US-Notenbank Warum Janet Yellen die Märkte schon jetzt elektrisiert

Führungswechsel: Die Vizechefin der US-Notenbank, Janet Yellen, hat beste Chancen auf die Nachfolge von Fed-Chef Ben Bernanke
Foto: DPANew York - Das geht ins Geld: 10.000 Baby Boomer verabschieden sich in den USA jeden Tag in den Ruhestand. Und das für die nächsten 18 Jahre. Janet Yellen, die Stellvertreterin von Fed-Chairman Ben Bernanke, gehört dieser Generation aus dem Baby Boom nach dem Zweiten Weltkrieg an. Doch an Pensionierung kann die am 13. August 1946 geborene US-Geldhüterin nicht denken. Im Gegenteil: Sie wird ihrem derzeitigen Boss im Februar 2014 aller Voraussicht nach im Amt nachfolgen.
Seit die Demokraten den ehemaligen US-Finanzminister Larry Summers aus dem Rennen um die Bernanke-Nachfolge gedrängt haben, ist Yellen die Favoritin für eine Nominierung durch Präsident Barack Obama. Die Berufung zur ersten Frau, die über Amerikas Geldströme herrscht, gilt als ausgemachte Sache. Die Nominierung soll in den nächsten Tagen erfolgen.
Viele Baby Boomer wird das freilich nicht sonderlich freuen. "More of the same", meckern einige in den USA. Sie sagen vorher, dass Yellen die aggressive Geldpolitik von Ben Bernanke ungebremst fortsetzen würde. Ein Beweis für diese Furcht sind die steigenden Inflationserwartungen im Land.
Seit Summers das Handtuch warf, kletterte die Inflationsprognose in den USA für die nächsten zwölf Monate von 2,33 Prozent auf 2,53 Prozent nach oben. "Wenn Janet Yellen den Zuschlag bekommt, müssen wir eine größere Toleranz für Inflation in den Markt einpreisen", munkelt Mark Spindel, der Chef des Vermögensverwalters Potomac River Capital.
Yellen, so die Befürchtung, wird die laufende Geldflut so schnell nicht drosseln. Die Vollgas-Kampagne im Rahmen des sogenannten Programms QE3 - der Kauf von Staatsanleihen im Wert von 85 Milliarden Dollar pro Monat - soll die Aktienkurse heben, das Kreditgeschäft beflügeln und die Zinslast des hoch verschuldeten Staates mindern. Schließlich drohen die USA bereits in zwei Wochen erneut an das Schuldenlimit anzustoßen.
Magere Ersparnisse könnten aufgezehrt werden
Einigen sich US-Präsident Barack Obama und der von Republikanern beherrschte Kongress nicht auf einen Kompromiss im unerbittlichen Budgetstreit, droht zumindest ein teilweiser Zahlungsausfall. Da braucht man eine Notenbank, die nach Kräften Staatsanleihen kauft. Doch für mehr als 70 Millionen Baby Boomer in den USA stellt QE3 ein schwarzes Loch dar, das langsam aber sicher ihre mageren Ersparnisse aufzehrt. Und das sorgt für wachsenden Unmut.
Dass Janet Yellen den jetzigen Kurs schnell ändern wird, bezweifeln in den USA viele. Sie habe "schlicht keine Ahnung, wie man die Wall Street aus ihrer krankhaften Abhängigkeit vom billigen Geld befreien kann", kritisierte vorige Woche der ehemalige Budgetdirektor von Ronald Reagan, David Stockman. Yellen habe schließlich ihr ganzes Leben als Geld-Bürokrat im System der Fed zugebracht.
Die Furcht vor einer geldpolitischen Schleusenwärterin, die die Pforten nur zögerlich schließen würde, wird auch von der jüngsten Wochenbilanz der Fed selbst geschürt. Die US-Notenbank behält ihren Klumpfuß nicht nur mit vollem Gewicht auf dem Gaspedal, wie vor einer Woche angekündigt, sie beschleunigt aktuell sogar. Laut der jüngsten Wochenstatistik blähte sich die Bilanz der Fed allein vom 11. bis 18. September um weitere 60 Mrd. Dollar auf jetzt 3,7 Billionen Dollar auf. Das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt von Deutschland. Bei aktuellem Tempo würde die Fed-Bilanz in den nächsten 12 Monaten sogar um weitere 3,1 Billionen Dollar aufgebläht. Eine mächtige Blase, die selbst an der Wall Street, wo sie die Aktienkurse in die Höhe treibt, zunehmend für Unruhe sorgt.
Kraftakt aus Verzweiflung: Fed dehnt ihre Bilanz extrem schnell aus
Die Fed dehnt ihre Bilanz zwei Mal so schnell aus wie die Bank of Japan, die in einem verzweifelten Kraftakt die Deflation ausmerzen will. Mehr noch: In der vergangenen Woche war das Expansionstempo mehr als drei Mal so hoch wie im Schnitt des vergangenen Jahres. Davon profitieren vor allem große Fonds, Banken und Geld-Ikonen wie Warren Buffett. Er forderte vor wenigen Tagen, Bernanke solle nach dem Januar 2014 - in dem seine Amtszeit ausläuft - einfach weitermachen. Doch US-Zeitungen beschreiben bereits "ein Leben ohne Ben Bernanke".
