
Kohlefaser: Wie Carbon die Welt erobert
Kohlefaser Keine Kohle, kein Carbon
Hamburg - Als Alan Oliveira ins Ziel stürmt, zeigt die Stoppuhr 21,45 Sekunden. Weltrekord! Der Brasilianer siegt über die 200 Meter bei den Paralympics in London - deutlich vor Oscar Pistorius, dem Favoriten aus Südafrika. Pistorius aber ist kein guter Verlierer. Direkt nach dem Lauf motzt er über Oliveiras angeblich zu lange Beinprothesen: "Wir laufen ein unfaires Rennen hier!"
Schnelligkeit, Leichtigkeit, Eleganz: All das zeichnet Paralympics-Sprinter aus. Sie verdanken das ihrem Training - und Carbon. Kohlenstoff. In verarbeiteter Form als CFK - das steht für Carbon-faserverstärkter Kunststoff - steckt er nicht nur in den Beinprothesen der Paralympics-Sprinter. Längst hat auch die Industrie die Vorzüge von CFK erkannt.
CFK macht Raketen stark, Flugzeuge leicht und Renwagen schnell. Kein Wunder: Der Werkstoff aus Kohlenstofffasern ist härter als Stahl, zugleich aber 80 Prozent leichter, außerdem hitze- und korrosionsbeständig. Und noch etwas: Der Carbon-Look - dieses Schwarzgewobene, Wertige - gilt als cool. Deshalb steckt CFK inzwischen auch in Stiften, Musikinstrumenten, Möbeln, Uhren. In allem also, was dem Carbon-Junkie lieb und teuer ist.
Einer dieser Carbon-Junkies ist Richard Branson. Unter dem Dach seiner Virgin Group vereint der 62-Jährige Plattenfirmen, Einzelhändler, Fluggesellschaften - und sogar ein Raumfahrtunternehmen. Für "Virgin Galactic" hat Branson ein ganzes Flugzeug aus Kohlefaser bauen lassen: die "White Knight Two". Mit ihren zwei Rümpfen sieht sie aus wie ein Katamaran der Lüfte. Sie soll den Raumgleiter "SpaceShip Two" vom Weltraumbahnhof im US-Bundesstaat New Mexico auf 15.000 Meter Höhe bringen, um ihn dann zu entkoppeln. Auf diese Weise sollen Wohlhabende künftig nach den Sternen greifen.
Von Null auf 100 in 2,6 Sekunden
Auch die Luftfahrtindustrie hat CFK für sich entdeckt. Unter der Ägide von EADS-Chef Tom Enders, seinerzeit an der Spitze der Konzerntochter Airbus, bekam der Großraumflieger A380 jede Menge Kohlefaser verpasst. Der Langstreckenjet A350 besteht inzwischen sogar zur Hälfte aus CFK, wie übrigens auch das Prestigeprojekt der US-Konkurrenten Boeing, der 787 Dreamliner. In Zeiten steigender Kerosinpreise bietet CFK die Chance, Fluggesellschaften neue Jets zu verkaufen. Doch die Leichtigkeit hat ihren Preis: Ein Kilo Stahl kostet 70 Cent, ein Kilo Carbon das Zehnfache. Das spürt man auch im Autobau.
Jüngst stellte VW den Bugatti Veyron Grand Sport mit Kohlefaser-Karosserie vor - und 1200 PS unter der Haube. Von Null auf 100 beschleunigt der Bolide in 2,6 Sekunden. Wer sich einen derartigen Geschwindigkeitsrausch leisten möchte, muss tief in die Tasche greifen: Rund 1,8 Millionen Euro kostet das Fahrzeug.
Natürlich lässt sich ein Auto auch nachträglich mit Carbon-Applikationen aufwerten: Das hat die Tuning-Schmiede Mansory mit Sitz im oberfälzischen Brand perfektioniert. Mansory motzt jedes Edelfahrzeug von Aston Martin bis Range Rover auf - zu mitunter sechsstelligen Preisen. Sogar Golfmobile der Luxusmarke Garia tunt Mansory. "Garia setzt den Maßstab in ihrer Branche", sagt Firmenchef Kourosh Mansory. "Deshalb sind sie eine logische Ergänzung für unser Portfolio."
