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Haptik-Design: Tasten und streicheln

Foto: Volkswagen

Haptik-Design Gefühlsecht

Das Auge entscheidet? Nicht unbedingt. Ob wir zu einem Produkt greifen, darüber entscheidet auch unser Tastsinn. Hersteller hochwertiger Produkte setzen deshalb häufig auf Haptik-Design, das nicht nur den Fingerspitzen schmeichelt. Ganz vorne in der Forschung ist die Automobilindustrie.
Von Kirsten Schiekiera

Hamburg - Wenn der Wissenschaftler Martin Grunwald über seine Arbeit redet, erzählt er gerne die Geschichte von den ergonomisch geformten Schulfüllern. Ein französischer Schreibgeräte-Hersteller brachte das Produkt einst auf den Markt.

Die Füller hatten kleine Mulden, überzogen mit einer Softtouch-Oberfläche, in denen die Finger von Erstklässlern Halt fanden. Die Kinder kamen prima mit dem neuartigen Stift zurecht. Das Produkt war so erfolgreich, dass sich das Unternehmen entschloss, ähnlich geformte ergonomische Stifte für Erwachsene zu entwickeln.

Doch der Erfolg wiederholte sich nicht, sämtliche Erwartungen wurden enttäuscht: Die Stifte verkauften sich miserabel. Schlimmer noch: Es hagelte Beschwerden von unzufriedenen Käufern. Martin Grunwald und sein Team wurden um Rat gebeten. "Wir haben die Sache eingehend untersucht und festgestellt, dass die Stifte für Erwachsenenhände nicht geeignet waren. Wenn Erwachsene schreiben, dann rotiert der Stift in ihrer Hand.

Es sind nur winzige Bewegungen, aber sie entlasten die Handmuskulatur", erklärt der habilitierte Psychologe, der sich seit Jahrzehnten mit dem menschlichen Tastsinn beschäftigt. "Wenn unsere Finger unbeweglich in einer Mulde stecken und die Rotation wegfällt, fühlen wir uns sofort unwohl. Erstklässler dagegen haben noch keine Schreiberfahrungen gesammelt, sie empfinden es als angenehm, wenn sie einen Stift sicher in der Hand halten können." Design-Irrtümer wie dieser seien ihm schon häufig begegnet.

Für den Tastsinn entwickelt

Das Haptik-Labor der Universität Leipzig, das der Forscher 1996 gründete, ist das einzige seiner Art in Europa. Grunwald und seine Kollegen beraten Kunden aus der Industrie und helfen Produkte zu entwickeln, die unseren Tastsinn ansprechen: Griffe, die wir gerne in der Hand halten oder Verpackungen, bei denen bereits das Öffnen ein Vergnügen ist. "Es gibt reichlich Objekte, die visuell ansprechend gestaltet und auch funktional sind. Sie verkaufen sich trotzdem nicht, weil bei ihrer Entwicklung die Bedürfnisse des Tastsinnes vernachlässigt wurden", sagt Martin Grunwald.

"Ohne ein adäquates Haptik-Design kann man heute in der weltweiten Konkurrenz hochwertiger Produkte kaum noch bestehen. Der Kampf um die haptischen Marken hat im Stillen bereits begonnen, von der breiten Öffentlichkeit wird er bislang allerdings kaum wahrgenommen." Führend bei der Gestaltung von Produkten, die den Tastsinn ansprechen, ist seiner Erfahrung nach die Automobilindustrie. Und, tatsächlich, spricht man mit Tomasz Bachorski, Leiter Interieur Design bei Volkswagen, dann bekommt man einen Einblick in eine bis ins letzte Detail durchdachte Welt, in der Schalthebel nicht "rappeln" und Armaturen niemals "speckig" wirken dürfen.

Autotüren sollen geschmeidig aus der Hand gleiten und mit einem sanftem Wumm in Schloss fallen. "Oberflächen brauchen eine saubere, klare Struktur. Wichtig ist auch, dass sich Oberflächen selbst nach 10 oder 20 Jahren unter den ungünstigsten klimatischen Bedingungen nicht verändern dürfen", ergänzt Bachorski. "Der Schalthebel und das Lenkrad sollten die selbe Oberfläche haben und sich identisch anfühlen. Alle Interface-Tasten, beispielsweise von Navigationsgeräten, der Klimasteuerung oder die Lenkradtasten, müssen auf exakt den selben Druck reagieren."

Gefühl der Wertigkeit

Ein entscheidender Punkt bei der Gestaltung von neuen Automodellen, besteht darin, dass "haptische und optische Eigenschaften miteinander harmonieren". Sprich: ein matt glänzender schwarzer Lederbezug soll nicht nur edel schimmern, er soll auch den Fingerspitzen ein "Gefühl der Wertigkeit" vermitteln. Deshalb werden immer wieder neue Materialien entwickelt, die gut aussehen, lange halten und die man gerne anfässt. "Eine große Herausforderung ist beispielsweise die Oberfläche der Instrumententafel.