Bei genauem Hinsehen wird deutlich, dass Janet Yellen in Wahrheit ziemlich allergisch gegen eine höhere Teuerungsrate ist. Sie habe sich bei einer Sitzung des Offenmarkt-Ausschusses 1996 in diesem Zusammenhang als junge Gouverneurin umgehend Respekt verschafft, erzählt man sich in Finanzkreisen in New York und Washington. Sie habe Bernanke-Vorgänger Alan Greenspan bei einem bemerkenswerten Auftritt zwingend und furchtlos dargelegt, dass ein geringer Preisauftrieb ganz im Sinne der Fed sei. Greenspan sah zu dieser Zeit offenbar eine Gelegenheit, die Inflation zumindest vorübergehend auszumerzen.
Yellen überraschte ihn mit einem Berg akademischer Studien. Ihre Position hat die Fed übernommen. Und seit 2010 hat Yellen maßgeblichen Einfluss darauf, dass die Notenbank sich an einem Inflationsziel von etwa 2 Prozent orientiert. "Sie übt bereits großen Einfluss aus, es dürfte also kaum eine Veränderung in der Politik der Fed geben, wenn Yellen das Ruder übernimmt", sagt Vincent Reinhart, der ehemalige Chef der wissenschaftlichen Mitarbeiter im Offenmarktausschuss der Notenbank. Reinhart ist inzwischen Chefökonom für Morgan Stanley in den USA.
Obwohl Yellen viel Unterstützung im Kongress bekommt, hat sie auch Kritiker in der politischen Elite. Vor allem Republikanern gilt sie als jemand, der mehr auf die Arbeitslosenrate schielt als auf die Inflationsrate. Wird die Bernanke-Stellvertreterin nominiert, muss sie in den nötigen Anhörungen vor dem Kongress mit heftiger Kritik rechnen. Die Abgeordneten wollen vor allem wissen, ob Yellen an der Zinsschraube drehen wird, sobald es die anziehende Konjunktur verlangt.
Das Fed-Dilemma: Was tun gegen aufkeimende Inflation?
"Es ist eine offene Frage", erklärt Mark Calabria, ein ehemaliger Ökonom des Bankenausschusses im US-Senat, "ob Yellen sich wie Paul Volcker aufspielen kann, wenn sie muss." Volcker war Chairman der Fed von 1979 bis 1987. Er trieb die Zinsen bis auf 22 Prozent in die Höhe, um die galoppierende Inflation auszumerzen, obwohl er damit das Wachstum abwürgte.
Jene, die Yellen kennen, trauen ihr eine harte Linie gegen die Inflation zu, auch gegen den Widerstand der Wall Street. "Sie würde tun was nötig ist, um einen Ausbruch der Inflation zu vermeiden", sagt der ehemalige Präsident der Fed-Zweigstelle in Richmond, Alfred Broaddus. Er diskutierte mit Yellen ausgiebig Inflationsziele, als sie in den 90er Jahren Fed-Gouverneurin war. "Sie muss diese Qualitäten jetzt kommunizieren", empfiehlt Broaddus.
In die Ecke manövriert
Doch das dürfte schwierig werden. Denn die Fed hat sich mit ihrer Entscheidung, das Tempo von QE3 vorerst nicht zu drosseln, in eine Ecke manövriert, beklagt der Harvard-Ökonom Martin Feldstein.
Die Fed, so Feldstein, betone, dass ihre weitere Vorgehensweise von den Konjunkturdaten abhängt. Doch die Notenbank sei oft "zu optimistisch." Erst in der vorigen Woche hätten die Geldhüter ihre Prognose des Wachstums des US-Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das laufende Jahr auf 2,0 Prozent bis 2,3 Prozent stutzen müssen, nachdem sie noch im Juni von 2,3 Prozent bis 2, 6 Prozent ausgegangen waren.
Nach einem BIP-Zuwachs im ersten Halbjahr von 1,8 Prozent müsse die US-Wirtschaft daher im zweiten Halbjahr deutlich besser abschneiden als in den drei Jahren seit 2010. Diese gedämpfte Konjunkturerwartung bestätigt jene, die der Fed vorwerfen, sie habe vor einer Woche gekniffen, weil sie eine schwächere Konjunktur fürchte. Haben diese Pessimisten recht, dürfte der Stresstest für die künftige Chefin am US-Geldruder noch einige Monate auf sich warten lassen.
Freundlich im Ton, zwingend in der Argumentation
Das könnte in den nächsten Tagen die Aufmerksamkeit mehr auf ihre Führungsqualitäten lenken. Yellen hat als Kollegin und Chefin jedoch Eigenschaften, die in einem schwierigen Umfeld gefragt sind. Sie gilt als umgänglich, als zwingend aber freundlich in der Argumentation und zudem als jemand, der zuhören kann. Kevin Hassett, ein ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fed, erinnert sich, wie Yellen 1994 Gouverneurin wurde.
Sie nahm ihr Mittagessen nicht in der Gouverneurs-Kantine ein, sondern speiste mit dem Research-Personal, um mehr Informationen aus den großen Datenbergen zu bekommen. Andere Governeure hatten ebenfalls versucht, die Trennung zwischen der Topetage der Fed und den wissenschaftlichen Mitarbeitern aufzuheben, konnten aber die Regeln nicht ändern. Yellen fand mit ihrem Kantinen-Coup einen eleganten Weg, das zu ändern.
Bilanz der Fed allein vom 11. bis 18. September um weitere 60 Milliarden Dollar auf jetzt 3,7 Billionen Dollar auf. Das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt von Deutschland. Bei aktuellem Tempo würde die Fed-Bilanz in den nächsten zwölf Monaten sogar um weitere 3,1 Billionen Dollar aufgebläht. Eine mächtige Blase, die selbst an der Wall Street, wo sie die Aktienkurse in die Höhe treibt, zunehmend für Unruhe sorgt.