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Anwalt lässt Reihenhaus zerstören: "Das Haus kotzt sich aus"

Foto: Johannes Förster

Anwalt lässt sein Haus zerstören Macht kaputt, was mich kaputt macht!

Jurist Jens Brelle schlittert in eine Sinnkrise, heuert drei Kunststudenten an, sie zertrümmern Wände seines Reihenhauses und schreddern die Einrichtung. Was ist denn da los? Eine "kuratierte Katastrophe".
Von Désirée Balthasar

Das Besteck liegt im Ofen, das Waschbecken auf einer zersägten Tür. Fliesen und Tapeten sind herausgerissen, Elektroleitungen liegen offen. Licht gibt es nur im Bad und im Schlafzimmer. Es sind die einzigen Räume im Reihenhaus des Anwalts, die noch bewohnbar sind. Jens Brelle, 47, hat sein eigenes Heim zerlegen lassen, in einer öffentlichen Kunstaktion. Bis vor Kurzem zählte in seinem Leben vor allem sein Job - wie bei vielen Juristen. Brelle ist Medienanwalt, er hat eine eigene Kanzlei in Hamburg. "Ich habe jeden Tag zehn bis zwölf Stunden gearbeitet, sieben Tage die Woche, und das über Jahre hinweg", sagt er. "Es war ein Leben wie auf der Autobahn." Aber wozu das alles? Es kam der Tag, an dem Brelle sich bei einem Autounfall das Bein brach. Die Verletzung bremste ihn aus, kollidierte mit seinem Arbeitswahn. Als dann auch noch Bruder und Vater verstarben und seine Beziehung zerbrach, hatte er das Gefühl, keine Kontrolle mehr über sein Leben zu haben.

Brelle lehrt Medien- und Urheberrecht an mehreren Kunsthochschulen, engagiert sich in Kunstvereinen, sammelt Objekte junger Künstler. So kam er ins Gespräch mit den Kunst- und Designstudenten Sebastian Kubersky, Lennart Münchenhagen und Christine van Meegen, alle Anfang 30.

Je länger sie sich unterhielten, desto wilder wurden die Pläne. "Alles begann mit der braven Idee, mein Haus als Galerie zur Verfügung zu stellen", sagt Brelle. Schließlich einigten sie sich darauf, das Haus komplett in den Rohbau zurückzuversetzen und den freigewordenen Raum für Kunstinstallationen zu nutzen. "48h Vandalism Change Research Entstuckung" nannten sie das Projekt, "C.A.R.E." das Konzept. Das Kürzel steht für "Catastrophe. Analysis. Relation. Environment.": eine kuratierte Katastrophe für Menschen, die ihr Leben verändern möchten.

"Im Rohbau fühle ich mich befreit"

Der Startschuss war eine großangelegte Kunstaktion im August 2014. Die Künstler luden Galeristen, Sammler, andere Künstler und Designer ein. Auch der Präsident der Hochschule für bildende Künste in Hamburg war Gast an diesem Abend. Die Nachbarn waren vorgewarnt: Die Kunststudenten warfen Möbel aus den Fenstern, rissen Bodenbeläge heraus, durchschlugen Wände mit dem Vorschlaghammer, speisten an einem selbstgebauten Förderband, installierten Lichtobjekte und häuften Erde mit Pflanzen im Wohnzimmer auf. Zehn Tage lang konnten sich die Künstler in Brelles Haus austoben, und das für ein angemessenes Honorar, wie im Vorfeld vereinbart. "Es war auch für uns eine Grenzüberschreitung, so tief in die Privaträume eines Menschen einzudringen", sagt Kubersky. Interessant sei für ihn und seine Kollegen vor allem gewesen, "wie man die Grenze zwischen einem ausgestellten und einem gelebten Kunstobjekt überwinden kann".

Jens Brelle sagt, er habe sich mit dem Projekt entwickelt. "Der Rohbau mag auf viele abschreckend wirken, ich fühle mich befreit und habe wieder neue Energie." Nach und nach renoviert er sein Haus, verputzt Wände, verlegt Böden. Eilig hat er es nicht. Die Kunstobjekte sollen bleiben - im Esszimmer ein silbriges Bild von Student Münchenhagen, an der Decke eine Installation aus Laborgläsern. Auch seine Einstellung zum Beruf hat Brelle geändert: "Geschäftlich möchte ich schrumpfen, nicht mehr wachsen." Seine Arbeitszeit hat der Anwalt reduziert. Wenn er nicht erreichbar sein möchte, geht er schon mal zwei Tage lang nicht ans Telefon. Die Autobahn von früher hat er verlassen: "Heute tuckere ich mit 80 km/h über die Landstraße und biege mal hier ab und mal dort."

 
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