Carbon-Axt für den Edelrocker
Carbon im Auto bekommt man aber auch günstiger. Und umweltschonender: BMW plant für 2013 die Einführung des Serien-Stromers i3 mit CFK-Karosserie. Sie ist bestens geeignet, das hohe Gewicht der Lithium-Batterie auszugleichen. Dafür kooperieren die Bayern mit dem Wiesbadener Kohlenstoffverarbeiter SGL Carbon. 70 Millionen Euro haben beide in ein gemeinsames Werk in Moses Lake im US-Bundesstaat Washington investiert. Hier werden Kohlenstofffasern in Kunststoff-Matrizen gebettet.
Auch auf zwei Rädern muss niemand mehr auf CFK verzichten. Der Motorradbauer Ducati führte bereits vor drei Jahren eine Maschine mit Kohlefaserrahmen ein. Die Desmosedici GP9 habe Ducatis DNA verändert, erklärte der damalige Sportchef Claudio Domenicali. Inzwischen fertigen die Italiener sogar Motorradhelme aus 1300 Gramm Carbon. Der handbemalte, auf 300 Stück limitierte Kopfschutz kostet 3800 Euro.
Motorräder von Aprilia bis Triumph lassen sich mit CFK-Teilen nachrüsten. Die Firma Ilmberger aus Oberhaching hat sich seit Ende der 90er-Jahre auf den Versand von Kohlefaserteilen spezialisiert.
Und sogar Fahrräder mit Carbon-Rahmen gibt es. Dabei spielt vor allem das Gewicht eine Rolle. So waren die Rahmen der Rennräder bei den Olympischen Spielen in London aus Carbon. Allerdings existieren auch Klappräder mit CFK-Elementen, etwa das Mando Footloose. Hier steckt Carbon im Lenker.
Tische, Stühle, Badewannen
Rocker, die nicht auf Rädern sitzen, können Carbon zur Kutte tragen: Für sie baut Blackbird Guitars in San Francisco Kohlefasergitarren. Die Edeläxte sehen futuristisch aus, das Klangloch sitzt zwischen Korpus und Hals. Und wenn es damit einmal auf Tour geht, liefert die Firma Jakob Winter aus Nauheim im Rhein-Main-Gebiet den passenden Koffer.
Wer es lieber klassisch mag, der kann bei "mezzo-forte" in der Nähe von Bielefeld eine Carbonviolone streichen. Das Stück kostet 1900 Euro, eine Bratsche etwa 2000 Euro und ein Cello 4000 Euro. "Das ist eine Marktlücke", sagt Violinenbauer Jörg Kleinalstede. Streichinstrumente aus Holz findet er inzwischen stinklangweilig.
Das Kohlezeitalter bricht für Uhrenfreunde mit der "Armin Racing Carbon" an. Der Schweizer Hersteller Armin Strom hat Brücken und Platine der Herrenuhr mit Carboneinlagen versehen. Auf 50 Stück limitiert kostet sie knapp 20.000 Euro. Auch die Tuning-Schmiede Mansory verkauft Uhren im Carbon-Look: etwa die ebenfalls auf 50 Stück limitierte Herrenuhr "Chronofighter Oversize" für 9800 Euro. Mansory fertigt sogar Armbänder, Chefsessel, iPhone- und iPad-Hüllen.
Selbst im Eigenheim muss niemand mehr auf Carbon verzichten: Tische und Stühle aus Kohlefaser baut Werkzwo aus Lüdenscheid. Und die Firma Corcel aus dem österreichischen Anthering hat die Luxusbadewanne No.1 entworfen. In 330 Liter Wasser können Carbonfreunde erstklassig planschen - vorausgesetzt, sie haben Kohle.