Diese soll in der Regel eine weiche Struktur aufweisen und die Anmutung von Leder haben. Diese spezielle Beschichtung - wir nennen sie "Slush" - bietet zudem noch andere Eigenschaften, die das Naturmaterial nicht hat. Sie bleicht nicht aus und wird auch nach Jahren nicht spröde", sagt Tomasz Bachorski. Billig ist die Hightech-Ware nicht: "Slush ist teilweise sogar teurer als Leder."

Der Tastsinn ist allgegenwärtig, unbestechlich und ausgesprochen scharf. Die menschliche Fingerkuppe kann Unterschiede ab einem Tausendstel Millimeter registrieren, das Auge dagegen nimmt erst Unterschiede wahr, die 80 bis 100 Mal so groß sind. Noch in der Antike galt der Tastsinn als wichtigster aller Sinne. Heute wird oftmals behauptet, dass uns 80 Prozent aller Informationen über das visuelle System erreichen.

Messer perfekt austariert

Martin Grunwald glaubt das nicht. "Wir lernen die Welt nicht am Bildschirm kennen, sondern haptisch, indem wir Dinge befingern und befühlen und selbst auch angefasst werden. Der Tastsinn ist der erste Sinn, der sich beim Menschen entwickelt und er ist der einzige Sinn, der sich nicht abschalten lässt", erklärt der Wissenschaftler. "Deshalb ist es uns auch so wichtig, dass wir Dinge vor dem Kaufen anfassen können. Über den direkten Kontakt mit den Dingen können wir sicher entscheiden, ob sie uns gefallen oder nicht.

Oft sind es organische Materialien oder deren Nachbildungen, die man gerne in der Hand hält. "Holz ist haptisch viel angenehmer als Kunststoff, auch weil es hervorragende Temperatureigenschaften hat. Für den Einsatz in einer Profiküche sind aber Griffe aus Kunststoff mitunter geeigneter", sagt Jörg Janssen, Produktmanager bei dem japanischen Unternehmen Kai, das hochwertige Küchenmesser, Skalpelle, Rasierklingen und Friseurscheren herstellt.

Bei Schneidewerkzeugen geht es nicht alleine um Optik, ein gutes Handgefühl und eine scharfe Klinge. Die Funktionalität steht im Vordergrund. "Messer müssen perfekt austariert sein. Griff und Klinge brauchen das selbe Gewicht, damit man ein Messer gut führen kann", sagt Jörg Janssen.

Sushi-Köche legen beispielsweise viel Wert darauf, dass auch ein langer Schnitt mit einer einzigen Handbewegung durchgeführt werden kann. Weisen die Schnittflächen der Fischfilets eine so genannte "Treppe" auf, dann wissen Kenner sofort, dass ein Dilettant am Fisch herumgesäbelt hat oder die Schneidewerkzeuge von wenig überzeugender Qualität waren.

Ein perfektes Messer muss passen wie ein Paar Schuhe

Bei traditionellen japanischen Messern ist der Griff im Querschnitt mitunter wie eine Kastanie geformt. Sie liegen besonders gut und sicher in der Hand - allerdings nicht in jeder. Schmale Hände verlangen nach kleineren Griffen und leichteren Klingen, Menschen mit muskulöser Statur kämen dagegen eher mit wuchtigen Messern klar: "Ein perfektes Messer muss passen wie ein Paar Schuhe", findet Jörg Janssen.

Auch das eine Super-Material, das alle Menschen weltweit gerne berühren, wird nach Ansicht von Martin Grunwald niemals erfunden werden. "Unser Tastsinn ist kulturell geprägt. Im asiatischen Raum mag man im Bereich der Verpackungen auch Oberflächen die auf Europäer klebrig wirken. Alles, was klebrig ist, wird zum Beispiel in Deutschland mit Schmutz assoziiert und gilt eher als unsauber ", sagt der Forscher. "Noch ein Beispiel: Wir in Deutschland mögen Joghurt der cremig ist, die Franzosen dagegen bevorzugen eher krümelige Sorten.

Hersteller sollten sich deshalb im Vorfeld der Entwicklung neuer Produkte eingehend mit den haptischen Bedürfnissen der potentiellen Kunden auseinandersetzen." Wie weit in einigen Unternehmen die Liebe zu haptischen Details bereits geht, beweist Tomasz Bachorski, wenn er über die Gestaltung von Autoschlüsseln spricht: "Der Schlüssel zu einem hochwertigen Auto wie dem Golf , braucht ein bestimmtes Gewicht. Wenn er zu leicht in der Hand liegt, wirkt er nicht hochwertig genug." Ein neues Auto soll sich auch in der Manteltasche gut anfühlen.

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