiste. Oder ich kann selbst im Urlaub nicht loslassen und werde nervös, wenn ich mal keinen Internetzugang habe. Das sind dann regelrechte Entzugserscheinungen, die Leute werden aggressiv oder ängstlich.

mm: Wie zeigt sich die Sucht?

Gross: Neben Kontrollverlust und Entzugserscheinungen gibt es bei Süchtigen einen Wiederholungszwang. Wie bei anderen Suchtmitteln geht es dann steil abwärts mit der Dosissteigerung: Ich brauche dann immer mehr, um den gleichen Gefühlszustand zu erreichen. Ich denke morgens als erstes, tagsüber ständig und abends als letztes an die Börsenkurse. Es geht dann nicht mehr um das Geld, sondern um den "Kick", den Rauschzustand. Börse hat mit Angst-Lust zu tun. Die Süchtigen suchen den Kick.

mm: Wenn man glaubt, dass jemanden im Umfeld betroffen ist - wie sollte man reagieren?

Gross: Ich würde es ansprechen, bewusst machen, aber keine Verantwortung übernehmen. Man darf nicht co-abhängig werden. Wenn es ein Partner oder Angehöriger ist: Das erste, was man tun muss, ist, sich finanziell abzugrenzen. Sie brauchen ein eigenes Konto, sofort und kompromisslos, auch wenn das schwierig durchzusetzen ist. Und leihen Sie dem Betroffenen nie, wirklich niemals Geld. Unterstützen Sie alles, was ihm hilft von der Sucht weg zu kommen, und nichts, was das süchtige Verhalten stabilisiert.

mm: Was kann man tun, wenn man selbst betroffen ist?

Gross: Viele wissen innerlich schon, dass bei ihnen etwas schief läuft. Erstes Ziel ist es auf diese positive innere Stimme zu hören. Dann sollte der Betreffende versuchen, sich selbst zu kontrollieren. Ein paar konkrete Tipps: Nehmen Sie zum Spekulieren kein fremdes Geld. Setzen Sie nicht alles ein, was Sie haben. Geben Sie sich ein klares Stoppsignal und halten es ein... Schauen nur zu festgelegten Zeiten in die Charts. Wenn das nicht klappt, suchen Sie Hilfe in Ihrem Umfeld oder besuchen Sie eine Selbsthilfegruppe von Spielsüchtigen. Erst wenn Sie da nicht weiterkommen, müssen Profis ran. Dann geht es wahrscheinlich nicht ohne Therapie.

mm: Wie entwickelt sich so eine Sucht?

Gross: Am Anfang steht immer der Wunsch nach dem schnellen Geld. Die Gier ist dabei ein wichtiger Aspekt. Das Risiko auch. Wenn Süchtige richtig drauf sind, dann wollen sie den Ritt auf dem Tiger. Leider landen sie häufig in dessen Maul. Es gibt drei Phasen: In der Vorphase kann jemand durch einen hohen Gewinn so angefixt sein, dass er nicht mehr vom Zocken lassen kann. In der kritischen Phase steht die Suche nach dem Kick, dem Rauschzustand im Vordergrund, das Geld ist dann nur noch das Mittel. Das wird problematisch, wenn das bürgerliche Leben, Partnerschaft und Arbeit, zurückgefahren werden, um in der Börsenwelt zu leben. In der chronischen Phase geht es gar nicht mehr um Lust, sondern nur noch darum, wieder zurück zu gewinnen, was man schon verloren hat. Und darauf ist das ganze Denken ausgerichtet.

mm: Hilft am Ende nur die totale Abstinenz - oder kann man zu einer normalen Portfolio-Pflege zurückfinden?

Gross: Ich erarbeite mit den Patienten immer gemeinsame Ziele. Natürlich wollen die nur die Teufel loswerden, aber die Engel behalten, die ihnen fliegen helfen. Aber die Frage bleibt: Wie bekomme ich einen maßvollen Umgang mit Geld hin? Ein wichtiger Punkt ist häufig, die Einstellung dazu zu überdenken: Gutes Geld will erarbeitet werden, man kann es nicht erzocken. Das ist der alte Kampf zwischen Lust und Realität. Ob dann jemand noch ein Portfolio hat, ist zweitrangig, wenn er sich dieser Realität gestellt hat und mit ihr zurecht kommt.

mm: Nimmt die Börsensucht zu? Oder verlagern sich nur andere Süchte in diesen Bereich, einfach, weil es technisch so leicht geworden ist, zu spekulieren?

Gross: Wir haben eine immer unsicherere und labilere Gesellschaft. Viele Identitätsstabilisatoren fallen weg: Man wächst in Patchworkfamilien auf, wechselt selbst vielleicht öfter den Beruf und lebt in wechselnden Partnerschaften, in "serieller Monogamie". Die eigene Identität wird durch diesen Lebensstil sehr viel fragiler. Und wenn dann ein Auslöser wie eine Trennung oder ein Jobverlust hinzukommt, ist die Gefahr einer Sucht groß, die diese Lücke füllt - welche Sucht auch immer das dann ist.

Hier geht es zum Selbstcheck "Sind Sie börsensüchtig?"

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